Nach knapp anderthalb Jahrzehnten der inneren Erholung liegt erneut der Fluch eines Bürgerkrieges über dem Libanon. Seine Vorzeichen sind Morde an Politikern, die allzu voreilig Syrien in die Schuhe geschoben werden, gewalttätige Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten sowie die Belagerung des Regierungspalastes durch ein riesiges Aufgebot, zu dem die Hisbollah - aber nicht nur sie - in der Lage ist. Dadurch soll endlich eine Koalition erzwungen werden, die der innerlibanesischen Kräftebalance Rechnung trägt.
Dass die westlichen Regierungen telefonisch oder gar - wie Frankreichs Präsidentschaftsbewerberin Ségolène Royal in persona - Premier Siniora zum Durchhalten aufrufen, dass der deutsche Außenminister nun endlich doch nach Damaskus geflogen ist, um - wie es offiziell heißt - eine Bitte an Syrien vorzutragen, es sind Indizien dafür, dass die Blütenträume westlicher Regierungen im Nahen Osten nach der israelischen Intervention vom Sommer weniger reifen denn je. Um so greifbarer ist zu Beginn dieser Woche die Gefahr, dass ein Bürgerkriegsdrama wie im Irak auch den Libanon heimsucht. Es ist seltsam und aufschlussreich zugleich, dass in dieser Lage ausgerechnet Damaskus dazu aufgefordert wird, sich nicht einzumischen.
Dabei gibt es nicht nur historische Gründe, die Syrien an den Libanon binden (schließlich wurde das Territorium der beiden heutigen Staaten einst durch die französische Kolonialmacht geteilt). Die Zedernrepublik erlebte ihre für Jahrzehnte ruhigste Zeit, als syrische Truppen während der achtziger und neunziger Jahre in der Bekaa-Ebene standen. Dass der Libanon damals ökonomisch verkümmert sei, kann niemand behaupten. Beirut - durch den 1975 ausgebrochenen Bürgerkrieg und die israelische Invasion von 1982 schwer gezeichnet - wurde entschlossen wieder aufgebaut und erneut zum Finanzzentrum der Region. Nur waren fortan Banker aus dem arabischen Raum viel exponierter als jemals zuvor. Auch die Touristen kehrten zurück - bis zum erneuten israelischen Einmarsch vor wenigen Monaten.
Eine vorübergehend geringere Verflechtung mit dem Westen und eine stärkere Fühlungnahme mit der arabischen Welt haben dem Libanon keine Nach-, eher Vorteile beschert. Freilich blieb die innere Konstitution stets fragil. Wenn ein Land vorzugsweise von eigenen und fremden Banken lebt, braucht es mindestens so viel Demokratie wie die Schweiz, damit auf der Basis dieses spezifischen Profits soziales Leben garantiert ist, das auch die Letzten und Allerletzten einbezieht. Davon jedoch konnte in Beirut wie im gesamten Küstenstreifen zwischen Tripoli und Tyr nie die Rede sein. Obwohl gewisse Privilegien der Christen aufgehoben wurden, blieb die politische Struktur auf die Protektion von Clan- und Kastenrechten fixiert. Es waren immer wieder überlieferte Privilegien und vererbte Pfründe, die das Land blockierten. Ein Teil der Christen und eine Mehrheit der Drusen möchte bis heute, dass sich die libanesische Politik dem Westen gewogen zeigt, während die traditionell armen Schiiten und die aus Palästina stammenden Sunniten, deren Bevölkerungsanteil unablässig wächst, die Nähe zum Iran und zu Syrien suchen.
Premier Siniora gab in den Wochen der israelischen Bombardements den ob des Frevels der Angreifer erzürnten Schutzpatron, der anzuerkennen schien, dass die Hisbollah anstelle der dazu offenbar unfähigen libanesischen Armee die Republik verteidigte. Und das erfolgreich und effizient. Als es jedoch darum ging, mit dieser Erfahrung umzugehen, zog sich dieser Regierungschef mit einem Dutzend Kabinettsmitglieder in den Großen Serail zurück, offenbar in der irrigen Annahme, in dieser Enklave sein politisches Überleben aussitzen zu können, die Hisbollah auf Abstand zu halten und irgendwann doch zu neutralisieren.
Siniora vermeidet das Naheliegende, er öffnet Teilen der Hisbollah keinen Weg ins nationale Heer und löscht so keinen der schwelenden Brandherde eines Bürgerkrieges. Im Zeltlager der Hisbollah vor dem Großen Serail warten allerdings nicht nur deren Anhänger auf die Entscheidung. Eine einflussreiche christlich maronitische Formation findet gleichsam Gefallen am zivilen Ungehorsam. Ihr Sprecher, General Aoun, machte vor Jahrzehnten noch als überzeugter Muslimschlächter von sich reden. Sein Gesinnungswandel lässt ahnen, dass der Libanon als ein anderes, ein erneuertes Land aus dem Konflikt hervorgehen könnte und eine solche Metamorphose nicht erst die Apokalypse des Bürgerkrieges durchlaufen muss. Genau das aber liegt weniger in der Hand Syriens, das seine Truppen bereits vor mehr als einem Jahr klugerweise zurückgezogen hat, als viel mehr im Ermessen der USA, der EU und Israels. Aber was - außer "eigenen" nebulösen Interessen, die der Öffentlichkeit erst einmal genau erklärt werden müssten - hat der Westen im Libanon eigentlich zu verteidigen?
Dass Christen vor libanesischen Muslimen oder gar vor den Syrern Schutz brauchen, ist nicht der Fall. Gerade hat die Regierung in Damaskus die Grenzen für Tausende aus dem Irak fliehende Christen geöffnet. Sie fühlen sich dort offenbar wohler als in Westeuropa, wo ihnen die übliche Verwechselung mit muslimischen Arabern zum Verhängnis werden kann. Und was treibt Israel? Die Aussicht, dass durch eine Konfrontation im Libanon notwendige Friedensgespräche mit den arabischen Nachbarn in weite Ferne rücken? Auszuschließen ist das nicht. Nur was gewinnt Israel dadurch an eigener Sicherheit? Frieden wird ihm nur beschieden sein, wenn es die Souveränität der anderen Staaten im Nahen Osten ebenso respektiert, wie das für jenes Gebiet beansprucht wird, das die Vereinten Nationen 1947 den Israelis zuerkannten.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.