Spiel ohne Grenzen

Kolonialzeiten Der Umgang mit dem Irak zeigt eine beschleunigte Erosion von Volkssouveränität

Um einen Irak der irakischen Bürger aufzubauen, muss nicht nur Saddam verschwunden sein. Gebraucht wird ein souveränes Land, das dank seiner Ressourcen eine souveräne Wirtschafts- und Sozialpolitik verfolgt, handelt es sich doch - im Unterschied zu Afghanistan - um ein in vielerlei Hinsicht modernes Land, das auf jedes Patronat von außen verzichten kann. Wenn ein Großteil seiner Bevölkerung heute arm ist, liegt das vorwiegend am Embargo. Trotz aller Auszehrung sind damit jedoch keine solchen Bilder der Armut verbunden, wie sie für Afrika typisch sind. Gegen den Saddam-Staat ließ sich gewiss vieles vorbringen, doch hat er das Land bis zum Ausbruch des Krieges relativ kontinuierlich mit Grundnahrungsmitteln versorgt. Ob eine Militäradministration das schafft, wird sich noch zeigen müssen.

Das würdelose Gerangel um ein »Recht« am Wiederaufbau, nach dem die Europäer gieren, ist obszön. Respektierte man die Souveränität des Landes, wäre sofort ein Wiederaufbau aus eigenen Kräften möglich. Der Irak verfügt über ein ausreichend qualifiziertes Personal. Sogar die Frauenemanzipation war soweit gediehen, dass Saddams Biowaffen-Programm einst von einer Dame geleitet wurde. Und es gibt eine gebildete Schicht, die eine Demokratie auf den Weg bringen könnte.

Gerade in der arabischen Welt, die bis in die sechziger Jahre hinein, von europäischen Mächten dominiert oder kolonisiert war, ist der Demokratie-Begriff viel stärker als im heutigen Europa mit dem sozialen Inhalt nachholender Nationenbildung erfüllt. Die Araber erfuhren im 20. Jahrhundert, dass ihnen weder die großen Imperien noch die karitativen Pflichten der reichen Muslime gegenüber den Armen Stabilität brachten. Sozialen Fortschritt gab es, wenn überhaupt, nur auf der Basis eines unabhängigen Staates und eines staatlichen Wirtschaftssektors. Dass dabei eine Demokratisierung ausblieb, wurde für den Nahen Osten ebenso zur Achillesferse wie für Osteuropa.

Aber auch dem Westen ging es nie wirklich um Demokratie in der Region. Als Briten und Franzosen 1956 in Ägypten eindrangen, war die vorherige Nationalisierung des Suezkanals das entscheidende Motiv. Und die sich jetzt abzeichnende Entstaatlichung der irakischen Ölquellen ist daher ein Vorgang, den die arabische Welt als Meilenstein ihrer erneuten Kolonisierung begreift. Dass sie dem ohnmächtig zusehen muss, verheißt nichts Gutes.

Die Solidarität der meisten Kriegsgegner mit dem irakischen Volk entspringt keiner Sympathie für Saddam oder allein der Empörung über die Verletzung von Menschenrechten, die dieser Krieg verursachte. Die Solidarität resultiert vielmehr aus der immer deutlicher wahrgenommenen Gefahr, die von einer fortschreitenden Erosion des Prinzips der Volkssouveränität ausgeht. Wenn demokratisch gewählte nationale Parlamente heute kaum mehr über Arbeitsplätze, Gesundheit und Sozialversorgung der Menschen souverän entscheiden können, dann ist auch das eine Art Kolonisierung. Dazu ist keineswegs die stete Präsenz einer Besatzungsmacht vonnöten. Aber wer sich nicht freiwillig unterwirft, muss damit rechnen, von High-Tech-Waffen zur Räson gebracht zu werden.

Bislang galt die UNO zumindest moralisch und teilweise auch rechtlich als Garant für die Souveränität der Völker, und viele mögen hoffen, dass es wenigstens dabei bleibt. In der arabischen Welt jedoch hat man die Weltorganisation zuletzt vor allem als hartherzigen Vollstrecker des Embargos wahrgenommen, mit dem sie sich zwölf Jahre lang gegen das irakische Volk instrumentalisieren ließ. Man hat außerdem gesehen, wie die Vereinten Nationen unfähig waren, den Krieg zu verhindern, um nun endgültig zum Reparatursklaven der US-Kriegsmaschinerie degradiert zu werden. Damit wäre das Königsprinzip installiert, nach dem die Neue Weltordnung funktionieren soll.

Will die UNO unter diesen Umständen je wieder zum glaubwürdigen Anwalt der Volkssouveränitäten werden und künftige Kriege vermeiden, darf sie die für den Irak notwendige humanitäre Hilfe nicht selbst leisten. Sie sollte ausdrücklich nur als Koordinator internationaler und privater Hilfsleistungen agieren. Gleiches gilt für einen möglichen Blauhelm-Einsatz. Für Ordnung und Humanität muss der sorgen, der Unordnung und Inhumanität über das Land gebracht hat.

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