Israels Staatskrise: Rechtskoalition kann nicht gegen einen Teil der Gesellschaft regieren

Meinung Reservisten wollen bei Inkrafttreten der Justizreform den Dienst verweigern, was Konsequenzen für die Sicherheit Israels hätte. Weil die nie in Gefahr sein sollte, hat die Rechtsaußen-Koalition dem Land eine veritable Staatskrise beschert
Ausgabe 13/2023
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu

Foto: Amir Levy/Getty Images

Selbst in hierzulande hochgeschätzten Demokratien verstärkt sich der Autoritarismus. Auch in Israel, wo er auf anhaltenden Widerstand breiter Bevölkerungskreise stößt. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kann das nicht länger ignorieren. Die zweite Lesung der geplanten Reform, mit der höchste Instanzen der Justiz in Abhängigkeit von politischen Entscheidungen der Knesset geraten sollen, musste er auf frühestens Ende April verschieben.

Den Likud brüskiert

In Netanjahus mühsam mit mehreren rechtsextremen Ministern besetzten Kabinett gibt es keine Einigkeit mehr über den Sinn des Vorhabens. Zumal es längst nicht allein darum geht, die Gewaltenteilung für die jüdische Bevölkerung zu bewahren. Wegen des Verbots, ihre Fahne öffentlich zu zeigen, sind Palästinenser zwar von den Demonstrationen praktisch ausgeschlossen, doch indirekt sehr wohl beteiligt, wenn eine relevante Zahl von israelischen Reservisten ankündigt, bei Inkrafttreten der Reform den Dienst zu verweigern.

Vor allem das brachte Netanjahus Kabinett auf die schiefe Bahn. Verteidigungsminister Yoav Galant erklärte öffentlich, dass damit die Sicherheit Israels nicht mehr gewährleistet sei, woraufhin er seinen Posten räumen musste. Damit hatte der Regierungschef nicht nur den Likud, dem Galant angehört, sondern ebenso Präsident JitzchakHerzog brüskiert, der ebenfalls immer wieder vor dem Vollzug der Reform warnte und jetzt Gespräche zwischen der Regierung und der Opposition moderieren will.

Widerstandsorte auslöschen

Nachgegeben hat Netanjahu stattdessen erneut den Nationalreligiösen. Finanzminister Bezalel Smotrich von der Religiösen Zionistischen Partei hat eben in den USA und Frankreich wissen lassen, dass alle Orte des palästinensischen Widerstands ausgelöscht werden müssten. Geschehen solle das durch eine staatlich sanktionierte Aktion der Armee, nicht durch private Pogrome wie am 27. Februar in dem Städtchen Huwara. Vor einer Karte, die nicht nur die Westbank und Gaza einem künftigen Großisrael zuschlägt – Jordanien ebenfalls – behauptete Smotrich, dass es keine palästinensische Nation gäbe und daher die Annexion ganz Palästinas und darüber hinausreichender Gebiete gerechtfertigt sei. Daraufhin stimmte das jordanische Parlament dafür, den israelischen Botschafters auszuweisen. Aber auch die USA und die EU wollen Smotrichs Vision nicht folgen, der sich schließlich entschuldigte, ihm sei die Wortwahl misslungen.

Mehr noch scheint Netanjahu am Gängelband des Ministers für Innere Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, von der Partei Otzma Yehudit (Jüdische Macht) zu hängen. Der drohte mit Rücktritt, falls die Justizreform fallengelassen werde. Auf die Verschiebung wollte er sich nur einlassen, sollte ihm die Bildung einer „Nationalgarde“ genehmigt werden. Gedacht ist offenkundig an eine Spezialeinheit, die mit dem Aufräumen oder Auslöschen palästinensischer Ortschaften beauftragt werden kann, wenn die Armee sich dazu nicht bereit zeigt.

Das Lied der Siedler

Die Zeitung Haaretz kommentiert, dass Netanjahus Parteigenossen von seinem „Blitzkrieg“ entsetzt seien und sich „die Wunden lecken“, die er ihnen zufügt. Als staatstragende Partei hat der Likud stets versucht, im Ausland als gemäßigt zu erscheinen und sich weder auf eine Vertreibung von Palästinensern noch eine Annexion der Westbank festgelegt. Realiter setzt der Likud auf die schleichende Annexion durch genehmigte Siedlungsbauten. Deren Bewohner wünschen sich mehr Tempo. „Sie verbreiten ein Lied im Netz: Who`s going up in flames now? Houses and cars in Huwara!“ (Was geht jetzt in Flammen auf? Häuser und Autos in Huwara!)

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