Noch weniger als mit dem Faschismus setzte man sich in der Bundesrepublik mit dem Antifaschismus auseinander. Diesem die wirkungsmächtige Ästhetik des Widerstands gewidmet zu haben, bleibt das große Verdienst von Peter Weiss. Es ist um so höher zu bewerten, als hier nicht nur die Leiden und Opfer thematisiert wurden, die die antifaschistische Aktion forderte, sondern auch die Kampfesebene der Ästhetik. Mit der Bemerkung "Heute, da für mich die Zeit reif ist, um die Linien, die damals entstanden, zusammenzuführen, sehe ich, daß wir mit der kulturellen Revolution den Umbruch meinten, der den politischen Kampf erst zur Erfüllung bringen konnte", steht Weiss weit über dem Problembewusstsein heutiger Linker in Politik und Kultur.
Die Singularität und auch der durchaus eingelöste Grundanspruch des Werks machen es schwer, es zu kritisieren. Und doch gibt es Gründe dafür. Sie betreffen den von den meisten Lesern vermuteten hohen Anteil des Faktischen und Objektiven. Dem bundesdeutschen Leser fehlten mangels anderer Werke zum Thema die Vergleichsmöglichkeiten. Da das in der DDR anders war, blieb die Rezeption hier verhaltener. Auch Intellektuelle, die sich Bücher aus dem Westen beschaffen konnten, interessierten sich kaum dafür. Neben viel Fragwürdigem waren wissenschaftlich dokumentierte Forschungen zur deutschen Kulturszene in den Exilländern als preiswerte Reclambände verfügbar, ediert von dem nicht stalinismusverdächtigen Werner Mittenzwei. Dieser hielt 1979 eine "Ästhetik des Widerstands" betitelte Sitzungsrede an der Akademie der Wissenschaften, in der er eigene Grundlinien des Themas formulierte. Weiss´ Buch würdigte er erst am Ende als Parallelunternehmen, das die erste Synthese der antifaschistischen Kulturströmungen gewagt habe. Mit dem Hinweis, dass die von Weiss prätendierten Ziele des linken Medienmoguls Willy Münzenberg jedoch wenig mit denen der historischen Gestalt zu tun hätten, deutete Mittenzwei an, dass das Buch keine durchgängige dokumentarisch-wissenschaftlich Qualität habe. Selbst Brecht-Spezialist, bezog er keine Stellung zur Authentizität der von Weiss gezeichneten Brecht-Gestalt, obwohl sie im Zentrum des Buches steht.
Das unternahm der in USA lehrende Germanist Jost Hermand zu den Brechttagen 1983. Er wies auf die von Weiss zwar öffentlich gemachte, dem Publikum jedoch meist nicht bewusste Tatsache, dass er den Stockholmer Brecht "ja selber kaum oder gar nicht gekannt hat". Und obwohl er sich bemühe, ihn "so historisch objektiv wie nur möglich darzustellen", sei das Ergebnis zweifelhaft, da es von modischen Anti-Brecht-Affekten geprägt sei und von einem "Unterlegenheitsgefühl des Jüngeren dem älteren Meister gegenüber", einer Art "Übervater, dem er mit einer instinktiven Abneigung gegenübertritt, da dieser all das hat, was er nicht besitzt: nämlich Lebenskenntnis, Frauen, künstlerische Meisterschaft, politische Übersicht usw." Dass sich Weiss dieses Ressentiments bewußt war, zeige die Äußerung: "Mir war Brecht eigentlich nicht sympathisch, weil er sich für mich nicht interessierte. Ich habe auch Minderwertigkeitsgefühle gehabt: Ich hatte ihm nichts zu zeigen, keine fertigen Werke ... Er war von Menschen umgeben, die ihm halfen und die ständig bereit waren, ihm alles aus dem Weg zu räumen."
Als ich 1987 in meinem Buch Ein akzeptabler Mann? vorschlug, Brechts Polygamie und das kollektive Arbeiten im Exil nicht als sexuell basierte Ausbeutung, sondern als solidarische Produktionsform unter widrigsten Bedingungen zu sehen, schrieb mir eine Freundin, dass es sinnlos sei, gegen Weiss anzukämpfen, der damals "dabei gewesen" sei. Die Leser der Ästhetik des Widerstands konnten in dem als "dokumentarischem Roman" bezeichneten Werk Fiktives einfach nicht erkennen. Ausgerechnet im großen Versuch, antifaschistische Ästhetik für künftige Generationen aufzuarbeiten, erschien Brechts Überzeugung von der faktischen, aber bewusst zu organisierenden Kollektivität der Kunst als Egoismus eines pathologischen Exzentrikers. Schlimmer: Weiss spielt herunter, dass die Kollektivarbeit im Exil den zusätzlichen Aspekt des nur gemeinsam möglichen Überlebens bekommen hatte. Für ihn blieb Großes in der Kunst Ausfluss individuellen Genies. Damit schrieb er die bürgerliche Idee der Kunst fort.
Schon Hermand wies darauf hin, dass die feministischen Aspekte von Weiss´ Brecht-Kritik "modisch feministische Argumente der Jahre um 1975" verkörpern. Der strukturelle Opferstatus der Frau wurde damals den Männern als individuelle Schuld angelastet, was jedoch dem Selbstverständnis antifaschistisch aktiver Frauen keineswegs entsprach. Auch wenn sie selten ökonomische und sexuelle Gleichberechtigung erreichten, hatten sie sich gegenüber den Männern doch schon als selbstverantwortliche Subjekte empfunden. Weiss war wohl der erste, der die organisatorischen Aufgaben und Recherchearbeiten von Ruth Berlau und Margarete Steffin als Ausbeutung beschrieb, die eigene Kreativität blockierte. Dass der Kunstmarkt der Exilländer einer am Anfang ihrer Schreiberfahrungen stehenden jungen Kommunistin wie Steffin keine Chancen außerhalb von Brechts Schreibwerkstatt eröffnete, blendete er seltsamerweise aus.
Weiss Tagebücher zeigen, dass er die negativen Punkte des Äußeren und des Verhaltens von Brecht aus einem Gespräch mit Berlau von 1966 schöpfte. Abgesehen davon, dass die Notizen flagrante Ungenauigkeiten enthalten, die den Eindruck erwecken, dass vielleicht nicht nur Berlau getrunken hatte, konnte er die psychische Instabilität der Dänin offenbar nicht erkennen. Anderntags wäre sie fähig gewesen, ihm genau das Gegenteil zu erzählen, nämlich dass Brecht der angenehmste Mann war, der ihr je begegnet sei. Da sie am Besuchstag von Weiss aber zufällig brechtfeindlich gestimmt war und diese Haltung der seinen entsprach, entwickelte er die später von anderen weiter ausgebaute Pathologisierung Brechts. Auch die feministischen Aspekte seiner Brecht-Kritik wurden in der sich entfaltenden Restaurationsperiode gerade von Linken oder ehemals Linken fortgeschrieben: angefangen von Klaus Theweleits Buch der Könige über Jutta Brückners Brecht-Filme bis hin zu John Fuegis "Text-for-Sex"-These von 1994.
Es braucht den dialektischen Blick Gramscis, der über Hegel schrieb, dass er auf zwei Pferden zugleich geritten sei: auf dem der Revolution und dem der Restauration. Das trifft für Weiss ebenso zu, auch bezüglich der Schreibform. Die für den normalen Leser unentwirrbare Mischung von Dokumentation und Fiktion wurde zu einem für die Postmoderne typischen Verfahren. Die Ästhetik des Widerstands zeigt, dass es auch durch Linke mitkonstruiert wurde. Obgleich in keiner Kunst eindeutiges Scheiden von Subjektivem und Objektivem möglich ist, sollte nicht vergessen werden, dass das historisch Konkrete in Peter Weiss´ Ästhetik des Widerstands bereits qua Methode weitgehend vom Subjektiven überwältigt ist. Dass man Historizität und historische Dokumente in subjektive Erzählung und Interpretation nahtlos einbinden kann, ohne die Grenzen zu verwischen, zeigen dagegen beispielhaft einige Romane der Schriftstellerin Assia Djebar. Die notwendige Erkenntnis, dass auch die Ästhetik des Widerstands ein Roman ist, wird dem Leser dagegen schwer gemacht.
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