Tätowierte Frauenkörper

Eine Sache des Einzelnen Wer in Westeuropa gegen den Islam einen unversöhnlichen Kulturkampf führt, fordert nicht nur terroristische Netzwerke heraus

Der Mord an dem holländischen Filmemacher Theo van Gogh vor reichlich zwei Monaten hatte manchen befürchten lassen, nun werde auch in Europa eine Serie islamistischer Attentate auf Intellektuelle einsetzen, wie es sie in den neunziger Jahre in Ägypten und vor allem in Algerien gab. Leider ist der furchtbare Mord - van Gogh wurde erschossen und dann geschächtet - wenig analysiert, dafür um so mehr instrumentalisiert worden. Er war stattdessen der deutschen Rechten Anlass, nach dem Vorbild der regierenden holländischen Christdemokraten (CDA) unter Premier Jan Peter Balkenende den periodisch wiederkehrenden Generalverdacht gegen den Islam erneut aufs öffentliche Tapet zu bringen.

Doch im Unterschied zu den Anschlägen auf Intellektuelle in Ägypten oder Algerien handelte es sich bei van Gogh offenkundig nicht um einen Auftragsmord eines größeren islamistischen Netzwerks. Das ergaben die Ermittlungen, das legte auch der Tötungsvorgang selber nahe, bei dem das Bild eines Ritualmordes erzeugt werden sollte. Dass der Täter aus einer kleinen Gruppe Radikaler stammte und in eigener Sache handelte, vermindert indes nicht die Gefährlichkeit des Falls. Auch die auf den Mord folgenden Moscheenbrände in Holland und in Deutschland wurden nicht von "Organisationen" geplant und ausgeführt, sondern von Unheil stiftenden Einzeltätern (bei den Bränden von Esslingen und Sinsheim sogar mit muslimischem Hintergrund). Wie es scheint, haben wir uns nicht allein auf Terror einzustellen, der von großen Verbindungen ausgeht, mit denen man notfalls in irgendeiner Form verhandeln könnte (wie das zwischen der US-Regierung und dem Bin-Laden-Clan schon üblich war). Im populistisch aufgeheizten Kampf der Kulturen tauchen immer mehr Menschen auf, die wir mit Dostojewski "Erniedrigte und Beleidigte" nennen müssen und die sich berufen fühlen, als Individuen terroristisch zu handeln. Ein Trend, der keinen Zweifel lässt - für das geistige Duell zwischen den Kulturen muss unbedingt ein anderes Niveau gefunden werden. Leider war Theo van Goghs Auseinandersetzung mit dem Islam eher Teil des populistischen Kulturkampfs als eines friedfertigen Disputs, der Fairness respektiert.

Ein Foto von Hirsi Ali

Im Dezember 2004 gab es in der Berliner Volksbühne Gelegenheit, Ausschnitte aus van Goghs Filmen zu sehen, darunter Submission, der zum unmittelbaren Anlass des Attentats wurde. Der Regisseur fühlte sich von Werken der iranischen Künstlerin Shiran Neshat inspiriert, die Frauen fotografiert und zeichnet, deren vom Tschador nicht verhüllte Körperteile mit Koran-Versen tätowiert sind. Eine künstlerische Ausdrucksform, die von den meisten gläubigen Muslimen noch als legitim empfunden werden kann, ihre politische Wirkung aber gerade aus der Zweideutigkeit bezieht.

In Submission sieht man einen tätowierten Frauenkörper, der nur von einem vollkommen durchsichtigen Schleier bedeckt ist. Unter Bild erzählt dazu eine Frau ihr Leben, die erst beschnitten, später zwangsverheiratet wurde und nun auf ihre Tötung wartet, weil sie ihren Mann betrogen hat. Eine Geschichte, der durchaus bestimmte Wahrheiten in der islamischen Welt entsprechen - die als pauschalisierende Fabel eines suggestiven Kurzfilms auf Muslime jedoch äußerst provozierend wirken kann. Und Submission war nur einer von vielen Klischeeangriffen, die van Gogh gegen Muslime startete. In seinen Zeitungskolumnen nannte er seine islamischen Mitbürger gelegentlich auch einmal "Ziegenficker".

Der eigentliche Skandal aber, als den viele Muslime in den Niederlanden Submission empfanden, ergab sich aus der Tatsache, dass Hirsi Ali das Drehbuch verfasst hatte, eine aus Äthiopien stammenden Frau, die in Den Haag als Abgeordnete der neoliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) nach Umfragen zur beliebtesten Politikerin aufgestiegen ist. Hirsi Ali versteht es, alle Details ihres eigenen schrecklichen Mädchenschicksals der Öffentlichkeit so eindrucksvoll mitzuteilen, dass sie im niederländischen Kulturkampf zwangsläufig als sinnbildhaftes Opfer eines menschenverachtenden Islam erscheint. Da ihre Partei zu Jan Peter Balkenendes Regierungskoalition gehört, empfanden viele Muslime diese Radikalkritik wie auch den Film van Goghs gewissermaßen als regierungsoffizielle Verdammung. Auf Theo van Goghs totem Körper fand sich denn auch neben einem Bekennerbrief ein Foto von Hirsi Ali - möglicherweise das eigentliche (politische) Ziel des Anschlags.

Der Vergleich mit Salman Rushdie

Hirsi Ali schreibt inzwischen an weiteren Folgen von Submission, schließlich - so die veröffentlichte Meinung in den Niederlanden mehrheitlich - müssten auch die Muslime endlich lernen, mit der Freiheit der Kunst zu leben. Ein verantwortungsloses Argument gegenüber einer rechtlich und sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppe. Die Freiheit der Kunst ist einst als Freiheit der Schwachen gegenüber den Herrschenden erkämpft worden. Jeder sollte wissen, dass sie als Kampfmittel gegen marginalisierte Bevölkerungsgruppen - zu denen heute sowohl Zugewanderte als auch Einheimische gehören - hohe Risiken birgt. Wer halbwegs psychologisch gebildet ist, müsste wissen, dass Gewalt nicht nur durch terroristische Netzwerke ausgeübt wird. Die permanenten Gefühle der Ohnmacht und Scham, mit denen die Marginalisierten leben, lassen auch den Einzelnen zum Gewalttäter werden, den keine Polizei und kein Geheimdienst unter Kontrolle halten kann.

Man muss sich bewusst machen, dass seit dem 11. September 2001 und erst recht seit der Besetzung des Irak die Konfrontation zwischen Islam und westlicher Welt nicht mehr nur eine Sache unter Politikern und Intellektuellen ist. Sie erfasst alle Teile der Bevölkerung. Bei diesem - oft leichtfertig - durch Medien und Politiker angeheizten Kulturkampf kommt es nicht nur darauf an, ob von Wahrheiten die Rede ist, sondern auch, wer etwas wie sagt - und wer etwas weshalb verschweigt. Insofern hinkt auch der Vergleich des Falles Theo van Gogh mit Salman Rushdie. Die Verknüpfung der Partei VVD mit Hirsi Ali und Theo van Gogh wirkt tatsächlich wie eine propagandistische Instrumentalisierung à la Pim Fortuyn*, als dessen Anhänger sich van Gogh offen zu erkennen gab. Die Satanischen Verse Salman Rushdies stellen zwar ein ebenfalls provokantes Kunstwerk dar, allerdings von ungleich höherer Komplexität und ohne erkennbare Absicht der Instrumentalisierung gegen Marginalisierte.

Die in den Niederlanden, aber auch in Deutschland noch verbliebenen Kulturinstitutionen für die "unteren Schichten", besonders die Schulen, sollten endlich zur Kenntnis nehmen, dass die islamischen Länder eine große moderne Kultur besitzen, deren Spitzenleistungen die universellen Werte nicht minder eindrucksvoll repräsentieren als Kulturleistungen des Westens. Diese Manifestationen, die in Form unzähliger hochwertiger literarischer Übersetzungen vorliegen, gehören in den Ethik- und Deutschunterricht.

(*) Rechtspopulistischer Politiker, der am 6. Mai 2002 einem Attentat zum Opfer fiel.


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