Verdammte dieser Erde

Sachbuch Samir Amins letztes Buch sucht Wege aus der Malaise der Südhalbkugel
Ausgabe 41/2019
Ein afghanischer Bauer bei der Getreideernte. So wie er ist knapp die Hälfte der Weltbevölkerung beschäftigt
Ein afghanischer Bauer bei der Getreideernte. So wie er ist knapp die Hälfte der Weltbevölkerung beschäftigt

Foto: Majid Saeedi/Getty Images

Die Hälfte der Menschheit besteht heute aus Kleinbauern. Nicht nur ihr ökonomisches, sondern oft auch ihr physisches Überleben hängt davon ab, dass der Vormarsch eines global-kapitalistischen Agrobusiness gestoppt wird.

Da hilft die Lektüre des weltbekannten ägyptisch-französischen Ökonomen Samir Amin (1931 – 2018), der stets den Blick auch auf die Landwirtschaft gelenkt hat. Damit ist er kongenialer Nachfolger Frantz Fanons, der – entgegen dem gängigen marxistischen Kanon – die Situation der Bauernschaft als entscheidendes Entwicklungskriterium in den Ländern sah, die sich vom Kolonialismus befreiten.

Samir Amin legt in seinem letzten Buch Souveränität im Dienst der Völker dar, dass „dem heutigen Süden fünf Amerikas für seine Emigration zur Verfügung stehen“ müssten, wenn sich der gegenwärtige Trend der Lahmlegung bäurischer Kleinbetriebe durch die Ausbreitung des Agrobusiness und die Importe billiger Lebensmittel aus den Industrie- in die Entwicklungsländer fortsetzt.

Diese müssten ihre Souveränität nutzen, um ihren Binnenmarkt zu rekonstruieren. Aber Abschirmung genügt nicht. Wenn der Boden als Privateigentum handelbar ist, bildet sich leicht nationales Agrobusiness, das ebenfalls bäurische Existenzen vernichtet und seine Produktion eher auf Export als auf die Ernährungssicherheit des eigenen Landes orientiert. Nur China und Vietnam haben Bedingungen für die soziale Entwicklung der Landwirtschaft geschaffen – mit dem „Recht aller Bauern (definiert als Bewohner eines Dorfes) auf gleichen Zugang zum Land“, das grundsätzlich Staatseigentum bleibt.

Amin, der kollektivistische Phasen der sowjetischen und chinesischen Landwirtschaft kritisch sieht und nur – freilich technologisch unterstützte – bäuerliche Familienbetriebe für sinnvoll hält, bezeichnet dieses Recht als „die beste Errungenschaft der chinesischen und der vietnamesischen Revolution“.

Partizipation ist gefragt

Aber auch diese Systeme sind anfällig für Ungerechtigkeit, z. B. durch autoritäre Führungsstrukturen, Klientelismus und Korruption, unlauteren Wettbewerb um Subventionen und variable Faktoren wie Bodenqualität und Entfernung zu den besten Absatzmärkten.

Diese Probleme können nur durch umfassendes Organisationsrecht bearbeitet werden – und zwar innerhalb und zwischen den bäuerlichen Gemeinschaften. Aber auch gegenüber dem Staat. Hier ist entschieden partizipative, nicht nur repräsentative Demokratie erforderlich.

Privateigentum an Boden kann zunächst begrenzt werden und kontrollierte Öffnung für das Agrobusiness kann gelegentlich sinnvoll sein. „Wesentlich ist etwas anderes: die Modernisierung der familiären bäuerlichen Landwirtschaft und die Demokratisierung der Steuerung ihrer Integration in die nationale Wirtschaft und die globalen Zusammenhänge.“ Das setzt voraus, dass die Länder der Peripherie Bündnisse eingehen, um der Kreditdiktatur von IWF und Weltbank auszuweichen und die imperialistischen Anmaßungen der noch hegemonialen „Triade“ (USA, Westeuropa und Japan) zurückzudrängen.

Die Bedingungen sind besser als bei dem ersten Versuch der 27 Bandung-Staaten zwischen 1955 und 1963, dem Neokolonialismus die Stirn zu bieten. Sie wurden auseinanderdividiert, weil sie extrem abhängig von westlicher Technologie waren. Einige ehemals periphere Staaten haben heute Waffensysteme entwickelt, die mit denen ihrer potenziellen Herausforderer gleichziehen.

Erwähnt sei auch Samir Amins Feststellung über Migrationsbewegungen: Diese seien auch unter dem Aspekt zu bewerten, dass durch Abwanderung der jungen und ausgebildeten Menschen die Entwicklung von antiimperialistischem und antikapitalistischem Klassenbewusstsein sowohl in den Herkunftsländern als auch in den Zielländern behindert wird.

Der Weltmarkt liberalisiert sich nur für Waren, Dienstleistungen und Finanzen. Der Arbeitsmarkt unterliegt weiterhin strenger Kontrolle, die sich je nach den Bedürfnissen der Triade gestaltet.

Info

Souveränität im Dienst der Völker. Plädoyer für eine antikapitalistische nationale Entwicklung Samir Amin Promedia Verlag 2019, 144 S., 17,90 €

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden