Völker als Geiseln

Nahost Wo politische Lösungen fehlen, werden asymmetrische Kriege geführt
Ausgabe 20/2021
Die Produktion von Raketen der Hamas im Gazastreifen und der Hizbollah im Libanon wird durch iranische Hilfe ermöglicht
Die Produktion von Raketen der Hamas im Gazastreifen und der Hizbollah im Libanon wird durch iranische Hilfe ermöglicht

Foto: Jack Guez/AFP/Getty Images

Anstatt des weltweit befürchteten Großkriegs zwischen Iran einerseits und Saudi-Arabien, Israel, den USA wie deren Alliierten andererseits finden im Nahen Osten lokale Stellvertreterkriege statt. Eine mit Langstreckenraketen, womöglich Nuklearwaffen geführte Konfrontation würde mit großer Wahrscheinlichkeit die ganze Region inklusive der Entscheidungszentren in wenigen Tagen zerstören. In der Konsequenz wird niederschwelliges, aber hoch entwickeltes Gerät eingesetzt. Daraus ergeben sich Möglichkeiten für asymmetrische Formen der Kriegsführung. Die betroffenen Völker werden zu Geiseln ihrer Führungen, die keine politischen Kompromisse zustande bringen können oder wollen. So wird Israel durch relativ kleine, aber zahlreiche Raketen aus dem Gazastreifen und Südlibanon angegriffen, während die Palästinenser unter weitaus schwerwiegenderen israelischen Bombardements zu leiden haben. Außer, dass sich ungebrochener palästinensischer Widerstandswille manifestiert, wird kaum ein politisches Resultat zu erwarten sein.

Anders im Jemen, wo eine unter saudischer Führung stehende, mit modernen Waffen ausgestattete Koalition den Aufstand der Huthis gegen eine von ihnen als illegitim betrachtete Regierung niederschlagen wollte. Was trotz massiver Luftschläge nicht gelang. Die Huthis hingegen konnten mit relativ einfachen Drohnen mehrfach saudische Städte attackieren und sogar das wichtigste Zentrum der Erdölförderung für Tage lahmlegen. Sie haben erreicht, dass die USA auf ein Ende des Konflikts drängen. Zumal sich im Persischen Golf gerade ein neues Szenarium eines unerklärten Kleinkrieges abzeichnet: Israel und Iran greifen mit mobilen Einsatztrupps gegenseitig ihre Handelsschiffe an. Bisher sind die Schäden noch überschaubar, doch birgt der Tankerkrieg die Gefahr unkontrollierbarer Eskalation.

Die Produktion von Raketen der Hamas im Gazastreifen und der Hizbollah im Libanon, die in tief gelegenen, offenbar durch israelische Bombardierungen nicht erreichbaren Tunnelsystemen gelingt, wird durch iranische Hilfe ermöglicht. Gleiches gilt für die Drohnen der Huthis. Mit Flugkörpern dieser Art wurde Anfang Mai viermal die US-Basis Ain Assad im Irak angegriffen und ein Hangar zerstört. Nach kurdischen Angaben explodierte Mitte April eine mit Sprengstoff ausgerüstete Drohne aus der Islamischen Republik auf dem militärischen Teil des internationalen Flugplatzes Erbil im Nordirak. Ziel der iranischen Drohnenangriffe ist der auch von einer Mehrheit der irakischen Bevölkerung gewünschte Abzug der US-Truppen.

Das mittelfristig zu erreichen, scheint nicht unrealistisch. Das augenfälligste Ergebnis einer asymmetrischen Kriegsführung ist der von Präsident Trump eingeleitete und von Nachfolger Biden überraschend schnell beschlossene Rückzug aus Afghanistan. Obwohl die USA und ihre Verbündeten zwei Jahrzehnte lang erhebliche Mittel einsetzten, um die Sicherheitsbasis einer prowestlichen Regierung in Kabul zu stabilisieren, haben die Taliban in den meisten Provinzen die militärische Oberhand gewonnen. Ob und von wem sie unterstützt wurden, ist unbekannt. Mutmaßlich reichte ihnen das auf afghanischem Boden vorhandene militärische Equipment.

Bei der Analyse dieser den Nahen Osten und Mittelasien zutiefst schädigenden Kriege lässt sich nicht das politische Fazit ziehen, dass sie Demokratie und Rechtsstaat dienen. Vielmehr geht es für die um Entwicklung und Wohlstand gebrachten Völker, nicht zuletzt die Palästinenser, nur noch um Sicherheit und Selbstbestimmung.

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