In Algier eintreffende Fluggäste wurden seit Anfang März einer Temperaturmessung unterzogen. Da war das Virus schon im Land, vermutlich eingeschleppt durch eine Familie aus Frankreich, die Angehörige in Blida besuchte. Zehntausende im Ausland von der Pandemie überraschte Bürger werden seither nach Hause geflogen und für 14 Tage in Quarantäne-Hotels eingewiesen.
Dass Mitte März auch die Moscheen schließen mussten, belastet hauptsächlich all jene, die sich durch Frömmigkeit vor Corona schützen wollten. Ausgerechnet zum Ramadan fand sich das religiöse Leben in die Privatsphäre verbannt. Da wollte man wenigstens das übliche reichliche Mahl zum abendlichen Fastenbrechen genießen. Aber auch da machte Corona so manchen Strich durch die Rechnung, denn durch das morgendliche Gedränge auf den Märkten kam es immer wieder zu Infektionen. Folglich gerieten die Beschränkungen für das den Ramadan krönende Aid-Fest besonders radikal: Zwei Tage lang herrschte Ausgangssperre schon ab 13 Uhr.
Sieg des Gesundheitssystems
Algerien verfügt über ein für alle Bürger kostenloses Gesundheitssystem, darauf gestützt wie durch Equipment aus China konnten schnell Millionen Masken kostenlos verteilt werden. Von da an traten Politiker, inklusive des Präsidenten, in geschlossenen Räumen oder unter freiem Himmel nur noch mit Mundschutz auf. Algerische Universitäten konnten internationale Forschungsgelder für sieben Corona-Projekte einwerben: für eine Studie über die Zunahme häuslicher Gewalt im Regierungsbezirk Oran ebenso wie für Untersuchungen zum Malaria-Medikament Hydrochlorochlorin, das dank eigener Kapazitäten hergestellt und exportiert wird. In Algier wurde es schon frühzeitig zur Behandlung an Covid-19 schwer Erkrankter genutzt. Man habe mit diesem Medikament gute Erfahrungen gemacht, bestätigte das tägliche Bulletin des Gesundheitsministers. Nicht nachvollziehbar sei es, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Forschungen zu Hydrochlorochlorin nicht mehr kofinanziere. Stecken Pharmariesen dahinter, die den Markt für eigene Produkte frei halten wollen?
Strikt zu sein, hat sich gelohnt. Bis zum 3. Juni gab es im Land knapp 10.000 Infektionen, von denen 667 tödlich verliefen, bezogen auf die Bevölkerungszahl eine geringere Rate als in Deutschland. Das Institut Pasteur in Algier verkündete am 1. Juni, dass man täglich nur noch halb so viele positive Testergebnisse wie im Mai registriere. Das Virus sei unter Kontrolle gebracht.
Es war ein Corona-bedingter Einschnitt, als die Moscheen schlossen und gleichzeitig die Komitees der seit Februar 2019 jeden Freitag demonstrierenden Demokratiebewegung „Hirak“ verkündeten, die Märsche vorläufig einzustellen. Umgehend fand sich die Regierung in den sozialen Medien dem Vorwurf ausgesetzt, den Ausnahmezustand zu nutzen, um Aktivisten des „Hirak“ zu verfolgen. Zum Beispiel den begabten Journalisten Khaled Drareni, der zu friedlichem Massenaufruhr aufgerufen und die Einheit des nationalen Territoriums infrage gestellt haben soll. Drareni wirbt für eine autonome Kabylei und arbeitet für private TV-Sender wie den staatlichen französischen Kanal France 5, für den er Dokumentationen über den „Hirak“ drehte.
Ein Exempel für die Schizophrenie einer Pressefreiheit, die für Gedrucktes weitgehend besteht, nicht jedoch für audiovisuelle Medien, die populär sind und ein Publikum haben, das sich seit den 1980ern mit Parabolantennen auch über ausländische Sender informiert – da bleiben die Regierenden sensibel. So rief Algérie – mon amour, der am 26. Mai auf France 5 ausgestrahlte Dokumentarfilm über den „Hirak“, ungemein scharfe offizielle Proteste hervor. Der algerische Botschafter in Paris wurde per Sonderflugzeug zu Konsultationen nach Algier beordert.
Verbote ohne Sinn
Dem Werk, das fast ausschließlich auf Interviews mit jungen „Hirakisten“ beruht, wird angekreidet, das Verhältnis der Armee zum „Hirak“ falsch darzustellen. Anstoß erregte auch die wenig dezente Art, in der über Alkohol und Sex gesprochen wird. France 5 reagierte mit dem Hinweis, dass in Frankreich Staatsinteressen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der Regel nicht beeinflussen dürfen. Abgesehen davon sei die in Khaled Drarenis Dokumentarfilm wiedergegebene Kritik von Jugendlichen auch in der unabhängigen Presse Algeriens zu finden.
Der Konflikt offenbart ein seltsam rückwärtsgewandtes Verständnis der globalisierten Informationsgesellschaft, in der Verbote wenig Sinn ergeben. Tatsächlich haben sowohl die Regierung als auch Algeriens staatliche Medien den „Hirak“ zwar immer wieder gelobt, sich aber nur sehr ungenügend mit seinen Forderungen beschäftigt. Insofern ist es eine offene Frage, ob die angekündigten Prozesse gegen 50 der Korruption verdächtigte ehemalige Minister ausreichen, um den Furor der Bewegung zu dämpfen. Man hätte Algérie – mon amour schon deshalb souveräner begegnen können, weil der polizeiliche Umgang mit dem „Hirak“ deutlich ziviler ausfiel als Frankreichs behördliche Reaktion auf die Gelbwesten.
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