Wähl´ und stirb!

Demokratie-Diktat Für imperiale Ziele wird im Irak eine der wichtigsten Institutionen der modernen Welt missbraucht

Obwohl die Souveränität der Völker angeblich an Bedeutung verliert, wird der Legitimität von Regierungen nach wie vor größte Bedeutung beigemessen, auch wenn Wahlen dabei zur traurigen, womöglich gar blutigen Farce verkommen. Der Irak soll buchstäblich an den Haaren zur Wahl gezogen und die Welt zur Akzeptanz einer demokratischen Fassade gezwungen werden.

Dass auch in einem besetzten Land gewählt werden und eine solche Abstimmung sinnvoll sein kann, haben die Palästinenser gerade vorgeführt. Deren Votum war vor allem deshalb sinnvoll, weil dadurch faktisch das Existenzrecht eines palästinensischen Staates bestätigt wurde. Wie weit allerdings unter einer Besatzungsmacht und bei deren militärischen Eingriffen von einer wirklich fairen und demokratischen Mitbestimmung die Rede sein kann, ist eine andere Frage. Die Besatzungsmacht kann - wie das Israel mit dem unabhängigen Kandidaten Mustafa Barghouti vorgeführt hat - durch die eingeschränkte Bewegungsfreiheit eines Bewerbers das Wahlergebnis beeinflussen. Nur der großen, in den Jahrzehnten des Widerstands gereiften Disziplin des palästinensischen Volkes war es zu danken, dass diese Willkür nicht zu gefährlichen Polarisierungen führte. Selbst die bewaffneten Gruppen haben sich zu einer demokratischen Zukunft Palästinas bekannt, indem sie offenbar nirgendwo Bürger an der Stimmabgabe gehindert haben.

Genau diese Voraussetzung ist im Irak nicht gegeben. Für einen Großteil der Bürger wird am 30. Januar der Gang zur Wahlurne mit Gefahren für Leib und Leben verbunden sein. Und ein Großteil der Kandidaten kann sich nicht, wie das bei den palästinensischen Politikern der Fall ist, darauf berufen, jahrzehntelang die Besatzungsmacht bekämpft zu haben - im Gegenteil, viele stehen im Geruch der Kollaboration.

Eine unabhängige Zivilgesellschaft existiert im Irak nicht, und die Amerikaner können sie weder synthetisch erzeugen noch aus dem Boden stampfen. Es scheint die Besatzungsmacht auch wenig zu stören, dass nunmehr alle bedeutenden sunnitischen Parteien die Wahl boykottieren wollen. Schon allein deshalb wird es sich um eine Farce handeln. Wenn andererseits die Schiiten - und offenbar auch die Kurden - wählen wollen, lässt die ausstehende Abstimmung Konturen einer Dreiteilung des Irak deutlicher denn je erkennen. Aber derartige Separationen und Spaltungen sind es womöglich, die von den USA gewollt werden.

Man darf gespannt sein, wie sich die Besatzer gegenüber einem mit ziemlicher Sicherheit aus dem schiitischen Lager kommenden Wahlsieger verhalten. Bisher ist es allerdings merkwürdig still um die Kandidaten - die Weltgemeinschaft kennt eigentlich nur Premier Ijad Allawi, den Wunschkandidaten der Amerikaner, der freilich nicht so leicht siegen dürfte wie Hamid Karzai in Afghanistan.

Man sollte sich darüber im klaren sein, dass für imperiale Ziele eine der wichtigsten Institutionen der modernen Welt missbraucht und damit entscheidend entwertet wird. Freie Wahlen gehörten in der Zeit der System-Konfrontation zum attraktivsten Mobiliar des Westens, weil sie als Möglichkeit der politischen Artikulation den Bürgern hin und wieder ein Anlass zu selbstbewusster Mitbestimmung waren. Die Institution der freien Wahlen galt als ein entscheidender Vorzug sowohl gegenüber den sozialistischen als auch den meisten Ländern der Dritten Welt. Den Regierungen dieser Staaten wurde zu Recht mangelnde Legitimität vorgeworfen. Anderthalb Jahrzehnte nach dem Untergang des Ostblocks - der ein Sieg der Demokratie gewesen sein soll - wird nun demokratische Legitimität ohne staatliche Souveränität zur Selbstverständlichkeit erklärt. Es ist erstaunlich, dass sich auch die UNO das widerstandslos gefallen lässt. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben wäre es doch gerade jetzt, anhand eindeutiger Kriterien zu definieren, unter welchen Umständen Wahlen möglich sind und unter welchen auf keinen Fall.


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