Während der so genannte "Clash of Civilisations" im Nahen und Mittleren Osten blutig ausgefochten wird, findet er in unseren Breiten eher als Kulturkampf statt, als frivole Begleitmusik des Kriegs gegen islamische Länder, an dem der Westen, Deutschland inklusive, auch militärisch beteiligt ist. Globalisierungsbedingt leben aber auch viele Muslime bei uns.
Offiziell geht es in beiden Kampfzonen darum, dass sie endlich Demokraten werden sollen. Während für die Zone, wo direkte Gewalt herrscht, kaum noch bestritten wird, dass es dabei eher um die Kontrolle über Bodenschätze, Land und Märkte geht, ist die Forderung, dass sich Muslime in nichtmuslimischen Ländern nach deren Gesetzen und Werten richten müssen, korrekt. Aber wird dieses Ziel durch Provokationen erreicht?
Dass unsere demokratische Kultur die fortschrittlichere, friedlichere ist, wird den hier lebenden Muslimen immer wieder gesagt. Dabei sind viele von den Gewaltexzessen der Armeen des Westens in ihren Herkunftsländern oft persönlich betroffen, zum Beispiel durch den Verlust von Angehörigen. Ist es da an der Zeit, von Muslimen als Beweis ihrer demokratischer Haltung zu verlangen, über Mohammed-Karrikaturen oder über das Köpfen des Propheten in einer Mozart-Oper zu lachen wie mancher Europäer lacht, wenn die eigene Religion durch den Kakao gezogen wird?
Sobald sich Muslime - wie im Fall des Streits um die Idomeneo-Oper in Berlin - in vornehmes Schweigen hüllen, reicht das einigen Medien und Politikern nicht. Es wird dann gern weiter gestichelt, bis ein muslimischer Repräsentant überreagiert und "der Islam" wieder als Weltanschauung der Intoleranz vorgeführt werden kann. Auch Intellektuelle, die als Linke gelten, beteiligen sich an diesen Erziehungsspielen. Günter Wallraff berichtete im Frühjahr von seinem vergeblichen Bemühen, in einer Moschee Salman-Rushdies Satanische Verse vorzutragen. Den Vorschlag, statt dessen aus seinem Buch Ganz unten zu lesen, das von der Arbeitswelt der Türken im Deutschland der achtziger Jahre handelt, lehnte er ab.
Provokation und Konformismus
Es drängt sich ein Verdacht auf: wie bei dem Anti-Islam-Film des Holländers Geert Wilders entpuppen sich solche Provokationen oft als verzweifelte PR-Gags. Sie offenbaren Todesmut. Aber auch biedersten Konformismus. Denn da wird verteidigt, was die Politik gegenwärtig als höchste Freiheitswerte proklamiert, denen historische Kontinuität bis zur Athener Demokratie verliehen wird. Dass wir von dieser Demokratie ohne die Übersetzungsleistungen des Kalifats, das im Mittelalter auch das iberische Europa beherrschte, kaum etwas wüssten, fällt unter den Tisch. Angela Merkel spricht gern von den "jüdisch-christlichen" Werten, die Europa geprägt haben. Damit ist der unreife Islam außen vor. Die implizite Botschaft: Der muss sich erst noch entwickeln.
Wie das zu bewerkstelligen ist, fragen sich wahrscheinlich vor allem die Lehrer, die zwischen den Schützengräben Frieden erzeugen sollen, obwohl über die Köpfe ihrer Schützlinge pausenlos geschossen wird. Das Buch Das Gesetz Allahs der Erziehungswissenschaftlerin Hiltrud Schröter, das Menschenrechte und Geschlecht im Islam und im Christentum vergleicht, schließt aufgrund der Zunahme von Verschleierung, Zwangsheirat und Gewalt gegen Frauen von seiten muslimischer Männer in Europa auf eine, dem Islam inhärente Unterwerfungsabsicht. Die Saudis würden nicht ruhen, bis sie alle Frauen der Welt unter den Schleier gezwungen hätten. Alarmierend heißt es in der Einleitung: "Ich schreibe dieses Buch aus Verantwortung für unsere Kinder und Enkelkinder, denen ich die Grundwerte unserer Kultur, zu denen die Gleichberechtigung von Frau und Mann und das generelle Tötungsverbot gehören, erhalten möchte."
Gemäß einer häufig angewandten Methode essentialisiert Schröter den Islam in seiner islamistischen Extremform und das Christentum in seiner fortschrittlichsten. Während die Frau im islamischen Recht "weniger wert" sei, "als der linke Hoden des Mannes", habe im Christentum bereits Jesus die Gleichberechtigung von Mann und Frau begründet. Während Mohammed die Kämpfer für den Islam zur Gewalt animierte, habe Jesus zum Frieden ermahnt. Ob Islam und Christentum dem vermeintlichen Willen ihrer Begründer entsprechen, interessiert nur hinsichtlich der Muslime. Sie müssten sich nach dem Koranspruch richten: "Wenn ihr auf die, die ungläubig sind, trefft, dann schlagt ihnen auf den Nacken" - was nichts anderes heißt, als dass sie enthaupten werden sollen. Dafür bekämen sie das Paradies geschenkt.
Auf den Nacken schlagen
Wie aber steht es mit Jesu Ausspruch in Matthäus 34: "Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert."? In Matthäus 35 sprengt er auch noch den Frieden der Familie: "Denn ich bin gekommen, den Menschen zu erregen wider seinen Vater und die Tochter wider ihre Mutter und die Schwiegertochter wider ihre Schwiegermutter." Auch dies ließe sich als Aufruf zu Kämpfen zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen interpretieren. Mit demselben Recht wie christliche Theologen das "Schwert" nur als Metapher verstehen, argumentieren Muslime, dass mit "Djihad" der "Krieg nach innen", das heißt die charakterliche Selbsterziehung des muslimischen Individuums gemeint sei.
Abgesehen von unfairen Konfrontationen enthält Schröters Buch aufschlussreiche Dokumentationen zu Rechtsentwicklungen beim Kopftuchstreit und anderen Beeinträchtigungen von Frauenrechten in Deutschland. Beizupflichten ist ihrer Position, dass sich die Justiz nicht in falsch verstandenem Multikulturalismus auf die Ebene der islamischen Scharia verirren darf - was hierzulande vereinzelt, in Kanada und England schon öfter geschah. Scharia kann und sollte mit dem Verweis auf unsere Souveränität zurückgewiesen werden. Viele Deutsche vergessen das, weil sie offenbar im Globalisierungsrausch auch die Souveränität anderer Völker vergessen. Wer Grenzen für Waren, Finanzen und Menschen weltweit bedenkenlos fallen und Gesetze vereinheitlicht sehen will, meint oft auch, einen prinzipienlosen Begriff von Multikulturalismus annehmen zu müssen.
Dabei zeigt der Kopftuchstreit, dass Muslime europäisches Recht akzeptieren können, was auch von der im Islam tonangebenden Kairorer Al-Azhar-Universität empfohlen wird. So gab es keine großen Probleme, seit in Frankreichs öffentlichen Schulen die Persönlichkeitsentwicklung Minderjähriger durch ein staatliches Kopftuchverbot geschützt wird. Erst ab 18 dürfen sich Musliminnen dort verhüllen.
Wie könnte nun ein friedensfördernder Umgang der Kulturen aussehen? Sicher sollte weder auf der theologisch-essentialistischen Argumentationsebene noch hinsichtlich der Realien etwas verschwiegen oder beschönigt werden. Wer Muslimen helfen will, sich hierzulande in die zivilgesellschaftliche Entwicklung einzubringen, sollte nicht das Spiel der Islamisten spielen und deren Islamauslegung als die einzig mögliche übernehmen. Wie die Bibel und die christliche Überlieferung bieten auch Koran und islamische Tradition unterschiedliche, zum Teil auch widersprüchliche Aussagen, frauenfeindliche ebenso wie frauenfreundliche Sprüche des Propheten, alle in der Frühzeit des Islam aufgezeichnet. Sie zeugen von lebhaften Auseinandersetzungen der Urgemeinde, die sich heute muslimische Aufklärerinnen, wie die marokkanische Soziologin und Feministin Fatima Mernissi für die Erneuerung ihrer Kultur zunutze machen.
Der Islam als Zivilisation
Sollen allerdings diese Erkenntnisse in die Schulen gelangen, dürften wir auch die Wissensvermittlung über den Islam dort keinen islamistischen Vereinen überlassen, die ihre Version der Religion als einzig authentische Kultur der Muslime ansehen. Das Buch Islam für Kids von Anis Hamadeh stellt "den Islam" dagegen als Zivilisation vor, geht auch auf kulturelle Fragen ein wie Sprache, Schrift und vor allem die Realgeschichte. So wird das Selbstbewußtsein muslimischer Schüler gestärkt und der Horizont der anderen sinnvoll erweitert.
Obwohl das Buch nicht nur für Pädagogen, sondern auch für Kinder und Jugendliche bestimmt ist, spart es Selbstkritik nicht aus. Es behandelt Integrationsprobleme von Muslimen im Westen. Frauendiskriminierung erklärt es zu unzeitgemäßen Relikten aus der Vergangenheit und damit als überwindbar. Pädagogisch sinnvoll ist auch, dass Hamadeh bei der Behandlung von Schwachpunkten aktueller muslimischer Sichtweisen - wie der häufigen Ablehnung der Lehren Darwins und Freuds - darauf hinweist, dass dies auch einige christliche und jüdische Gruppen tun.
Angesichts des politisch angeheizten Religionsstreits meldet sich auch militanter Atheismus zu Wort. Wo bitte geht´s zu Gott? fragt das kleine Ferkelchen - das als "aufklärerisch" angepriesene antireligiöse Kinderbuch "für alle, die sich nichts vormachen lassen". Es schießt gleich aus einem Rohr gegen Judentum, Christentum und Islam und hätte es wegen "antisemitischer Tendenzen" beinahe auf den Index geschafft. Zum Glück ließ das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom Verbot ab, das dem weder schönen noch unterhaltenden und erst recht nicht lehrreichen Machwerk zu noch mehr unverdienter Werbung verholfen hätte: Ferkel und Igel suchen Gott in einer Synagoge, einer Kirche und einer Moschee, wo sie unsympathischen Geistlichen begegnen. Der Rabbi versucht ihnen die Erzählung von der Arche Noah nahezubringen, die sie aber wegen der fast vollständigen Ausrottung von Babys, Omas und Tieren so abscheulich finden, dass sie fliehen.
In der Kirche wirkt der Gekreuzigte und die Behauptung des Priesters, dass uns Gott mit dessen Blut von Jesus reingewaschen habe, ebenso abstoßend. Erstaunlicherweise lässt der Mufti das Ferkel problemlos ins Gotteshaus eintreten und gerät erst in Wut, nachdem die Tierchen am Gebot zweifeln, dass fünfmal täglich gebetet werden muss. Nicht der Text, aber die Zeichnung zeigt, dass die beiden von der aufgebrachten Betgemeinde aus der Moschee gejagt werden.
Das Buch trägt eher dazu bei, Kinder für den Religionskrieg - wo er auch immer aufflammt - als gegen Aberglauben fit zu machen. Denn wenn sie nicht an Abrahams Gott glauben, glauben sie doch an Hexen und Geister. Die gegenwärtige Kinderliteratur ist übervölkert mit übersinnlichen Wesen, die dem strengen manichäischen Reich von Gut und Böse angehören. Keines weist ähnliche dialektische Marken von historischer Bearbeitung auf wie die Mythen und Gestalten, die die Religionen hervorgebracht haben.
Rübezahl und gute Fee
Dass menschliche Gehirne in ihrer Stammesentwicklung irgendwann Ungegenständliches denken und kollektiv bearbeiten konnten, war und ist eine Voraussetzung der Fähigkeit, mehr zu erschaffen als die Natur unmittelbar vorgibt. Dass Hirngespinste vom einen mehr und vom anderen weniger geglaubt werden ist gut, heißt aber nicht, dass Hirngespinste irgendwann einmal völlig verschwinden. Wegen ihrer dialektisch-kritischen Durcharbeitung durch viele Menschengeschlechter haben sich die Mythen und Gestalten der Religionen als robuster erwiesen als Rübezahl und die gute Fee. Wichtig ist weniger, ob wir an die objektive Substanz von Mythen glauben, als dass wir ihre jeweiligen Instrumentalisierungen durchschauen.
Eine Auseinandersetzung kann nicht nur darin bestehen, sie zu kritisieren, sondern auch, sie selbst positiv zu adaptieren. Das Friedensgebot in seiner religionsübergreifenden Dimension zur Wirkung zu bringen, ist daher nicht nur eine - zur Zeit leider ungenügend wahrgenommene - Aufgabe der Kirchen, Synagogen und Moscheen. In Deutschland fehlt es bis in die Linke hinein an Unterscheidungsvermögen zwischen Atheismus und Laizismus. Dabei hatte schon der junge Marx in seiner Dissertation zur Judenfrage klargestellt, dass Religionen zwar von der staatlichen in die private Sphäre überführt, aber keineswegs diskriminiert werden sollten.
War es nicht der größte Fehler Lenins, dass er Kirche und Glauben schon stark unterdrückte als die Mehrheit der russischen Bevölkerung noch aus Analphabeten bestand und nie Kontakt zu aufgeklärter Kultur gehabt hatte? Der italienische Philosoph Antonio Gramsci meinte damals schon realistischer, dass sich der entstehende Sozialismus nicht auch noch einen Kampf gegen den Papst und die metaphysischen Bedürfnisse der Volksmassen zumuten sollte. Es genüge, wenn die Gläubigen die staatlichen Gesetze anerkennen. Religion sei das "größte kollektive geistige Abenteuer der Menschheit", ein kulturelles und moralisches Erbe, das Achtung, Studium und Diskussion verdiene.
Anis Hamadeh Islam für Kids. bhv, Heidelberg, 2007, 345 S., 17,95 EUR
Hiltrud Schröter Das Gesetz Allahs. Menschenrechte, Geschlecht, Islam und Christentum. Ulrike Helmer Verlag, Königstein, Taunus, 2007, 283 S., 19,90 EUR
Michael Schmidt-Salomon, Helge Nyncke Wo bitte geht´s zu Gott? Fragte das kleine Ferkel. Ein Buch für alle, die sich nichts vormachen lassen. Alibri, Aschaffenburg 2007, 37 S., 12 EUR
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