„Denen, die da kaufen“

Interview Johanna Kühner gründet einen Supermarkt, der den Konsumenten gehört
Ausgabe 48/2019

Seit 46 Jahren gibt es in New York einen alternativen Supermarkt, 1.700 Quadratmeter Fläche, 67 Millionen Euro Jahresumsatz: die „Park Slope Food Coop“. Keine Handelskette steht hinter dem Lebensmittelmarkt, sondern 17.000 Einwohner, Eigentümer und Kunden zugleich. Nach diesem Modell soll nun in Berlin ein kooperativer Lebensmittelmarkt entstehen.

der Freitag: Frau Kühner, in Berlin findet man gefühlt an jeder Ecke einen Supermarkt, warum noch einer?

Johanna Kühner: Im Gegensatz zu den Supermärkten großer Handelsketten gehört die SuperCoop denen, die dort einkaufen. Man bekommt dort alles, was man braucht – anders als in kleineren Bio-Läden etwa. Und es gibt bei uns höchstmögliche Transparenz: Wo kommen die Sachen her, wo fließt das Geld hin?

Das ist bei anderen Supermärkten nicht so?

Es gibt eine Studie von Oxfam, wonach die deutschen Supermärkte zu den am wenigsten transparenten in Europa gehören. Da wird nicht sichtbar, wie die Arbeitsbedingungen der Leute sind, die hinter den Produkten stehen.

Wie stellen Sie sicher, dass von der Schokolade über das Gemüse bis hin zum Toilettenpapier alles Ihren sozialen und ökologischen Ansprüchen genügt?

Bei Gemüse und Obst oder regionalen Produkten knüpfen wir Kontakte zu Landwirten aus der Region. Das wird bei verarbeiteten Produkten schwerer. Wir müssen auch auf den Großhandel zurückgreifen, wenn wir alles anbieten wollen. Bei vielen Produkten macht das aus ökologischer Perspektive Sinn, um Transportwege zu verringern. Wir verstehen uns als ein Baustein in einem kaputten System, das heißt, wir können nicht alle Probleme der Welt lösen.

Die Eigentümerinnen der New Yorker „Park Slope Food Coop“ geben an, im Vergleich zu herkömmlichen Bio-Märkten monatlich Geld zu sparen. Wie ist das zu schaffen?

Zum einen über die hohen Abnahmemengen, teilweise über den direkten Kontakt zu den Produzenten; dann, weil wir kein Marketing brauchen, und durch die Einsparung an Lohnkosten über die ehrenamtliche Arbeit der Mitglieder.

In der „Park Slope Food Coop“ ist die Bio-Schokolade so teuer, dass auch die günstigere, konventionelle angeboten wird.

Auch wir bieten Gewürze sowohl teuer als bio wie auch konventionell an. Der Unterschied zu einem normalen Supermarkt ist, dass man weiß, woher der Preisunterschied kommt. Man unterhält sich über die Herkunft der Produkte. Alle Eigentümerinnen können Wünsche einbringen, was ins Sortiment aufgenommen werden soll und was nicht.

Zur Person

Johanna Kühner, 22, hat Politikwissenschaften studiert. Seit einem Jahr arbeitet sie ehrenamtlich an der Gründung des kooperativen Supermarkts „SuperCoop“ in Berlin mit. Sie engagiert sich auch beim Netzwerk Social Entrepreneurship, das Sozialunternehmen vernetzt und fördert

Wie läuft das konkret?

Zu Beginn legen wir ein Sortiment fest. Dabei wollen wir so viel wie möglich fair, regional und unverpackt anbieten. Dann wird über das Sortiment abgestimmt. In bisherigen Kooperativen hängt ein Ordner am Eingang, da schreiben die Mitglieder Vorschläge rein und die Festangestellten prüfen, ob, wie und wo sie das herbekommen. Wir überlegen, wie man solche Prozesse auch digitalisieren kann.

Im New Yorker Supermarkt hat sich fast ein kleines Justizsystem etabliert: Wenn ein Mitglied seine Arbeitsschichten nicht macht, gibt es „Wiedergutmachungsschichten“, bei Diebstahl gibt es mehrstufige Verfahren.

Die Frage beschäftigt uns: Wie stellt man sicher, dass alle ihre drei Stunden arbeiten? Im Grunde ist ja jeder Eigentümer, da ist gegenseitiges Vertrauen wichtig, aber es braucht trotzdem Kontrollmechanismen. Wir können viel von New York lernen, aber wir müssen auch unseren eigenen Lernprozess durchmachen.

Bei 17.000 Mitgliedern komme ich bei 40 Stunden die Woche auf eine monatliche Gesamtarbeitszeit von 300 Vollzeitarbeitskräften. So viel braucht es doch gar nicht. Wie sollen da alle ihre drei Stunden im Monat arbeiten?

Deshalb gibt es in New York so viele Initiativen um den Markt herum: eine Suppenküche, eine Kinderbetreuung, ein Kompost-Gelände für die nicht verkauften Lebensmittel, eine eigene Zeitung, man kann sich um die Website kümmern, Kulturveranstaltungen anbieten, das wird alles gerechnet als diese drei Stunden Arbeit. Man kann sich die mittlerweile sogar in anderen benachbarten, kleineren Food Coops anrechnen lassen.

Bekommen Sie den Vorwurf zu hören, die Löhne in der Branche zu drücken?

Nein, das haben wir noch nicht gehört. Es gibt auch Kooperativen ohne ehrenamtliche Arbeit, dafür sind dann die Produkte teurer.

Was machen Sie mit dem Überschuss, dem Gewinn?

Unser Ziel ist es, kostendeckend zu arbeiten, faire Löhne zu bezahlen und ein gutes Sortiment anzubieten. Der Gewinn wird reinvestiert, etwa in ein neues Kühlregal. In New York hat man mit dem Überschuss eine Kinderbetreuung finanziert. Oder ist zusammen zu einer Umweltdemonstration nach Washington gefahren.

Gab es bei Ihnen schon Streit?

Wir streiten selten, aber wir diskutieren viel, vor allem darüber, wie wir Entscheidungen treffen und wer welche Aufgaben übernimmt. Es klappt immer besser. Auch weil wir uns am Anfang auf Visionen und Werte geeinigt haben.

Warum tun Sie sich die ganze Arbeit an?

Uns geht es darum, wie man eine kooperative Wirtschaft schaffen kann. Wenn wir anfangen mit so einem Supermarkt, dann können wir einen Anreiz geben, dass sich mehr kooperative Strukturen um uns herum bilden.

Der Dokumentarfilm-Regisseur Tom Boothe war von dem Laden in New York so begeistert, dass er 2016 in Paris die Kooperative „La Louve“ gegründet hat.

Mittlerweile hat der Pariser Laden auch schon 4.500 Mitglieder, zehn Festangestellte, eine Gesamtfläche von 1.450 Quadratmeter und im Jahr 2018 einen Jahresumsatz von 5,5 Millionen Euro. Es gibt auch eine Kooperative in Brüssel, mit über 2.000 Mitgliedern. Auch online entwickeln sich Plattform-Kooperativen, die großen Playern wie zum Beispiel Amazon eine genossenschaftliche Alternative entgegensetzen wollen.

Was ist der Grund für diese zarte Wiederbelebung der Genossenschaftsidee?

Die Leute merken, dass wir mit dem kapitalistischen System die großen Probleme wie Umweltzerstörung und soziale Ungleichheit nicht mehr lösen können. Dieses Wachstumssystem konnte vielleicht in Zeiten der Industrialisierung einige Leute versorgen. Aber jetzt stößt diese Wirtschaftsform, in der nur die Gewinnmaximierung das Ziel ist, an Grenzen.

Sabine Nuss hat gerade im Karl Dietz Verlag Berlin das Buch Keine Enteignung ist auch keine Lösung. Die große Wiederaneignung und das vergiftete Versprechen des Privateigentums veröffentlicht

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