Dass China, der diesjährige Ehrengast der Frankfurter Buchmesse für Diskussionen über Meinungsfreiheit sorgen würde, gehörte vielleicht sogar zum Kalkül der Veranstalter. Doch nun führt bereits eine Veranstaltung im Vorfeld zum Streit. Anlass ist die Einladung der weltweit geachteten Umweltaktivistin Dai Qing zu einem am 12. und 13. September im Frankfurter Instituto Cervantes stattfindenden Symposium. Dem chinesischen Ko-Veranstalter der Tagung gefiel überhaupt nicht, dass die in Peking lebende Journalistin ihren Beitrag zum Thema „China und die Welt: Wahrnehmung und Wirklichkeit“ leisten sollte. Nachdem der Versuch scheiterte, die Einladung einfach verschwinden zu lassen, die für die Erteilung eines Visums notwendig ist, droht die chinesische Delegation nun massiv mit dem Boykott der Veranstaltung, sollte Dai dort erscheinen. Überraschenderweise gaben die deutschen Partner von der Buchmesse nach. Dai Qing wurde wieder ausgeladen.
Statt darüber zu schweigen, informierte die 68jährige Dissidentin zahlreiche Gleichgesinnte in aller Welt über den Vorgang. Inzwischen hat der deutsche P.E.N. dafür gesorgt, dass Dai Qing doch nach Frankfurt reisen kann. Sie plant, aus dem Plenum in die Diskussionen der vom Regime wohl Gelittenen einzugreifen. Der mutige Alleingang war lange ihr Markenzeichen. Warum sie für das Regime so gefährlich ist, erklärt ihre Vita. Es ist eine Emanzipationsgeschichte.
Dai Qing wurde 1941 als Tochter führender kommunistischer Intellektueller geboren. Ihr von den japanischen Besatzern 1944 hingerichteter Vater zählt zu den Märtyrern des kommunistischen Regimes Chinas. Als Adoptivtochter des einflussreichen Militärs und Politikers Ye Jianying gehört sie zum Uradel kommunistischer Kader Chinas. Ye Jianying war einer der Drahtzieher des Sturzes der sogenannten Viererbande um Maos Frau, die nach dessen Tod die Macht übernommen hatte.
Der Drei-Schluchten-Damm
Dai Qing studierte Ingenieurwissenschaften in China und Japan und arbeitete in geheimen militärischen Raketenprogrammen. Sich selbst beschreibt sie als ehemals hingebungsvolle Kommunistin, die damals für Mao ihr Leben gelassen hätte. Während der Kulturrevolution wurden sie und ihr Mann dennoch zur Umerziehung aufs Land geschickt und lebten als Bauern. Nach ersten Schreiberfolgen mit der Veröffentlichung von Kurzgeschichten war sie bis 1982 als Autorin für die Nationale Volksarmee tätig und heuerte dann als Reporterin bei einer Tageszeitung an. Hier war sie in der kurzen Phase vermeintlicher Liberalisierung zwischen 1979 und 1989 die erste chinesische Journalistin, die sich mit den Ansichten von Dissidenten beschäftigte. Ihr Hauptanliegen ist jedoch der Umweltschutz. Seit Jahren macht sie auf die unabsehbaren ökologischen und sozialen Folgen des riesigen Drei-Schluchten-Damms aufmerksam, dessen Planung in den 80ern begann und der seit dem Jahr 2006 genommen wurde. Dais Publikationen führten immerhin zu einer Bauverzögerung. Erste Studien zeigen, dass die wissenschaftlichen Prognosen sich bewahrheiten.
1989 versuchte Dai vergeblich, die Aktivisten vom Platz des Himmlischen Friedens vor der drohenden gewaltsamen Niederschlagung der Proteste zu warnen. Am Tag nach dem Massaker trat sie demonstrativ aus der Kommunistischen Partei aus. Kurz darauf wurde sie für zehn Monate inhaftiert. Seit ihrer Rückkehr aus der Haft ist sie als freie Autorin tätig. Ihre Werke sind seit 1989 in China verboten, finden aber unter der Hand ihren Weg zur inländischen Leserschaft und haben weltweit Furore gemacht.
Längst ist aus dem Engagement für die Umwelt ein Kampf für Meinungs- und Pressefreiheit geworden. Als wichtigen Wendepunkt bezeichnet Dai Qing eine Erfahrung aus dem Jahr 1987 bei einem Besuch in Hongkong. Angesichts all der frei zugänglichen und überprüfbaren Informationen über das Drei-Schluchten-Projekt sei ihr bewusst geworden, wie essentiell wichtig die Presse- und Informationsfreiheit ist. Zudem fiel ihr auf, dass China den kritischen Hongkonger Kollegen wirklich am Herzen lag. Auch solche Erkenntnisse könnten die Feindbilder auf offizieller chinesischer Seite empfindlich stören.
Gesichtsverlust
Dai Qing wurde für ihr Engagement mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet. Ihre Unerschrockenheit ist legendär. Jetzt trotzte sie nicht nur dem mächtigen Regime, sondern auch den diplomatischen Verrenkungen der Buchmesse-Organisatoren. Der in die USA abgeschobene Lyriker Bei Ling, der bei dem Symposium zu Zensur und Selbstzensur sprechen sollte und einen Tag vor der Anreise ebenfalls höflich um Nichterscheinen gebeten wurde, stimmte zunächst zu. Als er hörte, dass Dai Qing gar nicht daran denke, den Affront still zu erdulden, revidierte er seine Entscheidung. Auch er wird nun nach Frankfurt kommen.
Die Organisatoren der Tagung dürfen sich in den nächsten Tagen mit dem Thema Gesichtsverlust beschäftigen. „Mit meiner kleinen Aktion will ich meiner Regierung beibringen, nicht willkürlich zu handeln“, sagte Dai Qing am Donnerstag. Ob die zuständigen Kader lernfähig sind, muss sich noch erweisen. Chinesische Dissidenten befürchten, dass die unbequeme Autorin am Flughafen aufgehalten wird. Noch ist offen, wie die chinesische Delegation auf die bevorstehende Probe aufs Exempel reagiert.
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