Ein tristes Glück

Seefahrerleben Petri Tamminens „Meeresroman“ ist schlicht und schön wie ein Holzschnitt
Ausgabe 40/2017

Der Fischersohn Vilhelm Huurna soll das Boot eines Nachbarn auf eine nahegelegene Insel überführen. Das Boot kentert, er kämpft mit den Wellen, schluckt Meerwasser und erreicht halberfroren das Land. Leute nehmen ihn auf, bringen ihn ins Haus, wärmen ihn. Bevor der Junge einschläft, denkt er: „Ja, es gibt Wolldecken auf der Welt.“

Huurna fährt als Matrose auf diversen Schonern zwischen Finnland und Sardinien umher. Nach dem Besuch einer Seefahrtsschule stellt ihn eine Versammlung von Großbauern in seinem Heimatort als Kapitän an. Und so schippert Huurna über die Meere, kentert bisweilen und überlebt, gibt auf und schippert weiter. Das ist eigentlich alles.

Der finnische Schriftsteller Petri Tamminen bezieht sich zwar in einigen kleinen Szenen seines neuen Romans auf verschiedene Seefahrermemoiren von Anfang des 20. Jahrhunderts. Aber es geht ihm weniger um die gefährlichen Tiefen der Meere; es geht ihm um die Abgründe der Seele.

Huurna will das Gestern vergessen, er fürchtet sich vor dem Morgen. Er ist ein schüchterner Mensch, der kaum Gefühle zeigt. Mehrfach wird er von Frauen abgewiesen; wenn wieder mal ein Schiff untergeht, fällt es ihm schwer, sich den „Hofherren“ zu stellen. Aber die erklären ihm, sie hätten ihn nicht um Seeglück, sondern ums Segeln gebeten. Trotzdem versteckt sich Huurna einmal, um keinen neuen Auftrag zu bekommen. Petri Tamminen hat in seinem Buch Verstecke (2005) verschiedene wundersame Orte gefunden oder fantasiert, die geeignet sind, sich den Anforderungen der Welt zu entziehen. Die Helden seiner Bücher sind introvertiert, linkisch, wortkarg. Doch damit bedient der Autor nicht unbedingt Finnland-Klischees. Es wirkt eher so, als interessiere er sich für den zeitlosen und überall auftretenden Typus des Melancholikers. Dessen Grübeleien, seine Daseinsnot und seine Fähigkeit, weiterzumachen, bestimmen auch den Meeresroman. Huurna wird natürlich in seinem Versteck gefunden, er wagt es nicht, einen neuen Auftrag abzulehnen; wieder fährt er los, und das Pech fährt mit.

„Fail again. Fail better“, schrieb Samuel Beckett. Dieser Satz enthält noch die Möglichkeit einer – wenn auch reichlich vertrackten – Steigerung.

Kann man aus dem Scheitern eine Kunst machen, kann man eine spielerische Haltung zur Welt einnehmen? Tamminens Held spielt nicht: Stoisch bemüht er sich, seine Ladungen zu überbringen, die Schwierigkeiten mit Versicherungen und Hafenbeamten durchzustehen. Der unprätentiöse Roman verspricht im Untertitel „einige glückliche Momente aus dem tristen Leben des Seekapitäns Vilhelm Huurna“. Darin steckt der spezifisch spröde Humor Tamminens. Anfangs waren Wolldecken ein Glück für Huurna. Dann wagt er es einmal, einem Steuermann seine Einsamkeit zu gestehen; der leiht ihm pornografische Postkarten. Ein tristes Glück. Huurna heiratet spät. Die Frau wird schwanger; sie und das Kind sterben bei der Geburt. Er denkt: „wenn sich seine Frau getraut hatte, zu sterben, glaubte auch er, es sich zu trauen, wenn der Tag dafür gekommen wäre.“ Er hört, das Neugeborene sei mit der Mutter im selben Sarg beerdigt worden, „und er war glücklich, dass das Kind nicht allein in der Finsternis liegen musste“. Glücklich ist er noch einmal, als er auf die Stille in seiner Kajüte horcht und weiß: Er kennt das Schiff und es kennt ihn.

Tamminen benutzt keinen abstrakten Begriff wie „Versöhnung“; das Buch zerläuft nicht zu einem pastellfarbenen Aquarell. Die Bildfolgen versprechen nichts, beklagen nichts, und doch ereignet sich auf karge, stille Weise eine Art von Einverständnis mit dem Dasein. Der Roman erinnert an die Kunst des Holzschnitts: Es ist die Reduktion, die der Geschichte ihre Intensität und Ausdruckskraft verleiht.

Info

Meeresroman Petri Tamminen Stefan Moster (Übers.), Mare 2017, 112 S., 18 €

Die Bilder dieses Spezials

Blitzdings Max Slobodda, Fotograf dieser Beilage, wurde 1987 geboren und lebt heute in Dortmund. Sein Fokus liegt auf der Straßen- und Dokumentarfotografie, zudem entstehen inszenierte Projekte, wie derzeit die surrealistische Arbeit Phos Noise: „Es geht um die Dekonstruktion der Wirklichkeit, um das Unbegreifliche, für das es nicht sofort eine logische Erklärung gibt (...). Jeder entscheidet selbst, was er denkt und fühlt, wenn er sich die Bilder anschaut. Ganz ohne Vorgaben, ganz ohne Erklärung.“

Max Sloboddas Arbeiten wurden in internationalen Publikationen präsentiert, in Guardian, Vice, Lensculture und iGNANT.

Zum Verkauf steht eine limitierte Auflage aus der Phos-Noise-Reihe, 30 x 45 cm, gerahmt, 10 Stück pro Motiv. Mehr Informationen auf slobodda.de. Mehr Fotos auf Instagram: @sloboddaphoto.

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