Israel is real

Indifferenz Gilad Elboms und Nir Barams Romane "Purple love story" und "Scream Queens am Toten Meer" über das Lebensgefühl im heutigen Israel

In dem sprachspielerischen Satz "Israel is real" schwingt etwas von Trost oder von Trotz mit; als müsse dieser Satz sich gegen einen Einwand wehren - und in der Tat wird ja bis heute immer wieder das Existenzrecht des Staats von seinen Feinden bestritten. Aber Zweifel an "Israel" kennen natürlich auch viele seiner Bewohner selbst.

Das reale Israel wird in den Romanen von zwei jüngeren Autoren daraufhin untersucht, was an ihm irreal ist; wie der ganz normale Irrsinn in diesem Land aussieht. Gilad Elboms Roman Scream Queens am Toten Meer schildert einen verbummelten Linguistikstudenten, der sich vor dem gewöhnlich-ungewöhnlichen Alltag in eine Art Nische flüchtet: Er arbeitet als Hilfspfleger in einer Nervenklinik. Der Ich-Erzähler lebt in permanenter Angst vor Selbstmordanschlägen; warum soll nicht auch die Klinik angegriffen werden, die radikalen Islamisten nehmen doch alles, was ihnen vor die Flinte kommt, heißt es einmal. An anderer Stelle wünscht er sich nach Finnland, wo es zahlreiche ungelöste Mordfälle gibt, während sich in seinem Land jedes Mal diverse paramilitärische Organisationen um die Täterschaft streiten.

Elboms Buch ist allerdings nicht getragen von einer Haltung, nach der die Israelis ausschließlich die ewigen Opfer sind: Nicht nur der Ich-Erzähler, sondern auch Carmel, seine erfreulich zügellose und wilde Freundin, vertritt in diesem Roman selbstkritische politische Positionen. Als er eine literaturwissenschaftliche Arbeit über Robinson Crusoue schreiben muss, hilft sie ihm mit einer Interpretation, die eine deutliche Kritik am Logozentrismus übt: Robinson, der gute Weiße, der den schwarzen, bösen Freitag braucht, um sich selbst als den Überlegenen, Zivilisierten zu setzen. So sei auch das Verhältnis der Israelis zu den Palästinensern, heißt es kurz und bündig.

Der verwirrte Held selbst ist nach immerhin vier Jahren bei der Armee entlassen worden, weil er verrückt gespielt habe; und ausgerechnet dort habe er von einem Oberstleutnant gelernt: Die Armee werde nicht etwa gebraucht, um die Grenzen und um die Bürger des Landes zu verteidigen, sondern sie diene wie überall dem Zweck, in möglichst kurzer Zeit für möglichst wenig Geld möglichst viele Menschen umzubringen. Angst, Resignation hinsichtlich der Möglichkeit des Friedens und dabei trotzdem ein umfassender Hass auf "die" Palästinenser, "die" Araber führen den Held, so deutet es sich an, schließlich auf die nächste Flucht, auf die ins Ausland. Gilad Elbom hat seinen Roman auf Englisch geschrieben; der 1968 geborene Autor lebt inzwischen in den USA; und so wirkt sein Werdegang wie eine Konsequenz aus seinem stark autobiografisch angelegten Buch.

Scream Queens ist von der Machart her der zeitgenössischen Pop-Literatur internationaler Prägung zuzurechnen. Das heißt, man könnte diesen Roman auch unter den Überschriften "Ist was?" oder "Na und" veröffentlichen. Der Tonfall ist flapsig, oft sarkastisch, so etwa, wenn es heißt: Während des Sirenentons am Holocaust-Gedenktag zählten die Bewohner schnell von eins bis sechs Millionen; "komisch" sei, dass man aber trotzdem immer wieder kalt erwischt werde. Bei allem, was an diesem Buch bis in die ziemlich heiteren Sado-Maso-Spiele leichthändig und gekonnt wirkt, ist es insgesamt zu oberflächlich geschrieben, an den vermuteten Bedürfnissen des Markts entlang. Die schrägen Dialoge mit den Patienten wollen witzig sein; sie ermüden aber so wie die ausufernden Heavy-Metal-Darstellungen und die narzisstischen Selbstreflexionen des Erzählers. Vieles wird nur angerissen, es wirkt, als habe der Autor sich diverse Vorgaben hinsichtlich des Inhaltes gemacht und seine Stichworte abgehakt. So nimmt man als Leser seinerseits ein paar dieser Stichworte mit, hat sich zwei Stunden mehr oder weniger gut unterhalten und kann sich letztlich wie der Autor, halb lächelnd, halb achselzuckend anderen Dingen zuwenden.


Das Lebensgefühl der Indifferenz, das relativ typisch ist für viele der jüngeren Israelis, wird völlig anders belichtet in dem Roman Purple love story. Das Buch spielt in den Jahren 1995/96, um die Zeit der Ermordung Rabins, also in einer von vielen Phasen, die oft mit den bequemen Attributen "Ernüchterung", "Desillusionierung" versehen werden: Man müsse eben realistisch sein und hinnehmen, dass Frieden wohl nicht möglich sei. Nir Baram, Jahrgang 1976, hat kein kokettes Verhältnis zur Politikverdrossenheit vieler seiner Zeitgenossen. In einem Interview sagte er einmal, Politik sei keine Frage der Milchpreise, sondern es gehe um Leben und Tod.

Baram hat inhaltlich wie stilistisch hohe Ansprüche an sich selbst, und man merkt seinem Buch an, dass es geschrieben werden musste. Der Roman schildert eine unglückliche Liebesgeschichte und geht doch weit darüber hinaus. Joni, der Ich-Erzähler, studiert wie Gilad Elboms Hauptfigur recht und schlecht vor sich hin. Hier ist es Jonis Freundin Maja, die im Unterschied zu Elboms Helden nicht nur davon träumt, Israel zu verlassen, sondern die tatsächlich gleich zu Beginn des Romans aus allerdings zunächst unklaren Gründen nach London geht. Joni gerät in seiner Ratlosigkeit über ihr Weggehen in eine Krise. Ohnehin ist er ein etwas versponnener Träumer, im Unterschied zu seinem Freund, dem Friedensaktivisten David, im Unterschied auch zu seinem kürzlich verstorbenen Vater, einem Kommunisten.

Die Auseinandersetzung mit dem Vater und seinen Idealen ist nach dessen Tod längst nicht abgeschlossen, offenbar beginnt sie überhaupt erst. Der Vater wollte starke Söhne; bestenfalls bedauert er die jüngere Generation, die an nichts mehr glaube. Joni und David ihrerseits beneiden den simplen, felsenfesten Glauben der Siedler an ihre Mission; sie selbst finden sich widersprüchlich, voller Zweifel, und so werde, heißt es, die Zähigkeit der Siedler am Ende den politischen Sieg erringen. Indifferenz wird hier teilnahmsvoll und dabei kritisch als eine Haltung des Selbstschutzes kenntlich gemacht. Maja ist nach London gegangen, weil sie sich dort ihre Aufgaben selbst suchen könne, heißt es nicht ganz überzeugend - in Israel sei das unmöglich. Joni sagt von sich selbst und seinen Freunden, sie hätten genug vom Schmerz über Dinge, die absolut nicht von ihnen abhingen, die sie nicht beeinflussen könnten.

Indifferenz als Panzerung, die sich natürlich bis in den privaten Bereich ausdehnt; auch an der Liebe möchte Joni nicht mehr leiden. Er leidet aber in gefährlichem Ausmaß. Nir Baram umkreist die Krise seines Helden in unterschiedlichen Distanzen, er wechselt die Form der Darstellung, die Perspektiven - dabei ist sein Buch nie wehleidig, sondern mal analytisch, mal ungeschützt subjektiv, mal ironisch. Baram wechselt auch die Sprechweisen, er baut Briefe oder fiktive Interviews mit diversen Lebenden und Toten ein. Joni macht eine gewisse Entwicklung durch, nicht nur in seinem Verhältnis zu Maja, aber der Roman verzichtet auf ein Ausrufezeichen am Schluss, er endet in einer rätselhaften, dabei angenehmen Offenheit.

Es gibt die These, in jedem Erstlingsbuch seien ansatzweise, und das nicht nur thematisch, alle weiteren Bücher eines Autors angelegt. Vielleicht trifft sie für Barams Roman zu. So würde sich erklären, warum er stellenweise überfrachtet ist, maßlos, unökonomisch. Purple love story selbst ist also kein Beispiel für Indifferenz; dieses Buch mit all seinen Ecken und Kanten betreibt ernsthaft die Auseinandersetzung mit widersprüchlichen, exzessiven Gefühlen, und so berührt es einen beim Lesen.

Nir Baram: Purple love story. Roman. Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Orgler-Verlag, Frankfurt am Main 2001, 345 S., 21 EUR

Gilad Elbom: Scream Queens am Toten Meer. Roman. Aus dem Englischen von Thomas Mohr. Rogner Bernhard bei 2001, Berlin 2005, 16,90 EUR


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