Die stille Diskriminierung der Alten

Arbeit Unternehmen schmücken sich mit Diversität, benachteiligen aber alte Menschen. Ginge es um Herkunft oder Geschlecht, gäbe es einen Aufschrei
Ausgabe 44/2021
Die stille Diskriminierung der Alten

Illustration: Jill Senft

Wird heute über Diversität in Unternehmen oder Diskriminierung diskutiert, denken wir vor allem an ethnische Herkunft, sexuelle Orientierung oder Menschen mit Behinderung. Dabei wird ein wesentlicher Teil vollkommen ausgeblendet: ältere Menschen, egal welcher Herkunft. Altersdiskriminierung ist weltweit verbreitet und fängt in nicht wenigen Unternehmen bereits ab Ende 40 an.

Eine Frau, die seit Jahren erfolgreich als Marketingexpertin für verschiedene Agenturen arbeitet und anonym bleiben möchte, erzählte mir, dass sie vor einiger Zeit auf der Suche nach einem neuen Job bereits zwei gut verlaufende Gespräche mit der Personalabteilung absolviert hatte. Der neuen Anstellung stand offenbar nichts mehr im Wege. Nur die Abteilungsleiterin musste noch zustimmen. Doch die, Mitte 30, sagte ab. Die Begründung wurde der Bewerberin unter der Hand zugetragen: Die Abteilungsleiterin könne sich nicht vorstellen, mit einer um so viele Jahre älteren Kollegin zusammenzuarbeiten. Die Frau ist Mitte 50. Dass sie deutlich jünger aussieht, spielt in dem Zusammenhang keine Rolle.

In Unternehmen und vor allem in großen Konzernen hat Altersdiskriminierung oft System. Während in den Vorstandsetagen nicht selten ältere Herrschaften sitzen, werden BewerberInnen noch vor Erreichen der Türschwelle ausgesiebt. Um sich zu bewerben, muss man bei vielen Unternehmen auf der Website ein Template ausfüllen, das auch das Geburtsdatum abfragt. So werden BewerberInnen, die ein bestimmtes Alter überschreiten, automatisch aussortiert, ohne dass ein Mensch deren Qualifikation beurteilt hat. Das bestätigen mehrere Personen aus dem Coaching- und Personalwesen-Bereich, mit denen ich für diesen Text gesprochen habe.

Automatisch aussortiert

Rechtlich ist das verboten. Gemacht wird es trotzdem. Eine Frau berichtet mir, dass ein Headhunter ihr jüngst geraten hat, ihr Geburtsdatum aus dem Lebenslauf zu nehmen. Sie ist 43. Betrachtet man den demografischen Wandel und die immer höhere Lebenserwartung, klingt das geradezu verrückt. Und vor allem: Es betrifft uns alle, die gesamte Gesellschaft. Während die Boomer-Generation nach aktuellem Stand bis 67 arbeiten soll, wird sie in vielen Branchen 15 bis 20 Jahre vorher aussortiert. Entsprechend dramatisch sind die Folgen. Steigende Arbeitslosigkeit bei Menschen über 50 bei gleichzeitig sinkender Kaufkraft dieser von der Werbebranche ja noch immer heiß umschwärmten Zielgruppe. Ein implodierendes Rentensystem, in das immer weniger Menschen immer weniger einzahlen und das gleichzeitig immer mehr Menschen in Anspruch nehmen (müssen), die davon aber nicht leben können.

„Der Jugendwahn, der in Unternehmen vor allem auf niedrigen Gehältern und nicht so langfristigen Bindungen zu Mitarbeitern basiert, führt dazu, dass auf absehbare Zeit unser gesamtes Sozial- und Rentensystem ins Straucheln gerät“, warnt die Expertin für Führungskräfte-Coaching, Barbara Landers-Schultz. Zudem werde wertvolles Wissen nicht ausgeschöpft, da in Teams, in denen alle maximal 35 Jahre alt sind, kein Transfer von Alt zu Jung und umgekehrt stattfindet. Dabei seien auch im Alter diverse Teams am effektivsten, so Landers-Schultz. 2003 musste Nestlé in den USA einem Angestellten fünf Millionen Dollar Entschädigung zahlen, weil der Konzern ihm weitere Beförderungen mit der Begründung verweigert hatte, er sei zu alt. Der Mann war damals Mitte 40.

Leider kann man in Deutschland von derartigen Entschädigungssummen nur träumen. Die meisten, die trotz hoher Qualifikation wegen ihres Alters keine Jobs mehr bekommen, schämen sich und fügen sich in ihr Schicksal. Daher ist eine Quote, die Unternehmen bei Strafe zwingt, Bewerber über 50 und auch über 60 einzustellen, wenn sie den Anforderungen entsprechen, dringend notwendig. Und Rekrutierungsinstrumente mit eingebauter Alterssondierung sollten sowieso verboten sein. Man stelle sich vor, diese Diskriminierung würde nach anderen Kriterien geschehen, wie Hautfarbe, Sexualität, Religion. Der Aufschrei wäre ohrenbetäubend.

Sabine Sasse ist Projektmanagerin des M100 Sanssouci Colloquiums

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