Dienste ohne Grenzen

GATS aus Frauensicht Der Proletarier ist tot, es lebe die Hausfrau

Unfassbar, bezeichnend für eine kommerzialisierte Welt und doch zugleich ein Hoffnungsschimmer war das, was Vandana Shiva aus Indien berichtete. Ein ganzer Fluss, der Sheonath im Bundesstaat Chhatisgarh, war privatisiert worden. »Der Investor ließ Polizeikräfte mit Motorrädern auf der ganzen Länge des Flusses patrouillieren. Sie hinderten sogar die Frauen daran, Wasser aus ihren eigenen Brunnen zu entnehmen, da diese vom Fluss gespeist werden, und bezichtigten sie des Wasser-Diebstahls.« Und das, obwohl in Indien die Flüsse und nicht die Gemeinden das Wasser für die Bevölkerung liefern. »Die Menschen waschen dort ihre Wäsche, tränken ihr Vieh und baden ihre Kinder darin«, so die Trägerin des Alternativen Nobelpreises. Eine landesweite Aufklärungskampagne zeigte jedoch Wirkung: »Vor zwei Wochen wurde die Privatisierung rückgängig gemacht«, berichtete Shiva.

Dieser Erfolg war nur möglich, weil das seit 1995 bestehende Allgemeine Handels-Abkommen über Dienstleistungen (GATS - General Agreement on Trade in Services) in einer neuen, verschärften Version noch nicht in Kraft ist. Dann nämlich, so sehen es die Entwürfe vor, die bis 2004 in einen veränderten Vertragstext münden sollen, wären einmal eingegangene Privatisierungen nicht mehr rückgängig zu machen - auch nicht in einer Notstandssituation oder bei einem Regierungswechsel. Weltweit sind 80 Prozent der Beschäftigten des Dienstleistungssektors weiblich, und die Privatisierung wird deshalb nicht allein, aber doch primär Frauen betreffen. Auf Einladung des Attac-Frauennetzes trafen sich deshalb am vergangenen Wochenende in Köln 500 Referentinnen und Teilnehmerinnen zum internationalen Kongress »Dienste ohne Grenzen? GATS - Privatisierung und die Folgen für Frauen«.

Der wichtigste Arbeitgeber von Frauen ist die öffentliche Hand, die in vielen Ländern zu Gleichstellungsmaßnahmen verpflichtet ist. Gibt sie ihre Verantwortung an private Investoren ab, werden Schutzrechte und Stellen abgebaut. Leidtragende sind in erster Linie Frauen. Als Folge von Privatisierungen sind sie in der Regel auch gezwungen, mehr unbezahlte Arbeit zu leisten, wenn zum Beispiel kranke Familienmitglieder gepflegt werden müssen, die zu früh aus dem Krankenhaus entlassen oder aus Kostengründen gleich ambulant operiert werden. »Die billigsten der billigen Arbeitskräfte sind die Hausfrauen. Das ist das künftige Modell von Arbeit«, meinte die Kölner Soziologie-Professorin Maria Mies, Hauptinitiatorin des Kongresses, und fügte ein Zitat der Politikwissenschaftlerin Claudia von Werlhof hinzu: »Der Proletarier ist tot, es lebe die Hausfrau!»

Die bisherigen Erfahrungen mit der Privatisierung öffentlicher Daseinsfürsorge zeigen, dass sie meist mit einer Verteuerung einhergehen, nicht selten gepaart mit einem Verlust an Qualität. Seit der Privatisierung des Wassers in Großbritannien sind die Preise um 50 Prozent gestiegen, Fälle von Hepatitis A um 200 Prozent und die Ruhr-Erkrankungen sogar um 600 Prozent. Gesundheit und Bildung werden zum Luxusgut. Soziale Standards, Umweltschutzbestimmungen und Frauenfördergesetze könnten als »Handelshemmnisse« dem GATS zum Opfer fallen.

Wie wird das GATS verhandelt? Die Bremer Wirtschaftsprofessorin Susanne Schunter-Kleemann berichtete in einem Workshop über die Entscheidungswege auf europäischer Ebene. Für die EU-Staaten verhandelt die Kommission, und da machen die Lobbyisten der Konzerne Druck. Sie können, da sie den Status »anerkannter Gesprächspartner« haben, jederzeit bei der Kommission vorsprechen. Dieses Recht haben noch nicht einmal Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Für das GATS engagieren sich der europäische Dachverband der Arbeitgeberverbände UNICE und der Beraterkreis European Round Table of Industrialists (ERT). Im ERT »ist alles vertreten, was in Europa unter den Multis Rang und Namen hat«, so Schunter-Kleemann, zum Beispiel die Vorstandsvorsitzenden von Bayer, DaimlerChrysler, Siemens, Vivendi und BP. Bei einem geplanten Gesetz oder Abkommen kontaktieren die Lobbyisten zunächst den Beamten, der innerhalb der Kommission zuständig ist. Nicht selten werden dem Beamten sogar ausformulierte Vertragstexte oder Gesetzentwürfe vorgelegt. Dass sie in der Vergangenheit zum Teil wortwörtlich von der Kommission übernommen wurden, haben Forscher aus den Niederlanden mittlerweile bewiesen.

»Widerstand ist die Quelle des Wissens.« Diese Parole gab Maria Mies aus, denn die GATS-Verhandlungen, die bisher hinter verschlossenen Türen stattfinden, können nur durch massiven Protest zu einer öffentlichen Angelegenheit werden. »Es ist oft ein Fehler, wenn man denkt, wir müssen gleich zur Regierung oder zu den Multis und die überzeugen«, sagte die Schwedin Helena Norberg-Hodge, gleichfalls Trägerin des Alternativen Nobelpreises, und schlug statt dessen vor, dass jede Kongress-Teilnehmerin zehn Menschen über GATS aufklärt, die wiederum je zehn Menschen informieren. Und Vandana Shiva mahnte, den Begriff der »Dienstleistung« nicht kritiklos zu übernehmen: »Zu dienen heißt, mit Liebe einem anderen etwas zu geben. Privatisierung meint das Gegenteil: etwas mit Gewalt von anderen zu nehmen.«

Weitere Informationen unter: www.attac.de/frauennetz

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