Bei Anruf Soap

Aktuelle Tendenzen im Hörspiel Weg von der Konserve, hin zum Live-Auftritt

Wenn auf der Berliner Woche des Hörspiels die Publikumsjury ein Hörspiel auszeichnet, horcht die Fachwelt auf: Einmal im Jahr ist es an den Hörern zu entscheiden, was gut, angesagt und spannend ist. Während die professionellen Kritiker, zu Beobachtern verdammt, sich die Zeit mit Vermutungen darüber vertreiben, ob die Jury aus Trotz oder Überlegung anti-intellektuell wählt, ist der Trend der letzten Jahre eindeutig. Prämiert werden Autoren, die jünger als 50, die beiden letzten Male sogar unter 40 Jahre alt sind, die Geschichten in Fragmente zerlegen und betont auffällig collagieren. In diesem Jahr hieß der Sieger Falk Richter, nun auch im Hörspiel gefeierter Nachwuchsbühnenautor und -regisseur, bekannt durch seine Inszenierungen britischer Autoren des "new writing" (Martin Crimp, Irvin Welsh, Marc Ravenhill und andere). Sein Tanztheaterstück Nothing hurts hat Antje Vowinckel bearbeitet und für den SWR produziert. Antje Vowinckel ist promovierte Hörspielkennerin und war im letzten Jahr Gewinnerin des Plopp!-Award, der ebenfalls vom Publikum an ungesendete Autorenproduktionen vergeben wird.

Damit sind zwei von vielen Strategien benannt, mit denen Hörspielmacher gegen beharrliche Vorurteile und reale Bedrohungen kämpfen: Sie engagieren junge, gerne "artfremde" Autoren und mit entsprechendem Sounddesign inszenierende Regisseure und holen Selfmade-Produktionen aus den Heimstudios auf die öffentlich-rechtliche Hörbühne. Notwendig sind solche Versuche, weil erstens immer noch das Vorurteil vom Hörspiel als Fossil aus der Nachkriegszeit umgeht, das höchstens pensionierte Kulturliebhaber schätzen. Zweitens sucht die reale Bedrohung "Fusion" auch die Radiolandschaft heim und hat in den vergangenen fünf Jahren aus vier Sendern zwei gemacht: 1997 wurde aus den Kulturredaktionen von SFB und ORB das neue radio kultur, 1998 gingen SDR und SWF in den SWR ein und seit vergangenem November heißt die Kulturwelle von Radio Bremen - mit Unterstützung des NDR - Nordwest-Radio.

Die altbekannte Frage, welches Gewicht schwerer wiegt, der Kulturauftrag der öffentlich-rechtlichen Sender, der nicht von ökonomischen Überlegungen gestört werden darf, oder der vermeintliche Massengeschmack, wie er sich in Form von überlegenen Quoten der Privaten Radioanstalten manifestiert, treibt also auch die Hörspielmacher um.

"Das Schlüsselwort heißt Hörbuch", befindet Matthias Thalheim, Leiter der Hörspielabteilung des Mitteldeutschen Rundfunks, im letzten Jahrbuch Hörspiele in der ARD (1999). Der seit Mitte der neunziger Jahre wachsende Hörbüchermarkt ist nicht nur für Thalheim Zeichen für den Aufschwung des Hörspiels. Endlich findet die "Sehnsucht nach Sinnstiftung, nach einer inniglichen Kommunikation, nach Selbstfindung, auch nach einer dem Menschen gemäßen Langsamkeit, nach Tiefe" einen Katalysator im Hörbuch beziehungsweise Hörspiel! Vertrieben wird das Hörbuch zwar von Verlagen, aber die meisten Produktionen stammen aus den Sendern. Deshalb, so schlussfolgert Thalheim, erfüllen auch die Hörbuchverlage sozusagen im Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten deren Kulturleistungen.

Gegen das Hörbuch als gefälligen Werbeträger spricht jedoch die Erfahrung von Hermann Naber, der viele Jahre Chef der Hörspielabteilung des Südwestrundfunks war und schon in den achtziger Jahren Cotta´s Hörbühne wiederbelebte. Naber hat noch daran geglaubt, mit der Hörbuch-Connection für seine Hörspielabteilung kämpfen zu können. Ihm sei klar geworden, dass alles, wofür es auch außerhalb des Senders einen Markt gebe, nicht so einfach wegrationalisiert werden könne, hat er einmal seine Initiative erläutert. Das klingt zwar pragmatischer als die Innerlichkeitsrhetorik von Thalheim - die Strategie ging dennoch nicht auf. Den SWF gibt es nicht mehr - und Nabers Hörbühne hat im Verlauf der ersten größeren Hörbuchboomphase der marktführende Großverlag aus München geschluckt. Seitdem ist auch von Nabers Prestigeobjekt, der jährlichen Herausgabe diverser Hörspielpreisträger, keine Rede mehr.

Insgesamt ist es fraglich, ob Hörbücher dem Hörspiel ein gutes Image verpassen können: Wichtiger als Qualität sind hier Namen, Namen, Namen. Das könnte in Zukunft zu unschönen Situation führen. Denkbar ist eine Zusammenarbeit zwischen Sender und Verlag, bei der die Programmplanung im Sender zunehmend von den ökonomischen Bedürfnissen des Verlages bestimmt wird. Schließlich tritt so mancher Verlag auch als Rechteinhaber interessanter Manuskripte auf und kann seinen Forderungen entsprechenden Nachdruck verleihen. Das zweite Szenario zielt in noch fernere Zukunft: Gesetzt den Fall, immer mehr Hörer kennen nur noch die ästhetisch eher konventionellen Hörspiele, die als Hörbuch im Handel sind, und gleichzeitig produzieren immer mehr Verlage billiger selbst Hörspiele. Könnte dann nicht irgendwann die Frage auftauchen, warum es teure, über Gebühren finanzierte Produktionen geben soll, wo doch die Verlage so erfolgreich selbst Finanziertes produzieren?

Um solchen Entwicklungen entgegen zu steuern, laden Hörspielabteilungen seit Jahren zum öffentlichen kollektiven Hören ein: Mit oder ohne Autorengespräch, in Kneipen, Theatern, Planetarien, Burgen oder U-Bahn-Waggons. Die Steigerung einer solchen gemeinsamen Anhörung von Stücken "aus der Konserve" sind Live-Hörspiel-Aufführungen, wie sie der Bayrische Rundfunk organisiert. Überhaupt ist man im Süden sehr um progressive Öffnungen bemüht: Die Redaktion nennt sich Hörspiel und Medienkunst und ist federführend beim Hörspiel- und Klangkunstfestival intermedium, das im kommenden Jahr zum zweiten Mal stattfindet. Einmal ist es den Bayern sogar gelungen, sich an einem Dokumentarfilm über eine Hörspielproduktion zu beteiligen, um mit diesem anschließend in Kanada und den USA auf Filmfestivaltournee zu gehen. Dahinter stehen die Vorstellungen von Abteilungsleiter Christoph Lindenmeyer vom modernen Programm-Managment, das die klassische Entwicklungsdramaturgie ergänzen und "sich viel stärker als früher um neue Koproduktionsformen, Öffentlichkeitsarbeit, Sekundärverwertung, Kooperation mit anderen Medien wie Fernsehen, Schallplatte und Presse und mit anderen ›Kultur‹ - Veranstaltern bemühen muss."

Auch andernorts werden solche Zusammenarbeiten erfolgreich angestrengt: Bei Anruf Soap, die interaktive Hörspielsoap von DeutschlandRadio Berlin, wurde zu großen Teilen von einer privaten Agentur geplant und umgesetzt. Der Erfolg spricht für das "Outsourcing". Die Geschichte, die seit diesem Sommer wieder wochentags läuft, funktioniert nur, weil sich die Hörer an der Entwicklung der Plots per Telefon, Internet oder Fax direkt beteiligen.

Die Spannbreite ambitionierter Versuche, junge Hörer und neue Autoren zu gewinnen ist so groß, dass man sie eigentlich nicht alle in einem Zug nennen sollte: Götz Naleppas Newcomer Werkstatt (DLR), die Lauschangriffe auf Eins live (WDR), und immer wieder die Projekte der Redaktion Hörspiel und Medienkunst des Bayrischen Rundfunks gehören auf jeden Fall dazu.

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