Die arabische Welt" als Ehrengast zur größten Buchmesse der Welt einzuladen, ist ein zumindest riskantes Projekt. Denn die Einladung ist vor allem eine politische Geste. Natürlich geht es auch darum, die wenig bekannte arabische Literatur hierzulande zu verbreiten. Aber aufhorchen lässt, dass ein so andersartiger - und so angreifbarer - "Gesprächspartner" eingeladen wird. Das Gespräch, genauer: ein liberaler und weltoffener Dialog, ist das Ziel von Buchmessen-Direktor Volker Neumann und dem von ihm eingesetzten Koordinator Dr. Mongi Bousneina, Generaldirektor der arabischen Organisation für Bildung, Kultur und Wissenschaften. Das klingt nach guten Absichten, doch worüber kann das Gespräch geführt werden? Den Rahmen dazu gibt die Auswahl der Gesprächspartner vor. Gerade die arabische Liga als Koordinator zu bestimmen, heißt eine politische Organisation zu ermächtigen, deren Tenor der arabische Nationalismus ist. Auch wenn diesem heute nicht mehr die Wichtigkeit zukommt wie vielleicht noch vor 30 Jahren, bleibt er doch eine problematische Position.
Die eine, einheitliche "arabische Welt", wie sie auf der Frankfurter Buchmesse präsentiert werden soll, gibt es nicht. Sie ist ein Konstrukt, das nur auf der Basis von Ausschließungen funktioniert. Wie diese Ausschließungen in der Vergangenheit ausgesehen haben, zeigt eindrucksvoll das Beispiel Irak. Hier begründeten Theoretiker der Baath-Partei in den dreißiger und vierziger Jahren die Idee einer arabischen Kulturnation. Diese Kulturnation gründet sich auf eine mythisierte Vergangenheit und ein daraus resultierendes gemeinsames kulturelles Bewusstsein von Ländern, die in der Realität politisch unabhängig voneinander existieren. Das zu ändern verstand die Baath-Partei als ihre historische Mission. Dazu musste die Bevölkerungssituation im Irak, die durchaus wenig mit dieser Vision einer "arabischen" Bevölkerung gemein hatte - nur etwa ein Fünftel waren sunnitische Araber - entsprechend verändert werden. Kurden, Schiiten und Assyrer wurden deportiert oder verfolgt.
Ein anderer Ausschlussmechanismus funktioniert bis heute über die Sprache. Das Stichwort heißt "Arabisierung": Im vergangenen Jahrhundert wurde zum Beispiel in den Ländern Nordafrikas nach dem Ende der Kolonisation unter dem Vorwand, die alte "Feindessprache" des Französischen abzulösen, mit der Einführung des Hocharabischen ein neues Machtmonopol aufgebaut. Die eben hoffnungsvoll gewordene, hauptsächlich arme und analphabetische Bevölkerung wurde damit wiederum vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen. Ihre Alltagssprache - egal, ob es sich um einen regionalen arabischen Dialekt, um eine der vielen Berbersprachen oder um andere Minderheitensprachen handelt - blieb auf den privaten, mündlichen Gebrauch beschränkt. Erst nach und nach finden sie Eingang in die Medien und die Literatur.
Eine Organisation mit der Koordination eines betont liberalen Dialoges zu betrauen, die sich die Arabisierung bis heute auf die Fahne schreibt, erscheint da fragwürdig. "Wo auf der diesjährigen Buchmesse werden jene Stimmen von Kurden, Yeziden, Assyrern, Drusen, Tscherkessen, Kopten oder Berber Gewicht erhalten, die einen wesentlichen Anteil an der Literatur dieser Region haben?", wird zu Recht in einem Offenen Brief der Sivan-Perwer-Kuturstiftung gefragt.
Wie soll die Arabische Liga, die innerhalb der eigenen Reihen nicht liberal mit der Sprachfrage umgeht, glaubwürdig einen liberalen Dialog nach außen führen? Dass der eine oder andere französischsprachige Autor und Literat in Frankfurt geladen ist, ändert daran grundsätzlich wenig. Wäre die Arabische Liga tatsächlich liberal, und würde ihr die Literatur wirklich am Herzen liegen, dann müsste sie sich mit einer Aufgabe befassen, die politisch und ästhetisch gleichermaßen folgenreich ist: Die arabische Sprache erneuern zu helfen. Anstatt weiter auf eine offizielle Sprache zu vertrauen, die nur den wenigsten geläufig ist, müssten, so sehen es viele arabische Intellektuelle - ähnlich wie in Europa ausgehend vom Latein - verschiedene, eigenständige und offiziell anerkannte Ausformungen des Arabischen entstehen. Denn die arabische Sprache, welche in der Lyrik benutzt wird, lebt der Dichter ausschließlich in seinem Kopf, beschreibt der irakische Lyriker und Übersetzer Khalid al-Maaly das Problem. Diese Kopfsprache einzusetzen, um alltägliche, gegenwärtige Erlebnisse wieder zu geben ist ebenso unmöglich wie sie poetisch zu revolutionieren. Ein neues Arabisch, das sich stärker an der Gegenwart und weniger an den alten, heiligen Texten orientiert, könnte für Poeten und Literaten gleichermaßen fruchtbar sein. Ein solches Arabisch zu entwickeln, bleibt eine offene Aufgabe.
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