Grillen zirpen, Wasser plätschert leise, Violinen halten einen hohen Ton. "Was spürst du, Jehuda?" "Die Mittagshitze auf meinem Gesicht." Jehuda ist in das Bad gekommen, um seinen Freund Yussuf zu massieren mit den teuersten Essenzen aus Ägypten. Aber da Yussuf auf sich warten lässt, verlockt ihn Esteban, der Bäderbauer, sein neuestes Meisterwerk auszuprobieren. Nackt sitzen beide einträchtig und friedvoll auf den warmen Platten aus der Barbarei, vom Wasser umspielt. "Und jetzt, Jehuda, juckel auf und nieder, als würdest du auf einem Esel reiten." Wasser und Violinen schwellen zu einem Rauschen an, eine unterirdische Fontäne beginnt zu sprudeln und den beiden Männern ein gar unfrommes Vergnügen zu bereiten, dem sie sich trotz religiöser Bedenken bald hingebungsvoll widmen, spontan rhythmische Lobgedichte dazu erfindend, friedlich die Ornamente der Kacheln meditierend.
Mit dieser lustvollen Szenen beginnt das Hörspiel Cordoba oder die Kunst des Badens von Melchior Schedler, produziert 1983 und einziger Gewinner der Auszeichnung "Hörspiel des Jahrzehnts". Die vertraute Freundschaft zwischen dem jüdischen Bademeister, dem christlichen Bäderbauer und dem Imam der Moschee ist ebenso wie deren fein gebildeter Kunstgenuss Sinnbild einer Epoche im Zenit, des westlichen Teils der arabischen Welt im europäischen Mittelalter. Cordoba, wie es im Hörspiel beschrieben wird, war damals ein geistiges und kulturelles Zentrum des Islams, "Mekka des Westens" und eine der reichsten Städte des mittelalterlichen Europas. 1236, exakt in diesem Jahr sitzen unsere Männer im Bad, wurde diese Epoche beendet. Die christlichen Heere aus dem Norden Spaniens erobern in der "Reconquista" die maurisch besetzte Halbinsel zurück.
Das friedliche Zusammenleben der Anhänger dreier großer Weltreligionen, ihr entspannter und gelehrter theologischer Disput und das überragende Niveau der arabischen Künste und Wissenschaften - darauf verwies kürzlich die algerische Schriftstellerin Assia Djebar anlässlich des "arabischen" Schwerpunktes der diesjährigen Frankfurter Buchmesse. Ob aber die mit dieser Messe intendierte Aufklärung darüber, was arabisch ist, gelingen kann, daran zweifelt zum Beispiel Gamal al-Ghitani, Autor und Herausgeber einer ägyptischen Literaturzeitschrift. Er bemängelt das Fehlen einer gemeinsamen Vision auf arabischer Seite und gibt zu bedenken, dass nach dem elften September die Arabische Welt zu stark mit dem Islam identifiziert werde. Damit trifft er einen wunden Punkt, der zugleich Gefahr und Chance dieser Buchmesse ist - und der nicht erst seit diesem Jahr auch in Europa wahrgenommen wird.
Der Koran - Ein fremdes Heiligtum entdecken heißt ein Hörbuch, das vom Westdeutschen Rundfunk im Jahr 1994 produziert wurde. Es beinhaltet Lesungen aus der Heiligen Schrift, die teils auf arabisch, überwiegend aber auf deutsch vorgetragen werden. Einführend erläutert ein Text den Ursprung der Schrift und gibt Informationen über das Leben des Propheten Muhammad. Deutlich ist diesem Text das Bemühen anzuhören, das Menschenbild des Korans als ein freiheitliches zu betonen und die Strafen, die im Koran für die Ungläubigen vorgesehen sind, mit dem Hinweis zu entschärfen, dass Gott barmherzig ist und dem Menschen immer die freie Wahl lässt, sich zu entscheiden.
Dennoch wirken die Texte mit ihrer archaischen Sprache, ihren symbolischen Bildern und - das kommt erschwerend hinzu - durch die sehr strenge, Ehrfurcht heischende Haltung von Rolf Boysen im ersten von drei Teilen recht drastisch. Nicht umsonst ist im Untertitel die "fremde Welt" genannt, die der Koran für unbescholtene deutsche Hörer darstellt. Ohne den Vergleich zu den christlichen und jüdischen Schriften, ohne die Kenntnis der theologischen Debatten, insbesondere der verschiedenen Meinungen über die Freiheit, mit der dieser Text auszulegen ist, ist es schwer, sich ein Bild zu machen von der Bedeutung des Korans für das Leben heute in der arabischen Welt. Dieses ambitionierte Projekt, dessen aufklärerisches Ziel durchaus im Sinne der Buchmesse sein dürfte, erfüllt weniger das Bedürfnis nach Wissen, als dass es die Frage danach stellt, wie die Vermittlung zwischen so unterschiedlichen Kulturen gelingen kann. Den Koran beinah wie einen belletristischen Text einfach vorlesen zu lassen mag im besten Fall dazu dienen, die Neugier zu wecken. Eine echte Annäherung ermöglicht ein solches Hörbuch sicher nicht vielen Menschen.
Ganz nahe kommt dem Hörer dagegen Bei lebendigem Leib, die Geschichte einer Verbrannten. Souad, so nennt sich die Verfasserin, ist ein seltener Glücksfall, denn sie gehört zu den wenigen, die Zeugnis ablegen können von dem weit verbreiteten Phänomen des Ehrenmordes. Damit wird ein Verbrechen bezeichnet, das in frauenfeindlichen Gesellschaften des mittleren Ostens (Pakistan, Jordanien, aber auch die Türkei) ungezählte Frauen das Leben kostet - weil sie in nicht nachvollziehbarer Weise gegen einen archaischen Ehrenkodex verstoßen haben. Warum, seit wann und wo überall der Ehrenmord verübt wird, kann dieser Bericht nicht erklären. Nur in einem kurzen Zwischentext wird erläutert, wie in Jordanien der Versuch scheiterte, einen Gesetzestext abzuschaffen, der den Ehrenmord als Bagatelle kaum unter nennenswerte Strafe stellt. Gegen diese Änderung stimmten Beduinen, die nach mittelalterlichen Gesetzen leben.
Auch die Geschichte von Souad entführt die Hörer in eine sehr fremde Welt. Doch da sie erst erzählt, nachdem sie diese fremde Welt verlassen hat und seit Jahren in Europa lebt, findet der Brückenschlag zwischen hier und dort in ihren Gedanken und Erinnerungen statt und wird somit leichter nachvollziehbar. In dieser ländlichen und sehr armen Welt gelten Frauen weniger als Vieh, und erst recht weniger als Männer. Dass sie geschlagen, misshandelt und getötet werden, ist ganz normal. Auch Souad selbst wäre wohl in dieser frauenverachtenden Tradition verhaften geblieben, hätte vielleicht ebenso wie ihre Mutter neugeborene Töchter ohne viel Aufhebens getötet. Da sie sich aber gegen den Willen der Familie auf einen Mann eingelassen und mit ihm ein Kind gezeugt hat, ist sie diesem Alptraum entkommen. Allerdings zu einem sehr hohem Preis. Zwar hat sie wie durch ein Wunder den Mordanschlag ihres Schwagers überlebt, der versucht hat, sie zu verbrennen. Doch auch noch Jahrzehnte nach ihrer körperlichen Genesung verfolgt sie dieses traumatische Erlebnis, immer wieder ist sie kurz davor, sich das Leben zu nehmen. Wie sie sich langsam mit ihrer Erinnerung auseinander setzt, wie gerade das Erzählen davon zuerst vor einem Publikum, dann in ihrer eigenen Familie zu ihrer Genesung beiträgt, ist eine sehr berührende Geschichte. Schade nur, dass gerade in einem solchen eigentlich der mündlichen Tradition entstammenden Text die Übersetzung schludert und den Duktus der gesprochenen Sprache nicht überzeugend wiedergibt.
Auch die Geschichte im Hörspiel Cordoba oder die Kunst des Badens verläuft grausam. Cordoba wird besiegt, die Badenden von den christlichen Heeresführern gefangen genommen und in den kalten Norden verschleppt. Doch obwohl sie wie die Tiere im Stall hausen müssen, ihre gelehrten, gedichtartigen Gebete auf Unverständnis stoßen und selbst Esteban, der christliche Ordensmann, nicht verschont wird, verlässt sie die Lust am Bade nicht. Als sie die alte, verknöcherte und völlig verkrampfte Monarchin wässern sollen, gelingt es ihnen, die 82-Jährige zum Genuss zu verführen. Gerade als diese sich von der improvisierten Fontäne der Bademeister verwöhnen lässt und zum ersten Mal in ihrem Leben Wärme und Lust zulässt, endet ihr Leben. Was das für das Schicksal der Gefangenen bedeutet, ist klar. Dennoch - das Aufleben der Fontäne, gleichbedeutend mit der Entspannung zwischen feindlichen Fronten, stimmt zuversichtlich.
Melchior Schedler: Cordoba oder die Kunst des Badens. Produktion: SDR 1983, 64 Minuten, Ohrenweide/Pharos Medien, 14,90 EUR
Der Koran, Ein fremdes Heiligtum entdecken. Produktion WDR 1994, Random House Audio, 5 CDs, 34,50 EUR
Souad: Bei lebendigen Leib. Random House Audio, 4 CDs, ca. 320 Minuten, 29,90 EUR
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