Elfriede Jelinek trifft auf Popkultur

Theaterkritik – Orpheus auf Koks: und Eurydike will endlich ihre Ruhe

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...hektisch sitzt Eurydike (Jule Böwe) im Auto und rast zu Ihrem Sänger, Orpheus (Renato Schuch). Er singt, der Sänger. Nimmt Eurydike nur als Körper wahr. Sie ist sein Schatten. Ein Abbild von einem Mann; eine Muse, die ihre Individualität durch Kleidung erlangt. Keinen Tag bleibt der Macho ungefickt. Wird auf der Bühne von jungen Teenies angehimmelt. Und SIE? Die Frau? SCHATTEN...aufgewacht in der Unterwelt, befindet sich Eurydike in einer Zelle; sie ist tot. Alles verläuft hier ganz schnell. Die Zeit rast. Und Orpheus will seine Eurydike zurück.

Regisseurin Katie Mitchell hat die SchauBÜHNE zum Filmset ummontiert. Die eigentliche Inszenierung findet auf der Leinwand statt. Bild für Bild. Szene um Szene; lernen wir über die Sprecherin Stephanie Eidt, Eurydikes Gedanken kennen.

Und er singt, der Sänger singt, (…) kein Schatten, und doch, er sieht mich nicht, er sieht nicht, wie ich jetzt aussehe, das könnte er auch gar nicht, denn ein Aussehen gibt es nicht mehr, das ist gut, ich will auch keinen Körper mehr, aber er findet sich nicht damit ab. Gibt sich nicht zufrieden. Das gehört bei ihm dazu (…) (Eurydike in Elfriede Jelineks, Schatten [Eurydike sagt])

In Elfriede Jelineks Drama SCHATTEN (EURYDIKE SAGT) kommt die Frau zu Wort und spricht über den Mythos, ein Abbild des Mannes zu sein. Die Frau ist ein Objekt, welches sich einkleidet. Kleidung definiert dieses Objekt. Körper wird zum Objekt der Begierde degradiert. Bestenfalls Liebesobjekt. Mehr ist sie nicht; die Frau. Selbst im Reich der Schatten, hat Eurydike nicht ihre Ruhe. Orpheus zerrt an ihr. Er will sie wieder haben, weil sie zu ihm gehört. Er bittet Hades sie ihm wiederzugeben. Sein Schmuckstück, die Frau. Auch unter der Bedingung sie niemals mehr ansehen zu dürfen, nimmt er sie mit. Doch sie will nicht. Ein Wendepunkt.

Eingebetteter Medieninhalt

Total fesselnd, wie in einem Thriller inszeniert Mitchell Elfriede Jelineks Drama SCHATTEN (EURYDIKE SAGT). Gekonnt arbeitet die Regisseurin die feministischen Aspekte heraus und lässt die Schauspielerin Jule Böwe als selbstzweifelnde Schriftstellerin auftreten, die im Schatten ihres Sängers nicht schreibt. Sie ist ja nur eine Frau. Irgendwie zynisch, aber voller Entschlossenheit, teilt sie ihrem Sänger mit: >>Ich will endlich meine Ruhe haben!<<; mein liebstes Moment. Eurydike will lieber ein emanzipierter Schatten im Nicht-Ort sein. Ein Körper ohne Kleidung; eine Frau, die sich durch das Schreiben definiert und identifiziert. Und nicht das Abbild irgendeines Mannes ist. Jelineks SCHATTEN (EURYDIKE SAGT) trifft in Mitchells Inszenierung auf Popkultur; Drama trifft auf Film und Theater auf Kino. Zwei unterschiedliche Genre werden miteinander vereint, und machen die schwierigen Textflächen von der Autorin für das Publikum zugänglich. Noch nie habe ich so eine gelungene Jelinek-Inszenierung gesehen. Chapeau!

SCHATTEN (EURYDIKE SAGT)| Schaubühne Berlin| 9.11. – 16.11.2016| Jeweils um 20h| Weitere Spieltermine: http://www.schaubuehne.de/en/produktionen/schatteneurydikesagt.html/m=319 | Karten unter: ticket@schaubuehne.de oder 030/89 00 23.

Zuerst veröffentlicht unter: http://www.freigeist-magzine.de/index.php/2016/10/01/elfriede-jelinek-trifft-auf-popkultur/

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Geschrieben von

Sabine_Schmidt

Studierte Philosophie, Germanistik, Theaterwissenschaft. Als Journalistin und Theaterkritikerin tätig, u.a. für das Freigeist-MagZine.

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