>>I hate my Fear<<

Theaterkritik Der französische Choreograph Jérôme Bel erarbeitet gemeinsam mit den Schauspieler*innen von Theater Hora eine außergewöhnliche Kennenlernrunde: >>Disabled Theater<<.

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Im Rahmen des Berliner Theaterfestivals >>No Limits<< (9.-18.11.2017) kehrte die HAU-Koproduktion >>Disabled Theater<< (2012)von Jérôme Bel und den Schauspieler*innen des Züricher Theater Hora zurück an das HAU und feierte dort nach erfolgreichen 180 Aufführungen ihre letzte Performance. Das Festival >>No Limits<< ist ein internationales Theaterfestival, welches nach Strategien sucht, wie behinderte Künstler*innen politisch agieren können. >>Disabled Theater<< beschäftigt sich mit der Wahrnehmung von behinderten Menschen, ihren Persönlichkeiten und ihren choreografischen Talenten. Zu Beginn der Performance treten alle elf Schauspieler*innen (Remo Beuggert, Noha Badir, Gianni Blumer, Damian Bright, Matthias Brücker, Nikolai Gralak, Matthias Grandjean, Julia Häusermann, Sara Hess, Remo Zarantonello, Tiziana Pagliaro, Fabienne Villiger) einzeln auf und schauen eine Minute lang ins Publikum. Zuschauer und Akteur betrachten sich gegenseitig, setzen sich ihren Blicken aus. Was siehst Du? Und wen siehst Du? – Ist eine große Frage, die den Abend eröffnet und die Performance in eine Kennenlernrunde lenkt, in der Schauspieler*innen und Choreograph zeigen, dass die erste Wahrnehmung meines Gegenübers nicht mehr ist, als eine Ableitung von seinem Äußeren auf den mentalen und körperlichen Charakter einer Person. Nach dem alle elf Darsteller*innen sich mit ihrer äußeren Erscheinung auf der Bühne präsentiert haben, stellen sie sich nun mit Namen, Alter, Beruf und mit ihren Handicap vor. Viele der Schauspieler*innen haben Diagnosen, wie Trisomie 21, auch bekannt unter Down Syndrom, Autismusoder Lernschwäche erhalten. Viele von ihnen sind in ihrem Tun etwas langsamer, haben soziale Ängste oder kognitive Beeinträchtigungen. Was sagen diese Diagnosen über unsere Gesellschaft aus? – Menschen werden klassifiziert. Meistens um ihnen Persönlichkeitsrechte abzusprechen, anstatt ihnen welche zu zusprechen.

>>Ich habe Down Syndrom und jetzt?<<

Jeder Mensch ist anders, auf seine eigene Weise sonderbar, weswegen auf der Bühne keine Menschen mit Behinderungen stehen, sondern außergewöhnliche Persönlichkeiten mit unterschiedlichen choreografischen Begabungen, wie das >>Disabled Theater<< zeigt. Im dritten Teil der Performance haben sieben Schauspieler*innen zu einer von ihnen ausgewählten Musik eine Choreographie entwickelt, in der im Hintergrund des zentralen Tanzstücks choreografische Nebenelemente der anderen Darsteller*innen mit in die choreografische Arbeit des Protagonisten einfließen. Besonders spektakulär und begabt waren die Arbeiten der Schauspieler*innen Remo Zarantonello und Julia Häusermann, worin sich choreografische Glanzstücke entdecken ließen. Jérôme Bel und das Ensemble von Theater Hora kreierten mit ihrer Produktion ein politisches Statement über die Wahrnehmung des Menschen, den Umgang mit sozialen Ängsten und der Beurteilung ihres Selbst, aufgrund von Stereotypen und Diagnosen. Das Berliner Theaterfestivals >>No Limits<< läuft noch bis zum 18.11.2017 http://www.no-limits-festival.de/.

Zuerst veröffentlicht: http://www.freigeist-magzine.de/index.php/2017/11/15/i-hate-my-fear/

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Geschrieben von

Sabine_Schmidt

Studierte Philosophie, Germanistik, Theaterwissenschaft. Als Journalistin und Theaterkritikerin tätig, u.a. für das Freigeist-MagZine.

Sabine_Schmidt

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