Was bleibt?

Theaterkritik Wir sind alle SUPER MEGA KRASS BUSY. Heute. Morgen. Eigentlich die ganze Zeit; wir sind müde und ausgelaugt.

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Ihre Freitag-Redaktion

Sorry, ich habe keine Zeit mit Dir zu sprechen, Dir zu zuhören oder mich um Dich zu kümmern. Das wollte ich Dir nur sagen. Du … ICH BIN MOMENTAN ECHT SUPER MEGA KRASS BUSY … Das wollte ich Dir JETZT nur sagen. Deswegen schreibe ich Dir und rufe Dich an. Ich dachte Du solltest wissen, dass ich SUPER MEGA KRASS BUSY bin. … Und müde. Natürlich. Komme kaum noch zum Schlaf.

In Falk Richters und Nir de Volffs Inszenierung NEVER FOREVER, welche im September 2014 an der Schaubühne Berlin Uraufführung feierte, befinden sich die Charaktere mitten in unserer digitalen Leistungsgesellschaft. Isoliert und arbeitend, leben wir mehr oder minder vor uns hin und suchen nach Leben. Nach wahren Begegnungen, die uns spüren lassen, dass wir existieren. Gemeinsam zusammenlebend. Beziehung. NEIN! DAS IST MIR ZU NAH. – Die Angst vor Nähe und vor der Symbiose, in der das eigene Ich mit dem Anderen zu verschmelzen droht, lässt das Ich ins Digitale verschwinden. Das Netz schafft Nähe. Schafft (erträgliche) Verbindungen, die ich jederzeit kappen kann. Jeder ist für sich. Getrennt und doch verbunden. Wir leben in einem Neoliberalismus, der Kapitalakkumulation über Isolation betreibt. Der Autor und Regisseur Richter schafft mit NEVER FOREVER ein Äquivalent zu unserer Gesellschaft. Ein Ebenbild, welches sich in abgetrennten Zimmern und Zellenblöcken abspielt. Beziehungen gehen auf und ab, sodass mensch es gar nicht mehr aushalten kann.

Und lieber allein bleiben möchte; wäre da nicht der Wunsch nach Nähe. Gefangen in einer melancholischen Stimmung sind die Schauspieler und Tänzer auf der Suche nach sich selbst, haben Angst sich durch den Anderen, beziehungsweise durch die Anderen zu verlieren. Dafür setzt die Inszenierung auf Monologe oder Solos. Die Verbindung zum Anderen erfolgt meist über ein Kommunikationsmedium oder durch Spiegelung. Das narzisstische Ich versucht über die Spiegelung mit dem Anderen in Kontakt zu treten, eine Beziehung aufzubauen und sich Selbst zu finden. Aber statt Selbstfindung, bleibt nur die unerträgliche Nähe und der Selbstverlust. Denn, wer ist der Mensch unter all den Möglichkeiten und Rollen?

»Ich bin Deine Tochter.

Also das kann nicht sein. Die Mutterrolle habe ich immer abgelehnt, die wollte ich nicht spielen.«

Verstörend, prallen die Protagonisten gegen Wände oder hauen mit dem Hammer auf dem Tisch. Verletzen sich, um sich zu spüren. Die Szenen erscheinen, wie das Innenleben eines von Borderline-Erkrankten Individuums. Richter hat mit dem Choreografen Nir de Volff eine veränderte ästhetische Richtung eingeschlagen, die mehr Brutalität und Gewalt zulässt, um hervorzuheben, dass unsere Gesellschaft in Körper und Seele Spuren hinterlässt. Nir de Volff zeigt mit seinen Tänzern von Total Brutal das Gegenwarts-Indivduum : erschöpft, isoliert, einsam, verletzt. SYSTEMFEHLER. Der Mensch durchlebt im Zeitalter der Digitalität eine Wandlung. Es wird zum narzisstischen Leistungssubjekt, das keiner Beziehung stand hält und sich immer wieder als Projekt-Ich neu entwerfen muss. Genau wie Goethes Gretchen prophezeit die Schauspielerin Ilse Ritter den Untergang des Menschen:

»Me

Sorry, ich habe keine Zeit mit Dir zu sprechen, Dir zu zuhören oder mich um Dich zu kümmern. Das wollte ich Dir nur sagen. Du … ICH BIN MOMENTAN ECHT SUPER MEGA KRASS BUSY … Das wollte ich Dir JETZT nur sagen. Deswegen schreibe ich Dir und rufe Dich an. Ich dachte Du solltest wissen, dass ich SUPER MEGA KRASS BUSY bin. … Und müde. Natürlich. Komme kaum noch zum Schlaf.

In Falk Richters und Nir de Volffs Inszenierung NEVER FOREVER, welche im September 2014 an der Schaubühne Berlin Uraufführung feierte, befinden sich die Charaktere mitten in unserer digitalen Leistungsgesellschaft. Isoliert und arbeitend, leben wir mehr oder minder vor uns hin und suchen nach Leben. Nach wahren Begegnungen, die uns spüren lassen, dass wir existieren. Gemeinsam zusammenlebend. Beziehung. NEIN! DAS IST MIR ZU NAH. – Die Angst vor Nähe und vor der Symbiose, in der das eigene Ich mit dem Anderen zu verschmelzen droht, lässt das Ich ins Digitale verschwinden. Das Netz schafft Nähe. Schafft (erträgliche) Verbindungen, die ich jederzeit kappen kann. Jeder ist für sich. Getrennt und doch verbunden. Wir leben in einem Neoliberalismus, der Kapitalakkumulation über Isolation betreibt. Der Autor und Regisseur Richter schafft mit NEVER FOREVER ein Äquivalent zu unserer Gesellschaft. Ein Ebenbild, welches sich in abgetrennten Zimmern und Zellenblöcken abspielt. Beziehungen gehen auf und ab, sodass mensch es gar nicht mehr aushalten kann.

Und lieber allein bleiben möchte; wäre da nicht der Wunsch nach Nähe. Gefangen in einer melancholischen Stimmung sind die Schauspieler und Tänzer auf der Suche nach sich selbst, haben Angst sich durch den Anderen, beziehungsweise durch die Anderen zu verlieren. Dafür setzt die Inszenierung auf Monologe oder Solos. Die Verbindung zum Anderen erfolgt meist über ein Kommunikationsmedium oder durch Spiegelung. Das narzisstische Ich versucht über die Spiegelung mit dem Anderen in Kontakt zu treten, eine Beziehung aufzubauen und sich Selbst zu finden. Aber statt Selbstfindung, bleibt nur die unerträgliche Nähe und der Selbstverlust. Denn, wer ist der Mensch unter all den Möglichkeiten und Rollen?

»Ich bin Deine Tochter.

Also das kann nicht sein. Die Mutterrolle habe ich immer abgelehnt, die wollte ich nicht spielen.«

Verstörend, prallen die Protagonisten gegen Wände oder hauen mit dem Hammer auf dem Tisch. Verletzen sich, um sich zu spüren. Die Szenen erscheinen, wie das Innenleben eines von Borderline-Erkrankten Individuums. Richter hat mit dem Choreografen Nir de Volff eine veränderte ästhetische Richtung eingeschlagen, die mehr Brutalität und Gewalt zulässt, um hervorzuheben, dass unsere Gesellschaft in Körper und Seele Spuren hinterlässt. Nir de Volff zeigt mit seinen Tänzern von Total Brutal das Gegenwarts-Indivduum : erschöpft, isoliert, einsam, verletzt. SYSTEMFEHLER. Der Mensch durchlebt im Zeitalter der Digitalität eine Wandlung. Es wird zum narzisstischen Leistungssubjekt, das keiner Beziehung stand hält und sich immer wieder als Projekt-Ich neu entwerfen muss. Genau wie Goethes Gretchen, prophezeit die Schauspielerin Ilse Ritter den Untergang der Menschen:

»Meine Ruh ist hin. Mein Herz ist schwer. Ich finde sie nimmer und nimmermehr. Wo ich ihn nicht hab, Ist mir das Grab. Die ganze Welt Ist mir vergällt. Mein armer Kopf Ist mir verrückt. Meiner armer Sinn Ist mir zerstückt.«

NEVER FOREVER ist ein hartes Stück Realität, in der der Mensch an der digitalen Leistungsgesellschaft körperlich und seelisch zugrunde geht. Düster und brutal angehaucht, versucht das Ensemble die Zuschauer ästhetisch wachzurütteln und zu erklären, in welche Richtung sich unsere Gesellschaft bewegt. Narzissmus, Isolation und ein ständiges Leistungsstreben, das für individuellen Zerfall und für Kapitalakkumulation sorgt. Nichts bleibt. Nichts hält. Alles entwirft sich immer wieder neu; bis alles verschwunden ist.

NEVER FOREVER| weitere Spieltermine an der Schaubühne Berlin: http://www.schaubuehne.de/de/produktionen/never-forever.html/m=318 | Karten unter: ticket@schaubuehne.de oder 030/89 00 23.

Zuerst erschienen: http://www.freigeist-magzine.de/index.php/2016/11/01/neverforever/

ine Ruh ist hin. Mein Herz ist schwer. Ich finde sie nimmer und nimmermehr. Wo ich ihn nicht hab, Ist mir das Grab. Die ganze Welt Ist mir vergällt. Mein armer Kopf Ist mir verrückt. Meiner armer Sinn Ist mir zerstückt.«

NEVER FOREVER ist ein hartes Stück Realität, in der der Mensch an der digitalen Leistungsgesellschaft körperlich und seelisch zugrunde geht. Düster und brutal angehaucht, versucht das Ensemble die Zuschauer ästhetisch wachzurütteln und zu erklären, in welche Richtung sich unsere Gesellschaft bewegt. Narzissmus, Isolation und ein ständiges Leistungsstreben, das für individuellen Zerfall und für Kapitalakkumulation sorgt. Nichts bleibt. Nichts hält. Alles entwirft sich immer wieder neu; bis alles verschwunden ist.

Eingebetteter Medieninhalt

NEVER FOREVER| weitere Spieltermine an der Schaubühne Berlin: http://www.schaubuehne.de/de/produktionen/never-forever.html/m=318 | Karten unter: ticket@schaubuehne.de oder 030/89 00 23.

Zuerst erschienen: http://www.freigeist-magzine.de/index.php/2016/11/01/neverforever/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sabine_Schmidt

Studierte Philosophie, Germanistik, Theaterwissenschaft. Als Journalistin und Theaterkritikerin tätig, u.a. für das Freigeist-MagZine.

Sabine_Schmidt

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