Die Maulwürfe des Kreml

Netzpiraten Im vergangenen Jahr kaperten Hacker den Twitter-Account von Russlands Ministerpräsident. Nun basteln die Urheber des Coups zunehmend an ihrem eigenen Mythos

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Am 14. August 2014 erklärte Dmitrij Medwedew seinen Rücktritt als Ministerpräsident der Russischen Föderation: „Ich trete zurück. Ich schäme mich für die Taten der Regierung. Verzeiht mir.“ Für die internationale Netzöffentlichkeit, und auch für die Betroffenen selbst, war die Sache allerdings nicht mehr als ein gönnerhaftes Schmunzeln wert: Twitter ist seit Jahren bekannt als eines der schnellsten, aber damit auch manipulationsanfälligsten Internetmedien. Nachdem das Publikum schon auf so manche Twitter-Ente hereingefallen ist, gilt für Tweets ein Ironiefilter. Und wenn mal wieder der Account eines Prominenten geknackt wird, kann man es eher als Bestätigung dessen ansehen, dass jener tatsächlich prominent ist.

Zu dem Coup bekannte sich eine Hackergruppe namens „Anonyme Internationale“. Über einen Blog mit dem Titel Schaltaj Boltaj (russ. für Humpty-Dumpty) lanciert die Vereinigung seit etwa anderthalb Jahren immer wieder Inhalte aus Konversationen höherer, jedoch nicht unbedingt namhafter, Regierungsfunktionäre. Zuletzt veröffentlichte die „Anonyme Internationale“ eine Reihe von SMS-Konversationen von Timur Poropenko, dem stellvertretenden Leiter der innenpolitischen Abteilung der Präsidialverwaltung. Die Konversationsprotokolle dokumentieren, wie der orthografisch minderbemittelte Poropenko versucht, Protestkundgebungen infiltrieren zu lassen, wie er Anweisungen zur Verbreitung kompromittierender Informationen gibt und direkt mit Herausgebern bekannter Nachrichtenmedien in Kontakt tritt, um so redaktionelle Entscheidungen zu manipulieren.

In Russland haben die Enthüllungen allerdings für eher wenig Gesprächsstoff gesorgt. Denn abgesehen von vergleichsweise harmlosen Scherzen, wie dem Überfall auf Medwedews Twitter-Account, waren es in erster Linie eher wenig bekannten Charaktere wie Poropenko, die zur Zielscheibe der „Anonymen Internationale“ wurden. So manche Konspirologen vermuten daher den Ursprung des Hackernetzwerks direkt hinter den Kremlmauern: Die Enthüllungsplattform werde eingesetzt, um Machtspiele auszutragen, indem zweitrangige Mitglieder weitverzweigter Personalnetzwerke gezielt diskreditiert werden. In der Öffentlichkeit scheint sich für viele indes nur zu bestätigen, was man seit über zweihundert Jahren ohnehin zu wissen glaubt: Dass sich um die engeren Zirkel der Macht alle möglichen Karrieristen und Emporkömmlinge einnisten, die sich in ihrem Karriereehrgeiz auch von der eigenen Beschränktheit nicht aufhalten lassen. In der Tat hat die grobschlächtige und einfältige Art Poropenkos etwas realsatirisches – wie aus der Feder Nikolaj Gogols. Ein „Held unserer Zeit“, wie man in Russland gerne sagt.

In der ersten Hälfte des vergangenen Jahr war die „Anonyme Internationale“ besonders stark aktiv. So veröffentlichte die Gruppe Dokumente und Korrespendenzen, die dokumentierten, wie die Medien in Russland durch Regierungsstellen offensiv auf eine positive Berichterstattung über Krim-Referendum „eingeschworen“, der Widerstand der Krimtataren systematisch totgeschwiegen und später Journalisten als Dank für ihre Loyalität mit Militärorden ausgezeichnet wurden.

Dazu, aus welchen Kreisen sie sich rekrutiert, welche Ziele sie verfolgt und mit welchen Methoden sie arbeitet, hielt sich die „Anonyme Internationale“ hingegen relativ lange bedeckt. Im August vergangenen Jahres veröffentlichte die Moskauer Nachrichtenseite Look At Me Inhalte aus einem Interview, das die Redakteure – laut eigener Beschreibung – mit Mitgliedern der Gruppe über verschlüsselten Chat geführt hatten. Etwa vier Monate später berichtete Daniil Turowskij, Sonderkorrespondent von Meduza, über ein direktes Treffen mit einem der Gründer der „Anonymen Internationalen“.

Die Gruppe beschreibt sich selbst als ein loses Netzwerk von größtenteils in Russland wohnhaften IT-Spezialisten, die aufgrund ihrer Tätigkeit sowohl das technische Know-how, als auch die entsprechenden Zugänge haben, um an ihr Enthüllungsmaterial zu kommen. Im beruflichen Leben kämen die Aktivisten immer wieder mit Regierungsstellen in Kontakt, bis hin zu der Möglichkeit, hochrangige Staatsfunktionäre bei der Eingabe von Passwörtern zu beschatten (so soll es zum Beispiel mit Poropenko gelaufen sein). Als Motiv wird eine gemeinsame Unzufriedenheit über die Regierung genannt, wobei sich diese bei jedem Aktivisten auf unterschiedlich Bereiche beziehen kann: auf die aggressive Außenpolitik Russlands, die zunehmende Einschränkung von Medien- und Netzfreiheit oder die zunehmenden bürokratischen Barrieren für kleine und mittlere Unternehmen.

Seit den großen Protesten Ende 2011 und Anfang 2012 hätten die Mitarbeiter der Präsidialverwaltung feststellen müssen, dass sie keinesfalls eine uneingeschränkte Kontrolle „der Massen“ garantierten könnten. Die Konsequenz daraus sei, dass, sobald sich ein solches Gefühl wieder breitmache, akut mit repressiven Maßnahmen von Seiten des Staates gerechnet werden müsse. Diesen Kräften durch Schaffung größtmöglicher Transparenz entgegenzutreten, beschreibt die „Anonyme Internationale“ als ihr erklärtes Ziel.

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