Die Welt hat sich in den letzten Jahren rasant verändert. Kriege sind wieder akzeptiertes Mittel der Politik, die Spekulationsblase an den Börsen ist geplatzt, Millionen amerikanische Haushalte bangen um ihre Altersbezüge, deutsche Banken schreien nach Staatshilfe und die Erfolgsstory neoliberaler Privatisierungspolitik verendete mit Enron und Worldcom in Jahrhundertpleiten. Die Weltwirtschaft steht vor ihrer tiefsten Krise seit Ende des Zweiten Weltkrieges und die herrschende Politik vollstreckt eine neue Runde neoliberaler Brutalisierung, um die Kapitalrenditen zu retten. Unter der Headline »Agenda 2010« holt Schröder zum finalen Enthauptungsschlag gegen jegliche Sozialität im kapitalistischen Deutschland aus. Die Arbeitslosigkeit steigt dennoch weiter, und die Zahl der Unternehmenspleiten ebenso.
Trotz Lähmung, Frust und Resignation - es wächst auch die Bereitschaft, sich zu wehren. Mit dem Weltsozialforum, mit Attac, mit den riesigen Antikriegsdemonstrationen sind Gegenbewegungen entstanden. Einiges spricht dafür, dass die deutschen Gewerkschaften sich für die Agenda 2010 nicht (wie im Falle Rentenreform und Hartz) vereinnahmen lassen, sondern auf das besinnen, was sie über Jahre verlernt zu haben schienen: kämpfen. Wer heute über Alternativen - im, und vor allem zum Kapitalismus - redet, trifft auf weit offenere Ohren als noch vor drei, vier Jahren.
Die einzige noch große linke Partei dieses Landes indes verlor im Herbst ihre Fraktion im Bundestag, verschleißt sich in innerparteilichen Kämpfen und wird in den nächsten Wochen, statt mit Schröders asozialem Super-GAU, mit der Vorbereitung eines Sonderparteitages befasst sein, auf dem ein handlungsunfähig gemachter Parteivorstand durch einen neuen ersetzt werden soll. Es scheint (und ist!) der blanke Irrsinn, aber die Wurzeln liegen nicht in Problemen, die ein Psychiater lösen könnte.
Bis zum 22. September 2002 dominierte in der PDS unangefochten jene politische Linie, für die ihre Protagonisten die Kurzformel »Ankommen in der Gesellschaft« gefunden hatten. Für sie stehen Namen wie Gysi, Bisky und Bartsch, und die Gesellschaft, in der man ankommen wollte, war nicht die der außerparlamentarischen Protestbewegungen, auch nicht die der Gewerkschaften, sondern das politische Establishment, das den real existierenden Kapitalismus verwaltet. Die Akzeptanz insbesondere der SPD-Spitze musste gewonnen werden, um künftig Ministersessel - zumindest auf Landesebene - besetzen zu können, und sie war nur zu haben um den Preis zurückgeschraubter Forderungen und gemäßigter Kapitalismuskritik.
Zunächst schien das Konzept aufzugehen. Nach der Tolerierung in Magdeburg folgte die Koalition in Schwerin und als krönender Höhepunkt die Beteiligung am Berliner Senat. Das Hauptargument für diesen Kurs war schlicht: Nur wer mitmacht, kann verändern. Und wer nicht auf diese Weise mitmachen wollte, wurde in die Ecke des Sektierers gestellt, der nur »am Rande motzen«, aber eben nicht ernsthaft linke Politik im Interesse der Menschen machen wolle.
Der vielbeschworene Gegensatz zwischen »Reformern«, die sich auf reale Politik orientieren, und »Fundamentalisten«, die sich verweigern, ist allerdings eine - wissentliche - Verfälschung der tatsächlichen Konfliktlinie. Eine linke Opposition kann sehr wohl verändern, wenn sie gemeinsam mit außerparlamentarischen Bewegungen die Regierenden zu Zugeständnissen zwingt. Umgekehrt muss eine linke Regierungspartei widerstehen, wenn ihr unsoziale oder undemokratische Politik abverlangt wird. Eine Realpolitik, die Fondsanleger absichert und dann kein Geld für Schulbücher und tarifgemäße Bezahlung öffentlich Beschäftigter hat, zerstört Vertrauen und Glaubwürdigkeit, zerrüttet so die Lebensgrundlagen einer linken Partei. In der Konsequenz fehlt irgendwann nicht mehr nur der Wille, sondern auch die Kraft zur Veränderung.
Erste Warnsignale erhielt die PDS mit den einbrechenden Umfragen in Mecklenburg-Vorpommern und dem Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt. Am 22. September blieb ein Großteil unserer ehemaligen Wähler zuhause. Sie erwarteten von Schröder nicht mehr als von Stoiber - aber eben auch nichts mehr von uns. Mittlerweile ist unser Wähleranteil in Berlin von stolzen 22 auf ganze neun Prozent geschrumpft. Dabei ist die PDS nicht die erste Partei, die diese Erfahrung macht. Auch ein Blick nach Italien oder Frankreich zeigt: Als lernwillige Praktikanten neoliberaler Politikansätze werden linke Parteien nicht gebraucht und vom enttäuschten Wähler abgestraft.
Auf dem Parteitag in Gera wurden daher die richtigen Schlüsse gezogen. Sie lauteten: Abschied von der Orientierung auf ein bundespolitisches »Mitte-Links-Bündnis« (mangels Partner!), Rückbesinnung auf Oppositions- und Widerstandspolitik und der Auftrag, die Partnerschaft mit und Verankerung in außerparlamentarischen Protestbewegungen und Gewerkschaften zu suchen - all das als Existenzfrage und Aufgabe höchster Priorität. Solche Partnerschaft setzt voraus, politisch an einem Strang zu ziehen, statt als Appendix der SPD konzeptionslos auf der Gegenseite herumzustolpern und den Leuten vermeintlich alternativlose »Sachzwänge« vorzugaukeln.
Der Kurs von Gera wurde von einem Teil der PDS-Funktionäre in den Ländern nie akzeptiert, die Arbeit des neuen Bundesvorstandes, wo irgend möglich, boykottiert. Im Berliner Senat regierte das »Weiter so«. Auf dem jetzt herbeigezwungenen Sonderparteitag soll die Revision von Gera auch personell untersetzt werden. Ob sich für diese Rolle rückwärts eine Mehrheit findet, ist ungewiss. Aber falls es so sein sollte, dürfte dies das Ende der PDS als linkes Projekt und soziale Widerstandskraft besiegeln - in einer Zeit, in der sie mehr denn je gebraucht würde.
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