Begegnung im Grenzgebiet

Reportage Die serbisch-ungarischen Grenze bei Subotiča wird täglich von hunderten Menschen auf der Flucht überschritten. Wer den Menschen begegnet, sieht ihre Angst und ihren Mut

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Flüchtlinge lagern im serbisch-ungarischen Grenzgebiet bei Subotiča
Flüchtlinge lagern im serbisch-ungarischen Grenzgebiet bei Subotiča

Foto: ANDREJ ISAKOVIC/AFP/Getty Images

https://scontent.xx.fbcdn.net/hphotos-xpt1/t31.0-8/11792137_10153673864360827_3996119098123336840_o.jpgSubotiča ist eine Stadt in Serbien mit rund 90.000 Einwohnern. Das Stadtzentrum liegt rund 10 Kilometer von der ungarischen Grenze entfernt. Ein wenig sieht es hier aus, wie in Brandenburg, wo man auch in Dörfern und Städten Häuser aus dem vorletzten Jahrhundert findet, wo irgend ein Baumeister klassizistische Elemente aus Stuck an der Fassade angebracht hat, auch wenn das Haus nur ein oder zwei Stockwerke hatte. Die Geschichte Subotičas war wechselvoll und sie gehörte sogar einmal zum Osmanischen Reich. Das heutige Gesicht der Stadt ist geprägt durch die Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie, gemischt mit Bauten aus der Tito-Zeit und modernen Industrieanlagen am Rande der Stadt, die zeigen, dass der Kapitalismus sich dieses Gebiet erfolgreich zurückerobert hat.

Ich bin auf der Rückreise von Sarajevo nach Berlin und habe dem Umweg von hundert Kilometer in Kauf genommen, um mir die neuen ungarischen Grenzanlagen anzusehen. Auch habe ich gehört, dass über die Woiwodina und besonders über Subotiča große Flüchtlingsströme kämen.

Schon in der Stadt sehe ich die ersten Gruppen von Flüchtlingen, die am Rande einer Straße Pause machen. Ich fahre durch die Stadt und suche auf meinem Navigationprogramm, welches ich sonst für meine Outdooraktivitäten nutze, nach einem Weg, der mich zur Grenze führt. Schließlich finde ich am Ortsrand eine Seitenstraße, die sich, als die Häuserreihen enden und landwirtschaftlich genutzte Flächen mit Brachland abwechseln, in eine Schotterpiste verwandelt, die dann abrupt vor einem Haus endet. Ich steige aus und halte Ausschau nach dem Grenzzaun, sehe aber nichts als Landschaft und ein paar Gewächshäuser. Ich kontrolliere meine Position auf dem Navigationsgerät. Einen unerlaubten Grenzübertritt möchte ich nicht riskieren. Schließlich ist meine vierzehnjährige Tochter dabei!

Ich beschließe, einem der beiden sandigen Feldweg zu folgen, der hier abbiegt und muss sehr aufpassen, mit dem Wagen nicht aufzusetzen oder im Sand stecken zu bleiben. Nach einer Kurve sehe ich plötzlich Flüchtlinge. Zwei Personen mit dunkler Hautfarbe, die offensichtlich von einem Einheimischen auf einem Pfad in Richtung eines Waldes geführt werden, der nach meiner OSM-Karte schon zu Ungarn gehört. Ich winke ihnen zu, was sie offensichtlich erschreckt, denn sie beschleunigen ihren Schritt und verschwinden im Wald.

Ich fahre noch zweihundert Meter weiter zu einem verlassenen Grenzturm mit angeschlossenem Bunker und bleibe stehen. Der Grenzturm ist halb verfallen und auch der Bunker ist eine Ruine. Ratlos bleibe ich stehen. Der Wald, jenseits der Wiese gehört zu Ungarn. Auf der anderen Seite steht eine Obstplantage. Ich schaue auf den Weg und sehe unzählige Fußspuren im Sand. Ein Stück Papier liegt, neben anderem Müll, zerrissen herum. Ich sammele es auf und sehe griechische Schrift. Ich setze die Stücke zusammen und versuche zu lesen. Mein Griechisch reicht so weit, um zu verstehen, dass es sich um einen polizeilichen Ausweisungsbefehl handelt. Die betreffende Person sollte in 72 Stunden das Land verlassen. Sie hat es offensichtlich getan!

Als ich meinen Blick wieder in die Landschaft werfe, traue ich meinen Augen nicht. Auf dem Weg, auf dem ich gekommen bin, kommt eine Gruppe von rund zwanzig Leuten in schnellem Marsch auf mich zu. Als sie näher kommen winke ich und rufe ihnen zu. Ich probiere es erst auf Englisch, aber plötzlich kommt mir die Idee, die Leute auf Türkisch anzusprechen. Sofort verändert sich die Minen der Menschen, aus denen noch vor Sekunden die pure Angst und Erschöpfung zu lesen war. Und tatsächlich sprechen einige von ihnen Türkisch. Sie seien aus Afghanistan, in Ihrer Heimat herrsche Krieg. Sie wären in Griechenland gewesen, aber dort könnten sie nicht bleiben und nun seien sie auf dem Weg zu Fuß nach Budapest. Ich frage, ob sie alles gelaufen seien. Ja, den ganzen Weg, lautet die Antwort, auch als ich noch einmal ungläubig nachfrage. Die Leute haben es eilig. Ob ich Wasser hätte, und wo sie seien. Ich sage Ihnen sie seien in Serbien und alle erschrecken. Ich frage nicht nach aber im Nachhinein denke ich, dass ihr Schleuser sie vorzeitig im Stich gelassen hat.

Ich gehe zum Auto und hole Wasser und Kekse. Es sind Kinder dabei. Ein vielleicht zweijähriges Kind wird getragen. Wo den Ungarn sei, wollen sie schnell wissen. Ich zeige auf den Wald und sage Ihnen, dass dieser Wald dort schon zu Ungarn gehöre. Einer fragt mich, wie er dort hinkommen soll. Ich zucke mit den Schultern und gucke auf einen Trampelpfad, der direkt vor uns durch das hohe, dürre Gras zum Wald führt und den offensichtlich schon viele Menschen genutzt haben. Die Gruppe wartet nicht ab und setzt sich in Bewegung. Man wünscht mir noch Allahs Segen und nach einer Minute ist die Gruppe im Wald verschwunden. Ich stehe ratlos neben meinem Auto und schaue ihnen nach und mache Fotos.https://scontent.xx.fbcdn.net/hphotos-xfa1/t31.0-8/q81/s960x960/11792173_10153673864280827_4193594002986770772_o.jpg

Als ich wieder auf der Autobahn bin, die an dieser Stelle parallel zur Grenze verläuft, sehe ich auf einem Bahndamm neben der Autobahn eine weitere Flüchtlingsgruppe. Diesmal sind es Afrikaner, auch diesmal ist die Gruppe in Eile.

An der serbisch-ungarischen Grenze erlebe ich zum ersten Mal seit langem, dass ich wieder den Kofferraum öffnen muss und ein grimmiger Zollbeamter mein Gepäck kontrolliert. Ich fühle mich etwas an die Zeiten erinnert, als ich von Westberlin im Transitverkehr durch die DDR fahren musste, um in meine westdeutsche Heimat zu kommen. Ich fragte mich, wann wir wieder so weit sind oder ob tatsächlich jemand glaubt, nur mit einem Drahtzaun diese Völkerwanderung aufhalten zu können.

Nachts im Hotel in Bratislava träume ich von der Begegnung und wachte mit einem seltsamen Gefühl auf.

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Geschrieben von

Saltadoros

Olaf Schäfer: Pädagoge, Musiker...

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