Die Metaphysik der ökonomischen Taliban

Zur Schuldenkrise Die Glaubenssätze der Austeritätspolitik, die sich nur ums Geld drehen, ähneln religiösen Dogmen und entbehren jeglicher ökonomischen Theorie.

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Nach fünf Jahren Griechenland-Krise haben sich in den Köpfen der meisten Deutschen einfache Wahrheiten festgesetzt, gegen die die Dogmen der katholischen Kirche nichts sind. „Natürlich ist die Erde eine Scheibe! Das sieht doch jedes Kind, wenn es aus dem Fenster guckt! Und wer etwas anderes glaubt, wird spätestens am Rand der Scheibe eines Besseren belehrt, wenn er in die Hölle oder ins Nichts stürzt.“ So oder so ähnlich lauten die Glaubenssätze der aktuellen ökonomischen Religionsphilosophen. Und wie der Absturz in die ökonomische Vorhölle aussieht, lässt sich dann täglich im „Brennpunkt“ über Griechenland besichtigen.

Ökonomie, so wird vermittelt, besteht im Glauben und in der Anbetung des Geldes. Die Kirchen und Kathedralen, welche für den Gott Mammon errichtet wurden sind die Banken und der Europäische Petersdom steht in Frankfurt am Main. Die tägliche Andacht hält der durchschnittliche Geldgläubige daher vor einem Automaten und PIN und TAN sind das A&Ὠ des modernen Mitteleuropäers. Hausaltar und Herrgottswinkel sind längst verschwunden oder nur noch Folklore, denn die wahren Gebete und Flüche werden beim Online-Banking vor dem Bildschirm gemurmelt.

Den Priestern der Währung und ihren Messdienern lauscht der Durchschnittsgläubige gerne. Und das Wort zum Sonntag ist längst durch den vorabendlichen Börsenbericht verdrängt worden. Dort gilt die ganze Aufmerksamkeit dem Maskottchen der Ökonomie, dem DAX. Er steigt, er fällt und wie das Gras im Sommer wächst, und dann wieder gemäht wird, so ist es auch hier. Und solange das Gras wächst ist alles gut. Religionen brauchen Wunder, damit die Gläubigen etwas zum Staunen haben und bei der Stange bleiben. Das Wunder des DAX ist seine unheimliche Wertvermehrung. Eine Steigerung um 5% in einer Woche genügen, und den Glauben an den Kapitalismus kann nichts erschüttern. Woher dieser Mehrwert kommt interessiert dabei den Gläubigen kaum. Wasser verwandelt sich in Wein und der berauscht bekanntlich. Dass solche Geldvermehrung eigentlich nicht möglich ist, wie die Speisung der Fünftausend durch Jesus, interessiert offensichtlich niemanden, denn der Glaube in die Metaphysik der Geldvermehrung ist ungebrochen.

Eine ökonomische Theorie, in der fleißige Hände von Arbeitern und Angestellten den Reichtum einer Gesellschaft erwirtschaften, sucht man vergeblich. Letztere sind je nach Blickrichtung entweder Störfaktoren, deren Löhne und Ansprüche auf Sozialleistungen es zu senken gilt, oder Verbraucher, die möglichst viel konsumieren sollen. Als Verbraucher sollen die Menschen dann alles konsumieren und den ganzen Dreck kaufen, den ihnen die Firmen hinstellen, deren Aktienkurse es gilt, in die Höhe zu treiben. Wie dies gehen soll, wenn man gleichzeitig die Einkommen kürzt oder einfriert, ist das Geheimnis von Volkswirtschaftlern aus dem Hause des DIW.

Dass der Planet unter dieser Logik ächzt, stört niemanden, solange eine Windhose ihm nicht das Dach abdeckt. Gegen die Klimakatastrophe hat die Industrie die Klimaanlage erfunden und so braust man mit geschlossenen Fenstern durch den glutheißen Sommer 2015. Und wenn einen die Notdurft drückt und man auf dem Parkplatz am Rande der Autobahn mit der Realität konfrontiert wird, so beeindruckt das kaum. The show must go on und Innehalten oder wirkliche Einkehr währen tödlich für ein System, welches Wachstum benötigt, wie der Drogenabhängige die Steigerung der Dosis.

Die Deutschen haben bereits unter Papst Gerhard Buße getan für ihre jahrzehntelangen Ausschweifungen, die sie sich am Rande des Ost-West-Konfliktes leisten durften, als es noch darum ging, den Kapitalismus als das menschlichere System erscheinen zu lassen. Das war nach 1989 nicht mehr notwendig und in Form der Agenda 2000 wurde den Deutschen eine Ablassbuße verpasst, die ein Drittel der Bevölkerung an die Grenze der Armut brachte. Seitdem sollen andere Länder das kaufen, was die Deutschen sich nicht mehr leisten können – notfalls auf Kredit. Den dummen Armen hierzulande verkaufte man das auch noch als besondere Tugend, auf die sie noch stolz sein sollten. „Wir sind Papst“ und wir sind Fußball- und Exportweltmeister! Was will man als Deutscher mehr – auch wenn man davon selbst nichts hat und das Portemonnaie am Ende des Monats immer öfter leer bleibt.

Dass das ganze Lügengebäude weniger mit der Wirtschaft der berühmten Schwäbischen Hausfrau zu tun hat als mit Wucher und Betrug, kommt den Menschen gar nicht in den Sinn. „Pakta sunt savanta“ mag für ehrliche Häuslebauer gelten, die einen Kredit aufgenommen haben. Aber aus gutem Grund sieht selbst das Bürgerliche Gesetzbuch die Nichtigkeit sittenwidriger Verträge vor. Und was wäre, wenn gar ein ganzes ökonomisches System inzwischen sittenwidrig wäre?

Dieser Gedanke darf erst gar nicht aufkommen. Und so werden gebetsmühlenartig immer die gleichen Glaubenssätze vorgebracht, egal wie irrsinnig die Rezepte, die sie verschreiben, bei genauerer Betrachtung, sind. Etwa das Rezept, dass die faulen Spanier, Portugiesen und Griechen doch mal mehr arbeiten sollten. Ja, es steht schon in der Bibel, dass der Mensch sein Brot im Schweiße seines Angesichts essen soll und dass der, der nicht arbeitet, auch nichts essen solle. Dummerweise nützt der Satz nichts, wenn die Hälfte der jungen Menschen ohne Arbeit ist. Und dass die Abschaffung der Frühverrentung in diesen Ländern ein wirklicher Beitrag zu Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist, kann eigentlich nur glauben, wer ansonsten an den Weihnachtsmann glaubt.

Trotz solcher Widersprüche ist der Glaube an den Kapitalismus und die Metaphysik der Geldvermehrung weiter auf dem Vormarsch. Die Austeritäts-Taliban sind dabei bereit, jeden zu köpfen, der sich ihrer neoliberalen Sharia entgegenstellt. Ihr Rezept: Löhne runter, Sozialausgaben kürzen und das Kapital verschonen. Die Metaphysik der Staatsverschuldung und Bankenrettung ist das Geheimnis dieser Priesterkaste. Angeblich verfügen sie auch Kenntnisse darüber, wie man sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht. Letzteres wissen sie ganz sicher verbürgt von einem gewissen Baron Münchhausen, der diese Leute in Sachen Wahrhaftigkeit berät.

Dass Menschen arbeiten, weil sie sich im Stoffwechsel mit ihrer Umwelt selbst verwirklichen wollen, dass die Produkte ihrer Arbeit ihnen gehören und ihnen ein auskömmliches Leben sichern sollten, dass der Stand der Produktivkräfte so hoch ist, dass kein Mensch hungern muss und alle Menschen Teilhabe an Bildung und Kultur haben könnten, ist zwar bekannt. Aber Folgen hat dies keine, solange man sich in der Logik des bestehenden ökonomischen Systems bewegt und so lange niemand dem Mut hat, dieses infrage zu stellen.

Es kömmt also darauf an dieses zu verändern!

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Geschrieben von

Saltadoros

Olaf Schäfer: Pädagoge, Musiker...

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