Sehen sie hier Nazis?

PEGIDA Die volksverhetzenden Aussagen der PEGIDA-Bewegung stinken zum Himmel! Warum sind die Reaktionen aus Politik, Publizistik und der Justitz so verständnisvoll und milde?

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„Wir sind das Volk“, „wir sind nur normale Bürger“ oder „sehen sie hier Nazis?“. Das sind die Hauptaussagen der wenigen Statements, die Reporter von Teilnehmern der PEGIDA-Demonstrationen einfangen. Kommentiert werden diese Aussagen von Politikern, die Verständnis heucheln. Man müsse die Sorgen der Bürger ernst nehmen und müsse mit diesen Menschen reden.

Dabei ist die Sache eigentlich einfach. Nein, man kann Nazis nicht sehen, so wie man Linke nicht riechen kann. Es sei denn, man glaubt, dass Faschisten alle mit SS-Uniformen herumlaufen und Linke ungewaschene, bärtige Komsomolzen sind, die permanent mit der roten Fahne wedeln. Nein, Nazis kann man nicht sehen! Aber man kann hören, was sie sagen. Und was sie im Falle von PEGIDA sagen, wenn sie mal was sagen, ist eindeutig. Die Aussagen, sind schlich rassistisch und volksverhetzend. Das wird schon im Namen der Bewegung deutlich. „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands“. Was bitte ist die Islamisierung des Abendlandes? Gehört zum europäischen Abendland nicht essentiell die Glaubensfreiheit, wie sie in Artikel 4 des Grundgesetzes und in Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben sind? Es ist eine der wesentlichen Errungenschaften, dass in Deutschland und Europa jeder Mensch frei ist, eine Religion auszuüben oder aber auch als Atheist oder Agnostiker durch das Leben zu gehen. Die Freiheit des Glaubens, wie des Gewissens und die Freiheit der politischen Überzeugung sind jene Grundfreiheiten, die wesentlich für die freie westliche Welt sind und für die die Bürgerrechtler in der DDR vor fünfundzwanzig Jahren gekämpft haben.

Es ist richtig, dass alle diese Grundfreiheiten nicht uneingeschränkt existieren. Sie können dann eingeschränkt werden, wenn sie sich gegen diese Grundfreiheiten selbst, also unsere Verfassung, wenden. So können Parteien und Organisationen in Deutschland nur dann verboten werden, wenn sie explizit verfassungsfeindlich sind.

Hier setzt die islamophobe Argumentation der Demonstrierenden an. Denn natürlich lassen sich im Koran Stellen belegen, die die Gleichheit von Mann und Frau genau so wie Homosexualität ablehnen. Ein Blick ins neue oder alte Testament würden aber genügen, um festzustellen, dass es im Juden- und Christentum nicht besser aussieht. So heißt es etwa im fünften Paulusbrief an die Epheser: „Die Weiber seien untertan ihren Männern als dem Herrn. Denn der Mann ist des Weibes Haupt, gleichwie auch Christus das Haupt ist der Gemeinde, und er ist seines Leibes Heiland. Aber wie nun die Gemeinde ist Christo untertan, also auch die Weiber ihren Männern in allen Dingen.“ Und dass die Praxis etwa in der katholischen Kirche, wo beispielsweise das Priesteramt nur Männern zusteht, demokratisch ist, wird wohl schwer zu belegen sein. Dass es in den meisten Religionsgemeinschaften nicht besser aussieht, sei angemerkt. Auch wenn der Dalai Lama bis in die höchsten Kreise der deutschen Gesellschaft geschätzt ist, so wäre die Praxis seiner Inthronisierung in Deutschland ein Fall fürs Jugendamt und verschiedene Gerichte.

Religionsgemeinschaften, müssen so wenig demokratisch organisiert sein, wie eine Fabrik oder die Bundeswehr. Es ist nämlich ein wesentlicher Unterschied, ob man eine demokratische Organisation ist, oder eine Organisation in der Demokratie. Letztere dürfen nur die Verfassung der Bundesrepublik nicht bekämpfen!

Weder die katholische Kirche, noch die zahlreichen muslimischen Gemeinden in Deutschland gefährden die Verfassung. Und natürlich gibt es Extremisten und Fanatiker in fast allen Glaubensgemeinschaften, die meinen, die jeweiligen „heiligen“ Schriften wortwörtlich nehmen zu müssen und auch andere Menschen zu zwingen, sich an die jeweiligen außerdemokratischen Normen zu halten. Diese Extremisten heranzuziehen, die Gesamtheit, etwa der Muslime zu diskreditieren, ist schlicht perfide.

Die selbst ernannten europäischen Patrioten machen das Gegenteil von dem, was europäischen Patriotismus ausmacht. Nämlich sich für Freiheit und Toleranz einzusetzen, sich innerhalb des bürgerlich-demokratischen Systems zu engagieren und Unzulänglichkeiten und Krisen auszuhalten. Denn was immer man über die Unzulänglichkeiten der westlichen Demokratien sagen mag, es gilt das Bonmot Churchills, dass die Demokratie von allen schlechten Regierungsformen die beste sei.

Sehen sie Nazis? Nein, ich sehe sie nicht! Aber ich erkenne eine faschistoide Bewegung, die gar nicht so neu ist, wie sie behauptet. Ich sehe, dass diese Bewegung durch einen tiefen Rassismus geeint ist, indem sie gegen die islamische Bevölkerungsgruppe hetzt. Ihre beredte Schweigsamkeit ist nicht Folge ihrer Intelligenz, wie einige Politiker meinten, sondern Folge ihrer rassistischen Dummheit. Diese Leute wissen genau, dass sie argumentativ nicht viel mehr vorzubringen haben, als rassistische Stereotype, Ressentiments und paranoide Verschwörungstheorien. Gleich trotzigen Kindern, die ihre Aggression nicht offen zeigen dürfen, weil sie wissen, dass sie den Erwachsenen unterlegen sind, ziehen sie stumm mit bösem Gesicht durch die Straßen und schlagen den Reportern die Mikrophone weg. Es ist die bockige Logik jenes Kindes, dass sagt: „Es geschieht meinem Vater ganz recht, wenn ich an den Fingern friere; warum kauft er mir keine Handschuhe?“

Die wahre Aggressivität dieser Bewegung zeigt sich im Internet. Da werden Kritiker beschimpft oder gefragt, was denn mit „solchen Leuten“ – den Kritikern – „später“ mal passieren solle. Mir selbst etwa legte eine PEGIDA-Anhängerin, angesichts eines kritischen Kommentars auf der Facebook-Seite des Deutschlandfunks nahe, den Hals zu waschen, damit es später einen sauberen Schnitt gäbe.

Angesichts dessen, kann man sich fragen, warum dem Spuk nicht ein schnelles Ende bereitet wird? Warum äußern reihenweise Politiker „Verständnis für die Sorgen der Bürger“ und bieten Dialoge an? Gäbe es dieses Verständnis auch, würde der Begriff Islam durch das Judentum ersetzt? Was wäre wenn PEGIDA sich gegen eine zunehmende „Verjudung“ der Gesellschaft richtete und der politischen Klasse vorwürfe, insgeheim „Judenknechte“ zu sein? Es würde vermutlich sofort gehandelt, denn die Wesensgleichheit zum Nationalsozialismus läge auf der Hand.

Insofern ist die Reaktion der politischen Klasse und des Justizapparats beunruhigender, als die Demonstrationen selbst. Warum findet sich kein Staatsanwalt, der § 130 des Strafgesetzbuches anwendet und gegen PEGIDA wegen Volksverhetzung ermittelt? Ist die Sache denn wirklich so schwierig, wie die Gipfel der Ahnungslosen in den abendlichen Quasselrunden der Talkshows glauben machen wollen?

Nein, sie ist es nicht! Aber der Dresdener Staatsanwaltschaft scheint es leichter zu fallen, ein Verfahren gegen einen linken Ministerpräsidenten wieder aufzunehmen, der rechtswidrig gegen Nazis demonstriert haben soll, als die offensichtliche Volksverhetzung des selbsternannten „gesunden Volksempfindens“ (original Goebbels) in die juristischen Schranken zu weisen.

Sehen Sie Nazis? Nein, ich sehe sie nicht! Aber die Sache stinkt! Und bekanntlich stinkt der Fisch zuerst am Kopf. Vielleicht sind sich viele Repräsentanten aus Politik, Presse, Justitz und einigen bürgerlichen Eliten in der Sache PEGIDA näher, als sie glauben machen wollen? Wenn dem so wäre, wären wir näher an 1933, als an 1989.

Olaf Schäfer

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Geschrieben von

Saltadoros

Olaf Schäfer: Pädagoge, Musiker...

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