Sowohl bei Ursula von der Leyens „Green Deal“ für Europa als auch der neuen Ampel-Koalition in Berlin lässt sich beobachten, was der italienische Kommunist Antonio Gramsci einst als „passive Revolution“ bezeichnet hat: Eine Modernisierung kapitalistischer Herrschafts- und Produktionsverhältnisse, die an den grundlegenden Einkommens- und Eigentumsverhältnissen nichts ändert. Dafür nimmt die politische Führung einzelne progressive Forderungen auf und absorbiert Elemente und Führungsgruppen aus sozialen Bewegungen und der politischen Opposition. So kann sie ihre Macht absichern und gleichzeitig weitreichende Forderungen, etwa nach radikaler sozialer Umverteilung oder Vergesellschaftung, die sich gegen die Interessen der Konzerne und Kapitalbesitzenden richten, verhindern.
Im Fall der Ampel-Regierung sieht diese „passive Revolution" so aus: Ökologische Anliegen werden teilweise umgesetzt und mit dem Projekt der Modernisierung der Wirtschaft verbunden. Für Unternehmen gibt es, wenn sie in Klimaschutz und Digitalisierung investieren, „Superabschreibungen". Soziale Umverteilung hingegen gibt es nicht. Wie es Thomas Sablowski, Eva Völpel und Moritz Warnke in der Zeitschrift Luxemburg ausdrücken, soll „die breite Masse der Lohnabhängigen die Modernisierung des Produktionsapparats bezahlen, damit die deutsche Volkswirtschaft in der verschärften Weltmarktkonkurrenz gegenüber den Produzenten in Ländern wie den USA, China und Japan bestehen kann.“
Auch die Erhöhung des Mindestlohns, der bereits jetzt vielfach umgangen wird, wird nichts daran ändern, dass es in Deutschland Millionen Lohnabhängige in prekärer und geringfügiger Beschäftigung geben wird. Die Ampel-Koalition sichert Minijobs ab, während sie nicht gegen den breiten Einsatz von Leiharbeit, Sanktionen beim Jobcenter und prekäre Arbeitsverhältnisse in der Plattformökonomie vorgeht. Die einmalige Mindestlohnerhöhung ist nur ein Trostpflaster dafür, dass der deutsche Niedriglohnsektor weiter zementiert wird.
Nach Jahrzehnten der Reallohnstagnation und Umverteilung von unten nach oben, nehmen drei Viertel der Deutschen die Verteilung von Einkommen und Vermögen als ungerecht war. Die Politik der Ampel-Koalition wird daran nichts ändern, im Gegenteil: Während die Löhne stagnieren, steigen Mieten und Lebenshaltungskosten an; viele haben Angst vor dem sozialen Abstieg und drohender Altersarmut.
Entfremdung von der Klimabewegung
Die Ampel-Koalition stellt die Klimabewegung vor ein Dilemma. Das liegt einerseits daran, dass die neue Regierung ihre Politik als Klimaschutz vermarktet. Vieles davon ist zwar reine Rhetorik und die bisher gesteckten Regierungsziele keineswegs ausreichend, um das 1,5 Grad Ziel einzuhalten, trotzdem werden politische Appelle an die Regierung noch weniger verfangen als bisher schon. Die klimapolitische Konfliktlinie, die den Diskurs in Deutschland in den letzten Jahren bestimmt hat, wird damit weiter verwischen.
Andererseits wird die Entfremdung von Teilen der Arbeiter*innenklasse von der Klimapolitik und klimapolitischen Anliegen mit der Ampel-Regierung insgesamt zunehmen. Steigende Lebenshaltungskosten und inflationäre Tendenzen könnten mit der unsozialen Klimapolitik in Verbindung gebracht werden, die für die breite Masse der Lohnabhängigen keine weitreichenden materiellen Verbesserungen in Aussicht stellt und an der extremen Ungleichheit im Land nichts ändert.
Hinzu kommt die akademisch-aktivistische und eher bürgerliche Basis der Klimabewegung. Die gesellschaftlichen Schichten, die in der Dynamik rund um die Hartz-IV-Proteste ab 2004 und die Entstehung der Linkspartei eine zentrale Rolle spielten, sind derzeit weder Teil eines linken Gegenentwurfs und noch Teil der Klimabewegung. Während die Linkspartei mittlerweile ums Überleben kämpft, verstärkt die generelle Entfremdung der Arbeiter*innenklasse von der gesellschaftlichen Linken – die in den meisten frühkapitalistischen Ländern des globalen Nordens zu beobachten ist – das Erstarken neu-rechter und faschistischer Kräfte. Der nur vorläufig gestoppte Rechtsruck in Deutschland kann jederzeit wieder an Dynamik gewinnen, wie auch die Querdenken-Mobilisierungen zeigen.
Wenn unter einer rot-grünen Regierungsbeteiligung unsoziale Politik als ökologisch-moderne Alternativlosigkeit verkauft wird, ist eine zunehmende Entfremdung nicht-akademischer Milieus von klimapolitischen Anliegen vorgezeichnet. Damit wächst die Gefahr einer anti-ökologischen Stimmung oder sogar Bewegung von rechts, die mit Ressentiments und verkürzten sozialpolitischen Forderungen gegen die neoliberale Klima- und Kulturpolitik der Ampel mobil macht.
Für das Klima – Solidarisierung mit den Beschäftigten
Wenn die Ampel-Koalition Klimapolitik von sozialer Gerechtigkeit abspaltet, kann die Antwort der Klimabewegung nur darin bestehen, beides miteinander stärker als bisher zu verbinden. Spezialdiskurse und juristische Auseinandersetzung um die Einhaltung des 1,5 Grad Ziels werden nicht dazu beitragen, die Entfremdung breiter Bevölkerungsschichten von klimapolitischen Anliegen aufzuheben. Wenn die Klimabewegung die zentrale oppositionelle Stimme gegen das zerstörerische und ungerechte „Weiter-So“ bleiben will, muss sie eine sozialpolitische Front gegen die herrschende Regierungspolitik eröffnen.
Eine Möglichkeit sind gemeinsame Mobilisierungs- und Organisierungskampangen mit Beschäftigten. 2020 schloss sich Fridays For Future beispielsweise den Busfahrer*innen in den Tarifrunden im Nahverkehr an. Derzeit unterstützt die Klimabewegung den Kampf gegen Stellenkürzungen bei Bosch. Doch das Zusammengehen von Tarifauseinandersetzungen und Klimabewegung bleibt kompliziert. Gewerkschaften scheuen noch immer den politischen Streik. Grund dafür sind Gerichtsurteile der 1950er, in denen politisch motivierter Arbeitskampf für illegal erklärt wurde. Bewegungen bleibt nur die symbolische Bezugnahme auf laufende Tarifauseinandersetzungen und Aushandlungen im Stellenabbau. Schwierig wird die Zusammenarbeit besonders in Wirtschaftsbereichen wie der Automobil- oder Metallindustrie, die von radikaler Klimapolitik direkt betroffen sind. Dabei wäre gerade hier eine gemeinsame Perspektive besonders wirksam. Strategien, die auf die Zusammenarbeit mit Arbeiter*innen abzielen, erreichen meistens aber nur kleinschrittige Veränderungen.
Gleichzeitig wäre es falsch, deshalb diese Strategien zu verwerfen. Zu behaupten, es gäbe nach Jahrzehnten von Reallohnstagnation, Sozialabbau und neoliberalem Umbau der Gesellschaft kein Potential für breite soziale Kämpfe und die Klimabewegung sollte sich daher in ihrer akademisch-aktivistischen Bubble radikalisieren, ist weltfremd. Neben der direkten Zusammenarbeit mit Arbeiter*innen im Rahmen von Tarifauseinandersetzungen und Streiks braucht es eine andere, noch zu entwickelnde Form der gemeinsamen Bezugnahme und Mobilisierung. Es muss eine populäre Klimapolitik entwickelt werden, die handfeste Umverteilungs- und Vergesellschaftungsforderungen in sich aufnimmt und in konkreten Organisierungs- und Mobilisierungskampangen über das akademisch-aktivistische Lager hinausgreift.
Populäre Klimapolitik
Im Kern geht es bei der neu zu entwickelnden populären Klimapolitik um die Frage, wie weitreichend und radikal der ökologische Umbau der Wirtschaft sein soll, wie viele Ressourcen dafür mobilisiert werden und woher diese Ressourcen kommen sollen. Anstatt „Wer zahlt für die Krise?“ heißt es jetzt: „Wer zahlt für die Transformation?“. Die Antworten der Ampel-Regierung auf diese Frage bieten reichlich Angriffsfläche. Zum einen wird die Schuldenbremse auf Druck der FDP am Leben gehalten, und gleichzeitig für alle offensichtlich umgangen. Die Schuldenbremse ist ein naheliegender Druckpunkt, den die Klimabewegung setzen sollte. Es braucht massive öffentliche Investitionen, idealerweise direkt durch Zentralbanken finanziert, um die Klimakatastrophe aufzuhalten. Die Schuldenbremse ist damit nicht vereinbar und wenn es gelingen sollte, sie zu Fall zu bringen, hätte das weitreichende symbolische Strahlkraft. Die fatale (und schlicht unzutreffende) Idee, der Staat müsse und könne sich nur von seinen Einnahmen finanzieren, steht im Kern des neoliberalen Austeritätsparadigmas, um das in den nächsten Jahren eine zentrale Auseinandersetzung geführt werden muss.
Doch schulden- oder zentralbankfinanzierte Klimainvestitionen reichen bei Weitem nicht aus, um die Klimakatastrophe aufzuhalten und den ökologischen Umbau sozial abzufedern. Die dafür erforderlichen Ressourcen müssen auch denen weggenommen werden, die in den vergangenen Jahrzehnten von neoliberaler Umverteilung und fossilem Wirtschaften profitiert haben: Den Konzernen und den Reichen. Vermögenssteuern und -abgaben, Kapital- und Finanzmarktsteuern, Spitzensteuersätze und Einkommensobergrenzen – die Forderungen liegen alle auf der Hand. Und schlussendlich dürfen auch Forderungen nach Vergesellschaftung großer und klima- oder gemeinwohlrelevanter Unternehmen sowie nach stärkerer gesamtwirtschaftlicher Koordination und Steuerung nicht fehlen. Ohne diese Instrumente kann die notwendige Umstrukturierung und Lenkung der Wirtschaft zur Erreichung des 1,5 Grad Ziels nicht geleistet werden.
Vom Klimastreik zum „echten Streik"
Klassen- und Klimapolitik müssen nicht erst zusammengedacht werden – denn eine wirksame Klimapolitik ohne die oben genannten sozial- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen ist gar nicht erst denkbar. Die Klimabewegung sollte sich trauen, diese wirtschaftspolitischen Forderungen aufzugreifen, um damit zur zentralen außerparlamentarischen Opposition gegen die Ampel-Regierung zu werden. Doch statt über populäre Klimapolitik wird in der Klimabewegung derzeit vor allem über radikalere Formen zivilen Ungehorsams und „friedliche Sabotage“ diskutiert. Diese Debatten sind durchaus nachvollziehbar, denn es bleiben nur noch wenige Jahre, um umzusteuern und verheerende Kippunkte im Klimasystem zu vermeiden.
Eine Radikalisierung von Teilen der Klimabewegung auf der einen Seite ohne eine stärkere Bezugnahme auf sozialpolitische Forderungen durch andere Teile der Klimabewegung kann zu einer gefährlichen Polarisierung zwischen Aktivist*innen und nicht-akademischen Milieus führen. Die Regierung sowie konservative und rechte Kräfte hätten ein noch besseres Feindbild, gegen das sie mobilisieren können. Klimapolitik wird bereits jetzt als moralischer Verzichtsdiskurs und Thema einer kulturellen Elite wahrgenommen. Wenn über Klima dagegen nicht in wissenschaftlichen Absolutheitsformeln und als Diskurs über Verteuerung, Verknappung und Verzicht geredet wird, sondern als Debatte um soziale Umverteilung, Aneignung und Gerechtigkeit, kann die Radikalisierung von Teilen der Klimabewegung abgesichert werden. Dazu müsste sich der Klimastreik noch weitaus stärker als bisher zu einem „richtigen“ Streik entwickeln, bei dem Beschäftigte die Arbeit niederlegen und für klima- und sozialpolitische Forderungen gemeinsam mit den Klimaaktivist*innen auf die Straße gehen.
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