Geiz ist ungeil

Klimawandel 100 Milliarden Dollar jährlich hatten die Industrienationen versprochen, damit ärmere Länder die Kosten der Krise ausgleichen sollten. Doch bisher ist nur ein Bruchteil des Geldes geflossen. Die Folgen könnten fatal sein
Ausgabe 45/2021
Der Zyklon Idai hat in Mosambik ganze Landschaften geflutet und Zerstörung hinterlassen. Ausreichend Hilfe gibt es von den Industriestaaten trotzdem nicht
Der Zyklon Idai hat in Mosambik ganze Landschaften geflutet und Zerstörung hinterlassen. Ausreichend Hilfe gibt es von den Industriestaaten trotzdem nicht

Foto: Yasuyoshi Chiba/AFP/Getty Images

„Plötzlich fordern die Entwicklungsländer Billionen statt Milliarden – pro Jahr“, regt sich die Welt dieser Tage auf. Es geht um jene Gelder, die die Industriestaaten den Entwicklungsländern zur Klimafinanzierung versprochen haben – über das Thema wird auf der Klimakonferenz in Glasgow heftig gestritten, aber eigentlich ist es ein altes Versprechen. Ab 2020 sollen die ärmeren Länder jedes Jahr 100 Milliarden US-Dollar bekommen, tönten die Industriestaaten vollmundig. Das war 2009. Jahr für Jahr haben sie ihre Zusage seither gebetsmühlenartig wiederholt, doch je näher 2020 rückte, desto klarer wurde: Das Versprechen wird gebrochen. Etwa 20 Milliarden Dollar fehlen für 2020 noch, und auch in diesem und im nächsten Jahr fehlen Gelder. Drei Jahre später als angekündigt, also 2023, soll die alte Zusage nun erfüllt werden.

100 Milliarden US-Dollar – kaum eine Zahl symbolisiert die Ungerechtigkeit der Klimakrise besser als jene gebrochene Zusage, und kaum eine Zahl zeigt so gut, wie verkürzt die Debatte um Klimafinanzen eigentlich ist. Die Zahl ist politisch, mit den Bedürfnissen der Entwicklungsländer hat sie nichts zu tun. Allein um sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen, um zum Beispiel höhere Deiche zu bauen, brauchen die Entwicklungsländer bis 2030 mindestens 300 Milliarden US-Dollar jährlich, schätzt das UN-Umweltprogramm UNEP – und die Bedarfe werden weiter wachsen.

Bisher landet das Geld in Maßnahmen, die in Entwicklungsländern die Emissionen senken sollen. Nur ein Viertel der Gelder wird bislang für Anpassung an die veränderten klimatischen Bedingungen vergeben – also für den Schutz vor den Folgen veränderter klimatischer Bedingungen wie Überschwemmungen, Dürren, Waldbrände.

Aber über die Schäden und Verluste, die schon von Extremwettern oder durch schleichende Veränderungen wie den Anstieg der Meere verursacht wurden, und wer das bezahlen soll, wollen die Industriestaaten erst recht nicht reden. Alleine diese Kosten betragen mindestens 50 Milliarden Euro pro Jahr, abhängig von den Anpassungsleistungen.

Die Entwicklungsländer sind zu Recht sauer. Zur Klimakrise haben ärmere, lange nur wenig industrialisierte Länder kaum beigetragen, aber von den verheerenden Folgen sind sie überdurchschnittlich hart betroffen. Ihnen bleibt nicht viel mehr, als die Industrienationen an ihr Versprechen zu erinnern und die ausstehenden Gelder einzufordern.

Aber die wohlhabenden Nationen, deren wirtschaftliche Potenz in der gigantischen Ausbeutung fossiler Energien fußt, wollen die historische Ungerechtigkeit nicht ausgleichen. Als starke Volkswirtschaft hat Deutschland eine besondere Verantwortung. Rechnet man alle Emissionen zusammen, die seit Beginn der Industrialisierung ausgestoßen wurden, landet Deutschland auf Platz vier der weltgrößten Emittenten.

Nun gehört Deutschland auch zu den Schwergewichten der Klimafinanzierung und entschied, seine Klimagelder bis 2025 von vier auf sechs Milliarden jährlich zu erhöhen. Ein Schritt nach vorn – jedoch weiterhin nicht ausreichend. Das ist nicht einmal eine moralische Frage. Es ist schlicht eine mathematische Rechnung. Statt uns über den Finanzbedarf der vulnerablen Länder aufzuregen, stünde es uns daher gut an, über die Höhe der finanziellen Klimaschäden zu erschrecken – und eine Politik einzuleiten, die diese Schäden möglichst gering hält.

Sandra Kirchner ist Redakteurin bei der Journalistenplattform klimareporter und berichtet direkt vom Klimagipfel in Glasgow

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