Die Entstehungsgeschichte eines der größten Werke der Beatniks besagt, dass Jack Kerouac, Sohn einer franko-kanadischen Familie, Papierbögen zu einer vierzig Meter langen Rolle Endlospapier aneinander klebte und dann drei Wochen lang nahezu ununterbrochen in die Tasten seiner Schreibmaschine tippte bis am Ende etwas herauskam, das schnell zum Manifest einer Generation von Freiheitsliebenden, Lebenssüchtigen, Rastlosen wurde: On the Road. Das war 1951, Kerouac, der eigentlich Jean-Louis Lebris de Kérouac hieß, war damals 29 Jahre alt. Fünfzig Jahre später wurde eben jene Rolle von Multimillionär Jim Irsay für nicht weniger als 2.426.000 Dollar ersteigert – mehr als Kerouac mit allen seinen Büchern zu Lebzeiten je verdient hat.
Sex, Drugs & BeBop
Die USA Ende der 1940er Jahre. Sal Paradise, die Hauptfigur und gleichzeitig Ich-Erzähler des Romans begibt sich zusammen mit seinem Kumpel Dean Moriarty auf mehrere wilde Trips quer durch die USA. Sie springen auf Güterzüge auf, trampen, sitzen auf LKW-Pritschen, gehen zu Fuß oder fahren mit dem Auto über den Highway von New York City über Chicago, Texas, Kalifornien nach New Orleans und nach Mexiko. Dabei tauchen immer wieder Freunde auf, die unschwer als tatsächliche Wegbegleiter Kerouacs zu identifizieren sind. Dazu zählen etwa die Beat-Autoren Allen Ginsburg, William S. Burroughs oder Neal Cassady.
Gegen die Norm
Mit On the Road hat Kerouac nicht einfach nur einen Reiseroman geschrieben, sondern vielmehr das Lebensgefühl einer Bewegung, einer Subkultur zu Papier gebracht, die sich aus den Fesseln gesellschaftlicher Konventionen in den USA der Nachkriegsjahre befreien wollte. Es ist eine Geschichte von Außenseitern, die die Gesellschaft vom Rand aus betrachten, die das bürgerliche Leben mit seinen oft nur materiellen Werten verachten, die sich für die Freiheit entscheiden und intensiv leben wollen. Kein Wunder jedoch, dass die 1957 veröffentlichte Fassung von Kerouacs Roman nicht dem entspricht, was er sich vorgestellt hatte. Zu eindeutig war die Sprache mit ihren Kraftausdrücken, dafür war die amerikanische Gesellschaft wohl noch nicht bereit. Ganze 43 Jahre hat es gedauert bis der Roman in seiner Urfassung neu aufgelegt wurde, in der Kerouac kein Blatt vor den Mund nimmt und seine Wegbegleiter bei Namen nennt.
2012 brachte Regisseur Walter Salles seine Verfilmung von Unterwegs in die Kinos. Wer den Film gesehen hat, weiß, warum das Buch lange als unverfilmbar gegolten hat und vielleicht heute noch gelten sollte, denn der Streifen glich mehr eine Mode-Kampagne als dass er das Lebensgefühl der Beatniks rüberbrachte. Bleiben wir also beim Buch.
Jack Kerouac
On the Road
Ins Deutsche übersetzt von Ulrich Blumenbach
Rowohlt
576 Seiten
EUR 9,99
Kommentare 11
mit anderen Worten: Man soll das Buch nochmal lesen , wenn man es in den Siebzigern gelesen hat ? Lohnt das wegen der neuen Übersetzung. .... die darin beschriebene "Welt" gibt es nicht mehr, das damit verbundene Gefühl wohl noch weniger. Vielleicht sollte man lieber selber mal wieder einen Joint rauchen - zur Erinnernung?
Nun, die Welt und das Lebensgefühl aus Goethes "Werther" etc. gibt es auch nicht mehr. Das heißt aber ja nicht, dass man diese Bücher nicht mehr lesen sollte. Und abgesehen davon, glaube ich schon, dass es dieses Lebensgefühl noch gibt - nur anders.
"..glaube ich schon, dass es dieses Lebensgefühl noch gibt - nur anders."
Wie denn?
vielleicht per Anhalter durch die Kriegsgebiete der Welt ? Das hatte ich schon in den 80ern ...
In den 1960ern hatten wir den Roman als dünnes Büchlein in der zusammengefassten, pädagogisch wertvollen Schullektüre gelesen. Eine gekürzte (deutsch redigierte) Buch-Fassung gab es auch. Das war alles kein Vergleich mit der jetzt vorliegenden nahe am Original übersetzten Fassung. Der Zeitgeist damals war noch echt staatstragend.
Mit Gewinn gelesen, Sandro Abbate.
Was mir so einfiel, während der Lektüre, dass die Beatniks, also der popularisierte Teil der "Beat Generation" (Kerouac), aber auch diese selbst, doch sehr einseitig sich und ihre Art zu leben, sich zu finden, im Blick hatte. Letztlich war das damals ein sehr universitärer Aufbruch, weniger eine Bewegung für jeden, der alternativ sein wollte.
Bei allem Talent und bei aller Kreativität (Kerouac und Ginsberg, Burroughs) bleiben sie gegenüber den gleichzeitig entstehenden Bürgerrechtsbewegungen oder dem Black Empowerment, in der großen Affluent Society der späten Nachkriegsjahre reserviert und sehr auf sich selbstbezogen.
Eine eher lose Verbindung ergab sich wohl erst in den späten 1960er Jahren, als es um den Vietnamkrieg ging.
Die Beatniks suchten und kultivierten, so mein Eindruck, vor allem Lebensgefühle der, zu mehr Bildung gekommenen, aber von der eigenen Eingefahrenheit enttäuschten, kaukasischen Mittelschichtler. Sie waren eher auf dem Selbstbefreiungstrip im Sinne eines Buddhismus mit Motorrad, Karavan und "Motorkutschen" - Reisemöglichkeit und weniger an einer gesellschaftlichen Änderung interessiert.
Die "Kraftausdrücke", die so vielen Amerikanern heute locker von den Lippen gehen, werden weiterhin in vielen Medien konsequent ausgeblendet oder übertönt ("bleeb it out", "bleebed out"). Selbst vor relativ harmlosen Sachen, wie Liedtexten, von z.B. "The National", muss z.B. auf NPR vorher gewarnt werden, wie bei uns mit Schockbildern und Warnsentenzen auf den Zigarettenpackungen.
Mir noch auffällig, dass so wenig über die Frauen der "Beat Generation" zu lesen ist. Das wäre spannend und zum Beispiel auch im Rahmen eines dF - Artikels machbar, einmal auf z.b. ruth weiss (programmatische Kleinschreibung, sonst kommt man zu einer anderen Ruth Weiss, die ebenso famos ist, aber nichts mit Beat, dafür viel mit Mao, zu tun hat), das jüdische Flüchtlingskind, und ihre Street Poetry einzugehen.
Haben Sie denn ein Lieblingszitat aus "On the road"?
Nur weiter
Christoph Leusch
das süße lied von flucht und suche,
das sich an häßlichen kämpfen vorbeidrückt
und die freiheit in spiel-räumen findet.
dem widerständigen aus-halten mangelts an glanz.
Ich erinnere mich an einen hier im Freitag erschienen Beitrag über Hobos in den USA,die bewegen sich vorwärts in Güterzügen.Keine Ahnung wann das war.
"Mir noch auffällig, dass so wenig über die Frauen der "Beat Generation" zu lesen ist. Das wäre spannend und zum Beispiel auch im Rahmen eines dF - Artikels machbar"
Einen solchen Artikel gibt es, nämlich Katja Kullmanns "Der Fluch der Coolness" (Ausgabe Nr. 31/2014, auch online) über Diane di Prima.
In diesem Zusammenhang sei, weil Sie die "Kraftausdrücke"-Politik ansprechen, an die häufiger gefragte Fähigkeit der Autorin erinnert, mühelos Sexszenen zu entwerfen. Sie merkte dazu an, dass die meisten Jungs, was das anginge, zu schüchtern und weicheierig seien, wenn ich mich recht erinnere.
Im letzten Kapitel des Buches "Nächte in New York" (Memoirs Of A Beatnik) schildert di Prima, wie sie von Allen Ginsberg [oben im Artikel, keine große Sache, nicht ganz richtig geschrieben], Peter Orlovsky und Jack Kerouac besucht wird. Es entwickelt sich ein erotisches Stelldichein. Und die Kurve zu Kerouac ist genommen.
Grüße von
Rüdiger Grothues
Vielen Dank für den Kommentar, Christoph Leusch. Klar, mein Lieblingszitat ist: „Denn die einzig wirklichen Menschen sind für mich die Verrückten, die verrückt danach sind zu leben, verrückt danach zu sprechen, verrückt danach, erlöst zu werden, und nach allem gleichzeitig gieren – jene, die niemals gähnen oder etwas Alltägliches sagen, sondern brennen, brennen, brennen wie phantastische gelbe Wunderkerzen.“
Spannend. Ausgerechnet dieser Artikel ist mir durch die Lappen gegangen. - Die Memoiren reicherte Diane di Prima, wohl auf Wunsch des Verlages, was den Sex angeht, ein wenig mit Geschichtchen an.
Nur weiter
Christroph Leusch
Brennen, brennen, brennen, wie die Wunderkerzen. - Sehr treffend und offensichtlich lustvoll übersetzt. Damit ist das Zitat auch so typisch für das Lebensgefühl und anliegen der Beat Generation. Persönliche "Befreiung" von was auch immer und möglichst nicht bieder und eng sein.
Nur weiter
Christoph Leusch