Den Riss in der Linken kitten

Buch Warum erreichen Linke heute viele Menschen nicht mehr? Jan Korte fordert in seinem neuen Buch ein neues Gleichgewicht der Themen und Debatten

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Die gesellschaftliche Linke muss denen zuhören, die angesichts ihrer prekären Lage Zukunftsängste haben, mein Jan Korte
Die gesellschaftliche Linke muss denen zuhören, die angesichts ihrer prekären Lage Zukunftsängste haben, mein Jan Korte

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Es geht ein Riss durch die Linke. Hierbei ist nicht bloß die Partei Die Linke gemeint, sondern die Gesamtheit der Linken in SPD, Grünen, Linkspartei und linken Bewegungen. Was sind die drängendsten Fragen der heutigen Zeit? Haben Linke dazu heute noch den richtigen Draht zu den und das Vertrauen der Bevölkerungsschichten, die sie erreichen und unterstützen wollen? Und warum ist es möglich, dass immer mehr Wähler zur AfD abwandern und rechtes Gedankengut wieder salonfähig wird?

Niemals herabblicken

Diesen Fragen geht Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion Die Linke im Bundestag, in seinem gerade im Berliner Verbrecher Verlag erschienenen Band "Die Verantwortung der Linken" nach. Dabei findet er Antworten, die mitunter unbequem sein können. So schreibt er beispielsweise, dass viele Wähler nach rechts rücken oder sich gar ganz aus der Politik verabschieden, weil ihnen schlichtweg nicht zugehört wird. Hier geht es nicht um Menschen, die ohnehin eine rassistische oder autoritäre Einstellung haben, sondern um Menschen, die verzweifelt sind angesichts ihrer prekären Lage, die schlichtweg Angst vor der Zukunft haben, weil etwa aufgrund von Dauerbefristungen ihres Jobs nicht weiter als sechs Monate planen können. Linke echauffieren sich - und das zurecht - über Einzelhandelsketten wie Primark, die unter unmenschlichen Bedingungen ihre Billigprodukte herstellen lassen. Was sie aber nicht tun sollten, ist auf die Menschen herabzublicken, die dort einkaufen gehen, weil sie eben aufgrund ihrer finanziellen Lage dazu gezwungen sind. Eben diese zwei Worte "Niemals herabblicken!" ziehen sich wie ein roter Faden durch Kortes Buch und es täte der Linken gut daran, sich dies zu Herzen zu nehmen. Denn der Grundgedanke - ob nun der Sozialdemokratie oder des demokratischen Sozialismus - ist es doch, soziale Ungleichheiten zu überwinden und gleiche Chancen für alle zu schaffen. Natürlich sind die Kämpfe für Minderheitenrechte hier genauso wichtig wie der Umweltschutz und der Kampf gegen den Rechtsruck. Dabei dürfen aber eben nicht die sogenannten "kleinen Leute", die Menschen in den Dörfern oder PaketbotInnen vergessen werden. Deren Lebenswelt gilt es zu berücksichtigen. Dazu gehören nicht nur die Sorgen um den Job, sondern auch die Frage, warum etwa das städtische Schwimmbad geschlossen wird, warum kein Geld für die Bibliothek im Ort vorhanden ist und wieso der öffentliche Nahverkehr in ihrer Region nahezu eingestellt wird. Treffend zitiert Korte hier den französischen Philosophen Didier Eribon: "Es gibt eine ganze Kaste von Priviligierten, die den lieben langen Tag Lektionen erteilen und keinen blassen Schimmer haben, was wirklich Sache ist. Das ist der Ausdruck des Klassenrassismus. Es herrscht [...] eine völlige Unkenntnis darüber wie die Menschen leben, denken, politisch ticken."

Das Nichtzuhören befördert den Rechtsruck

Wie soll eine Linke handlungsfähig sein, wenn sie diejenigen, für die sie sich vermeintlich einsetzt, kaum kennt. Viele Thematiken, mit denen sich Linke beschäftigen, haben mit der Realität der ArbeiterInnen und der Unterschicht nichts zu tun. Im Gegenteil, viele Menschen fühlen sich nicht mehr verstanden, nicht ernst genommen und nicht mehr repräsentiert von Parteien wie der Linken oder der SPD, die beide ihre Wurzeln doch in der Arbeiterbewegung haben. Was die Gründe für den Untergang der Sozialdemokratie angeht, findet Korte klare Worte: "Sie hat in jeder Hinsicht Verrat an der Arbeiterklasse begangen - wenn man es mal ganz traditionell ausdrücken will. Mit dem Rücktritt von Oskar Lafontaine, spätestens natürlich mit der Agenda 2010, wurde die rotgrüne Bundesregierung eine reale und materielle Bedrohung für die untere Mittelschicht und allen weiter unten Stehenden." Der immer weiter fortschreitende Abbau des Sozialstaates, der doch früher Konsens unter allen Parteien im Bundestag war, tut sein Übriges dazu, dass Menschen verzweifeln und sich - insbesondere wenn sie in Hartz IV abrutschen - gedemütigt fühlen. Leider ist es dann oft einfacher weiter nach unten zu treten und die Schuld bei den Schwächsten zu suchen, statt die wahren Ursachen zu bekämpfen. Und hier kommen Menschenfänger wie die der AfD ins Spiel. Ob sie nun aus Protest gewählt wird oder weil Menschen ihnen tatsächlich auf den Leim gehen, in jedem Fall hören Wähler wohl lieber denjenigen zu, die ein Wir-Gefühl erzeugen, die verdeutlichen, dass sie dazugehören, und sei dieses Wir auch ein ausschließendes. Auch um diese Menschen müsse sich eine Linke bemühen, schreibt Korte. Da kann es sich durchaus lohnen, die parlamentarische Filterblase zu verlassen und einen Kleingärtnerverein zu besuchen.

Jan Korte: Die Verantwortung der Linken
Broschur, 140 Seiten
Verbrecher Verlag, Berlin
16,00 €
ISBN: 9783957324283

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Geschrieben von

Sandro Abbate

Alltagshermeneut | Freier Autor | Kulturwissenschaftler | Blogger | novelero.de

Sandro Abbate

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