Die Stimme Siziliens

Randnotiz Rosa Balistreri war eine der bekanntesten Sängerinnen Siziliens. Dort kennt man auch heute noch fast alle ihre Lieder.

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Rosa Balistreri, 1973 in San Remo

Quannu iu moru faciti ca nun moru,
diciti a tutti chiddu ca vi dissi.
Quannu iu moru 'un vi sintiti suli,
ca suli nun vi lassu mancu di ntra lu fossu.

Wenn ich sterbe, dann tut so als sei ich noch unter Euch
Erzählt allen, was ich Euch erzählte.
Wenn ich sterbe, fühlt Euch nicht einsam,
denn allein lasse ich Euch nicht, nicht einmal im Grab.

Als Rosa Balistreri 1927 in dem Hafenstädtchen Licata geboren wurde, war Sizilien nicht der beste Ort zum Leben. Das vom Feudalwesen geprägte Land war bitterarm. Vergessen vom Norden und gebeutelt von der organisierten Kriminalität. Der "eiserne Präfekt" Cesari Mori bekämpfte auf Mussolinis Befehl mit harten, unorthodoxen Mitteln die Mafia und nahm dabei auch schon einmal Frauen und Kinder als Geiseln. Generationen von Sizilianern hatten bereits ihre Heimat verlassen, um ihr Glück in Übersee, in den USA, Venezuela oder Argentinien zu versuchen.

Licata liegt zwischen Gela und Agrigento an der Südküste Siziliens. Näher an Afrika als an Rom. Als Tochter eines fahrenden Händlers in der Stadt besaß die Analphabetin Balistreri kaum mehr als ihre außergewöhnliche Stimme. Mit 24 Jahren entflieht das talentierte Mädchen dem Süden mit seinen patriachalischen Strukturen, der Gewalt, der Armut und zieht nach Florenz. Dort im reichen Norden ist sie entwurzelt. Erst spät beginnt sie ihre künstlerische Karriere mit 39 Jahren mit der Einladung zum Festival della Canzone Popolare in kampanischen Salerno, wo sie einen Preis gewinnt. Zu mehr Bekanntheit verhilft ihr der spätere Literaturnobelpreisträger Dario Fo. Sie nimmt ihre ersten beiden Alben auf und hat Auftritte im Teatro Carignano in Turin, dem Teatro Manzoni in Mailand und dem Teatro Metastasio von Prato.

Nach zwanzig Jahren im Exil kehrt Rosa 1971 nach Sizilien zurück. Nicht nach Licata, sondern in die Hauptstadt der Insel, nach Palermo. Auch als erfolgreiche Sängerin bleibt sie ihren Wurzeln und den einfachen Menschen eng verbunden. 1973 erklärt sie in einem Interview: "Meine Geschichten vom Elend werden vielen Bonzen Ärger verursachen am Tag, wenn die Öffentlichkeit sensibler auf Themen wie Hunger, Arbeitslosigkeit, Frauen, Mütter, Migration, Rassismus der Mittelschicht reagieren wird." Wie viele andere in dieser Generation von Künstlern wird Rosa Kommunistin.

Mit ihrer kräftigen, rauen Stimme interpretierte Balistreri vor allem sizilianische Volkslieder, Wiegenlieder und Gedichte von Ignazio Buttitta. Sie sang Lieder über Armut, Gefangenschaft und die Mafia , aber auch über die Zärtlichkeit und die Schönheit der Insel und zeichnete mit ihnen ein musikalisches Bild eines gewalttätigen, bittersüßen Siziliens, voller Widersprüchlichkeiten.

1990 stirbt Rosa im Alter von 63 Jahren in Palermo. Auch nach ihrem Tod lässt sie die Entrechteten, die Armen und Leidenden nicht allein. Ihre Lieder klingen weiter, für all diejenigen, die keine Stimme haben - "denn allein lasse ich Euch nicht, nicht einmal im Grab."

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Geschrieben von

Sandro Abbate

Alltagshermeneut | Freier Autor | Kulturwissenschaftler | Blogger | novelero.de

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