Freiheit? Eine Frage der Solidarität!

Grundgesetz Eine Gesellschaft ist nur frei, wenn auch ihre Schwächsten alle Freiheiten genießen können

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Manchmal heißt Freiheit eben auch: Abstand halten
Manchmal heißt Freiheit eben auch: Abstand halten

Foto: Ina Fassbender/AFP/Getty Images

Was bedeutet es eigentlich, frei zu sein, wenn man doch in ein politisches und wirtschaftliches System hineingeboren wurde, dessen Spielregeln man zu befolgen, dessen Gesetze man einzuhalten hat? Gibt es eine absolute, eine grenzenlose Freiheit? Zumindest dort, wo Menschen zusammenleben und miteinander auskommen müssen, gibt es sie nicht. „Der Mensch wird frei geboren, doch überall liegt er in Ketten“, schrieb schon der französische Philosoph Jean-Jaques Rousseau. Wenn wir diese Ketten, von denen Rousseau spricht, als Einschränkung der Freiheit begreifen – statt als Unfreiheit –, dann spiegelt dieser Satz die Realität durchaus wider. Schließlich sind wir – in welchem Staat auch immer wir leben – immer nur soweit frei, zu tun oder zu unterlassen, was wir wollen oder eben nicht wollen, so lange wir uns mit unseren Handlungen und Unterlassungen im Rahmen der geltenden Gesetze bewegen.

Unsere Freiheit stößt also an Grenzen, denn sie muss immer auch die Freiheit unserer Mitmenschen respektieren. „Freiheit ist immer Freiheit des anders Denkenden“, das Zitat Rosa Luxemburgs ist zum geflügelten Wort geworden. Freiheit endet dort, wo sie die Freiheit anderer einschränkt. Ein Freiheitsbegriff, der dies nicht mit einschließt, führt zwangsläufig zur Freiheit des Stärkeren. Wer sich nicht durchsetzen kann, hat das Nachsehen.

Freiheit muss also für alle gleichermaßen gelten, weder bloß für eine Minderheit noch für den größten Teil der Bevölkerung – das Recht auf Freiheit schließt alle ein. Seit nunmehr sieben Jahrzehnten ist das Grundgesetz der Garant dafür, dass dieses Grundrecht auf Freiheit für alle gilt. „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt“, heißt es in §1 Art 2.

Die Tatsache, dass wir mit dem Grundgesetz heute eine Verfassung in Deutschland haben, dass uns Gleichheit und Freiheit zusichert, ist nicht selbstverständlich, denn unmittelbar vor der Gründung der Bundesrepublik liegen die zwölf düstersten Jahre der deutschen Geschichte. Zwölf Jahre der Unfreiheit, Ungleichheit, des Hasses, der Verfolgung, des systematischen Massenmordes. Die Freiheit, die wir heute genießen, ist nicht erkämpft, sie wurde uns am Tag der Befreiung geschenkt und schrittweise erweitert.

Wenn wir verhindern wollen, dass uns diese teuer bezahlte Freiheit genommen werden, müssen wir – mit den Worten Albert Camus gesprochen – „von dieser Stunde an in uns und rings um uns, den Wert der Freiheit erneuern und nie wieder darein willigen, daß sie - und wäre es vorübergehend - geopfert oder von unserer Forderung nach Gerechtigkeit getrennt wird. Für uns alle kann heute nur eine einzige Parole gelten: in nichts nachgeben, was die Gerechtigkeit betrifft, und auf nichts verzichten, was die Freiheit angeht.“[1]

Sollten wir demnach in jedem Fall auf unser im Grundgesetz verbrieftes Recht auf Freiheit pochen, niemals Kompromisse eingehen? Was aber, wenn das Ausleben persönlicher Freiheit eine Gefahr für andere darstellt? Was würde Camus zur heutigen Situation sagen, in der die Regierung Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie auf den Weg gebracht hat, die zahlreiche Einschränkungen für Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Institutionen mit sich bringen.

Getroffen wurden diese Entscheidungen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und Empfehlungen. Während der Großteil der Bevölkerung mit diesen Einschränkungen einverstanden ist und aufs Shopping, den Restaurantbesuch, aber auch die Kinderbetreuung in Kita und Schule verzichtet, erhält der in den Medien präsente Virologe und Coronavirus-Experte Christian Drosten tatsächlich Morddrohungen. Die eigene Wut, Angst und Verunsicherung Einzelner wird auf den Überbringer der Nachricht übertragen.

Aber Wut und Angst lähmen, führen zu Fehleinschätzungen und unvernünftigen Forderungen und Handlungen. Wir dürfen nicht aufhören, zu hinterfragen, wir müssen jedoch auch Vertrauen haben. Denn überall, wo Menschen zusammenkommen, zusammenleben, ist Vertrauen notwendig. Ohne Vertrauen keine Bindung. Ohne Vertrauen kann keine Gemeinschaft, egal ob Familie, Verein oder Staat, funktionieren. Menschen, die Vertrauen haben, tauschen sich mit anderen aus und suchen auch in Krisensituationen nach Lösungen.

Ein generelles Misstrauen ist insbesondere bei Menschen, die offen für Verschwörungstheorien jeglicher Couleur sind, zu beobachten. Und jene Verschwörungstheorien stellen eine größere Gefahr für unsere Demokratie dar als jede Schutzmaßnahme gegen das Virus. Menschen, die jetzt auf die Straße gehen, um gegen die Schutzmaßnahmen und die vermeintlich durch geheime Kräfte geplante Abschaffung der Demokratie zu protestieren, Menschen, die Widerstand ankündigen gegen aus ihrer Sicht staatliche Willkür, ist nicht nur jegliches Vertrauen in unsere Solidargemeinschaft abhanden gekommen, sondern auch die Vernunft.

Unsere Demokratie und unsere Freiheit sind fragiler als uns lieb sein mag. Zwar leben wir heute in anderen Verhältnissen als zur Zeit der Weimarer Republik, dennoch sind gewisse Parallelen nicht zu leugnen. Was nach dem Zusammenbruch der ersten deutschen Demokratie kam, soll und darf sich niemals auch nur annähernd wiederholen. Ein Schlüssel hierzu ist die demokratische Teilhabe der Bevölkerung, aber auch Transparenz seitens der Regierung.

Um Vertrauen in Zeiten einer Krise wie der Corona-Krise aufzubauen, muss bereits während der Einführung von Einschränkungen offen darüber nachgedacht und diskutiert werden, wie es nach der Krise weitergeht, wie die Krise als Chance genutzt werden kann, um Dinge zum Positiven zu verändern. Eine Chance, die wir nicht nur als Gesellschaft, als Staat ergreifen sollten, sondern auch als Individuen.

[1]Albert Camus: Verteidigung der Freiheit. Politische Essays. Rowohlt 1960, S.52

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sandro Abbate

Alltagshermeneut | Freier Autor | Kulturwissenschaftler | Blogger | novelero.de

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