Ich werde gesehen, also bin ich

Identität & Internet Soziale Netzwerke im Internet eignen sich perfekt zur Konstruktion eines digitalen Alter Egos. Aber was bleibt an Authentizität in dieser Scheinwelt?

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Selfie zur Selbstinszenierung?
Bild: wilkernet / pixabay.com

Er ist eine Spezies für sich. Der Facebook-Mensch. Der Facebook-Mensch ist stets gut gelaunt, vielseitig interessiert, hat häufig Urlaub und sieht die schönsten Ecken der Welt. Und jeder seiner virtuellen Freunde kann daran teilhaben. Mit einem einfachen Klick auf den “Like-Button” zeigt man, wie toll man das alles findet, was der Freund so treibt. Entweder gefällt einem etwas oder man ignoriert es. Im schlimmsten Fall könnte man einen negativen Kommentar schreiben, aber der wiederum muss dann auch erstmal gelesen werden. Für Dislikes dagegen ist in dieser Welt voller banaler Statusmeldungen, Katzenfotos und vor dem Badezimmerspiegel geschossenen Selfies kein Platz.

Facebook-Menschen sind absurd

Um von anderen wahrgenommen zu werden, muss er möglichst individuell sein, einzigartig, cool. Er zeigt sich von seiner Schokoladenseite und ist dabei alles andere als authentisch. Ein wenig “echter” kann er sein, wenn er im Geheimen, also mittels der privaten Nachrichten, kommuniziert. Er konstruiert eine Welt, in der er lebt und die er mit anderen teilen möchte, um selbst im Gedächtnis der Menschen um ihn herum zu bleiben, um nicht in der Masse unterzugehen. Die Momente im Leben eines jeden, die geprägt sind von Krankheit, Angst und Sorge erreichen die Welt des Facebook-Menschen nicht oder nur selten. Krankheiten sind in dieser Welt nur da, um Kampagnen zu initiieren, in denen sich Menschen eiskaltes Wasser über den Kopf schütten und im besten Fall etwas spenden.

Menschen im Social Web suchen Bestätigung

Hinter diesem Phänomen des Social Webs steckt doch im Grunde nichts als das kindliche Bedürfnis nach Bestätigung. Das Subjekt, das nach außen hin der Facebook-Mensch ist, erlebt sich selbst als Ausgangspunkt von Wirkungen und als Ziel der Aufmerksamkeit. Einfach gesprochen: “Ich bin, weil ich etwas bewirke” oder “Ich bin, weil ich wahrgenommen werde.”

Und so wie das Kind nach Bestätigung der eigenen Person und des eigenen Handelns bei den Eltern sucht, sucht auch der Erwachsene, der als Facebook-Mensch auslotet, ob andere gut finden, wie er ist und was er macht, nach Anerkennung und konstruiert dabei ein künstliches Ich.

Jammern auf hohem Niveau

Menschen inszenieren sich nicht nur ständig in sozialen Netzwerken. Es wird immer mehr angegeben bei Facebook, Twitter und so weiter. Ein Trend dabei ist die unauffällige Relativierung des eigenen Angebens. Denn Prahlen gehört sich ja nicht. Das wohl beste Beispiel hierfür sind Facebook-Statusmeldungen aus dem Urlaub à la: “39 Grad im Schatten. Trotz Pool kaum auszuhalten!” Und das Ganze dann garniert mit dem obligatorischen Foto vom weißen Sandstrand oder dem Pool im 5-Sterne-Hotel. Im Englischen gibt es für dieses Angeberleiden bereits ein Wort: Humblebrag. Wörtlich übersetzt in etwa Bescheidenheitsprahlen.

Der amerikanische Schauspieler Harris Wittens, der übrigens den Begriff Humblebrag geprägt hat, betreibt einen Twitter-Account, wo er solche Mitteilungen sammelt, etwa die eines Schauspielers, der beschämt beschreibt, dass die Schlange auf dem Flughafen hinter ihm warten musste, weil er vom Piloten erkannt worden war. Warum gerade in sozialen Netzwerken dieses jammernde Angeben so häufig zu lesen ist, könnte daran liegen, dass der Mitteilungsdrang auch bei Erfolgserlebnissen und Dingen, auf die man stolz ist, groß ist. Aber da beim Lesen, kein bescheidener Unterton hörbar gemacht werden kann, wird einfach ein Nebensatz eingefügt, der die Prahlerei ironisch kommentiert oder in Frage stellt.

Verlieren wir uns im Social Web?

Es wird viel geunkt über die sozialen Medien, die mittlerweile schon zur Alltagskultur insbesondere junger Menschen gehören. Experten warnen, dass mit der virtuellen Kommunikation teilweise ein Rückgang realer Begegnungen einhergeht. Sieglinde Geisel nennt das “Phantomkommunikation” und beruft sich dabei auf den Begriff des Phantomkonsums des Kulturphilosophen Günther Anders: „Das Texten fällt uns so leicht, weil sich die Körper nicht mehr begegnen. Mit dem Finger auf der Tastatur ist jeder Herr über sein Image – dies bedeutet jedoch, dass man sich nicht mehr zu erkennen gibt. Es fehlen: Lächeln, Blickkontakt und Mundgeruch. So unverzichtbar uns Textmessages auch vorkommen – sie genügen nicht, um die Seele zu nähren. Je weniger Zeit wir im echten Gespräch zubringen, desto süchtiger sind wir nach dem nie versiegenden Gesumm der elektronischen Botschaften. So füllen die Geräte die Einsamkeit, die sie erzeugen. Die amerikanische Psychologin Sherry Turkle, Professorin am berühmten Massachusetts Institute of Technology, konstatiert ein halbes Jahrhundert nach Günther Anders: ‚Wir erschaffen unsere Technologien, und dann formen sie uns. Deshalb müssen wir uns bei jeder neuen Technologie die Frage stellen: Dient sie unseren menschlichen Zielen?‘ Dass ein Abend mit Freunden mehr Erfüllung bringt, als dem Leben der anderen auf Facebook zuzuschauen, spricht sich allmählich herum; es soll tatsächlich Jugendliche geben, die ihren Facebook-Account stilllegen, um wieder Zeit für ihre Freunde zu haben.

Facebook als Planspiel

Neben den so häufig diskutierten Gefahren kann der Umgang mit dem Social Web auch positive Effekte für jugendliche Nutzer haben, solange virtuelle Kommunikation als Erweiterung und nicht als Ersatz für reale Kommunikation angesehen wird. Die soziale Vernetzung im Internet hat einen gewissen soziologischen Aspekt. Wie im realen Leben ist ein Netzwerk von „Freunden“ von Nöten, um mit anderen in Verbindung zu treten, sich mitzuteilen und auch um die eigene Wirkung zu erfahren, die man selbst und die eigenen Handlungen bei anderen hervorrufen. Ohne dieses Netzwerk bleibt man isoliert, man erhält keine Möglichkeit zur Reflektion des eigenen Handelns über die Beurteilung durch andere. Darüber hinaus kann der Nutzer die Vernetzungen seiner Bekannten beobachten und ihm wird bewusst, dass er Teil eines übergeordneten größeren Netzwerkes ist, in dem es Schnittmengen und Verzweigungen gibt. Diese Beobachtungen können ihm bei der Selbstverortung und über die Selbstreflektion bei der Identitätsbildung hilfreich sein.

Soziales Kapital anhäufen

Der Soziologe Bourdieu prägte den Begriff des sozialen Kapitals als Summe der sozialen Vernetzungen. Soziale Kontakte und Beziehungen können unter anderem ökonomische Vorteile mit sich bringen. Soziale Netzwerke unterstützen ihre Mitglieder und können sie in Notsituationen auffangen. Das Phänomen der sozialen Vernetzung ist an sich natürlich kein neues. Menschen haben sich seit jeher vernetzt, ob in Interessenverbänden, Clans, Gewerkschaften, Vereinen oder Geheimgesellschaften. Gelingendes Networking stellt im privaten wie im beruflichen Alltag einen deutlichen Vorteil dar und kann durchaus als Kapital angesehen werden.

Und hier kommen wir wieder zum Social Web. Wenn man dieses als Planspiel für Jugendliche betrachtet, in dem soziale Vernetzungen geübt werden, könnte der Umgang mit dem Social Web Jugendlichen deutlich machen, wie wichtig die Verknüpfung mit anderen Menschen gleicher Gesinnung, mit ähnlichen Interessen oder besonderen Kenntnissen, Fähigkeiten oder eben besonderen eigenen Kontakten ist. Allerdings folgt soziale Vernetzung im Internet anderen Regeln als in der realen Welt. Während sich in der analogen Welt Kennen lernen in Echtzeit abspielt und soziale Kompetenzen und rhetorische Fähigkeiten von Nöten sind, erfolgt die Kontaktaufnahme in virtuellen sozialen Netzwerken zeitverzögert. So muss beispielsweise der Facebook-Nutzer einem anderen Nutzer bei Kontaktwunsch eine so genannte Freundschaftsanfrage schicken, die dieser dann bestätigt. Je nachdem, wie dieser sein Profil eingestellt hat, kann der Anfragende erst dann weitere persönliche Inhalte des Angefragten sehen. Im Social Web hat der Nutzer den Vorteil, in seiner vertrauten Umgebung ohne einen direkten menschlichen Kontakt, Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen und kann weitaus länger bedenken, wie er auf Nachrichten reagiert. Dies kann Verunsicherungen abbauen und ein „schnelleres“ Kontakteknüpfen vereinfachen, birgt aber auch die Gefahr einer verzerrten oder vorgespielten Darstellung der Kommunikationspartner.

Werte für die Parallelgesellschaft

Dass sich ein Großteil unseres täglichen Agierens in die virtuelle Welt verschiebt, kann positiv oder negativ beurteilt werden, zu leugnen ist es in jedem Fall nicht. Daher ist die Auseinandersetzung mit der Thematik für alle Teilbereiche der Gesellschaft wichtig. Weder Politik noch Wirtschaft oder Privatpersonen können sich gegenüber dieser Entwicklung verschließen. Zu thematisieren ist, wie sich unser Handeln im Netz im Kontext von Freiheit, Gerechtigkeit, kultureller Vielfalt und Chancengleichheit gestaltet, um auch in dieser Dimension menschlichen Handelns und Kommunizierens kompetentes Agieren innerhalb von Wertesystemen zu ermöglichen und das Social Web sich nicht zu einer Art parallelen Gesellschaft entwickeln zu lassen, in der sonst allgemeingültige Werte nicht gelten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sandro Abbate

Alltagshermeneut | Freier Autor | Kulturwissenschaftler | Blogger | novelero.de

Sandro Abbate

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