Was haben wir für ein Glück in Deutschland, im Westen, in einer Demokratie, im Kapitalismus geboren zu sein. Wenn nicht geboren, dann eben später hinzugekommen. Denn unser System, diese "unschlagbare Kombination" aus Kapitalismus, Freiheit und Rechtsstaat ist nach Martenstein genau das, was Flüchtlinge aus der ganzen Welt dazu bewegt, gerade nach Deutschland zu kommen.
Natürlich möchte ich nicht tauschen mit jemandem, der gezwungen ist, seine Heimat aus welchem Grund auch immer zu verlassen. Und ja, grosso modo leben wir recht gut. Aber dass es anderen schlechter geht, kann doch kein Argument dafür sein, dass man das eigene System nicht kritisieren solle. Kritiker sind keine in wohlhabende Familien geborene Kinder, die ihre reichen Eltern verachten.
Die oberen zehn Prozent der deutschen Bevölkerung besitzen etwa zwei Drittel des gesamten Vermögens, das ebenso wie die Kapitalerträge im vergangenen Jahrzehnt stets stieg, während Löhne und Gehälter real sanken. Wenn überhaupt, dann sind Kapitalismuskritiker die Kinder äußerst ungerechter Eltern. Auch Reiche zahlen Steuern und tragen unseren Sozialstaat mit, aber würde eine Umverteilung der Vermögensverhältnisse das nun ändern? Und auch das Argument, dass der Kapitalismus nur funktioniere, weil eben die reichen kapitalistischen Staaten die ärmeren ausbeuten, lässt Martenstein nicht gelten. Wenn man nämlich genau hinschaue, dann seien dort in den geplünderten Ländern meist korrupte Gangstercliquen oder fanatische Einheitsparteien an der Macht. Eine schöne, einfache Sicht der Dinge. Selbst wenn dem so wäre, dann wären es eben diese Cliquen, mit denen wir Geschäfte machen. Ein Teil unserer Reichen schlägt schließlich unheimlichen Profit aus der Produktion von Waffen. Sollte man auch nicht vergessen.
Wie auch immer. Als Beweis dafür, dass jeder gerne im Kapitalismus leben möchte, führt Martenstein auf, dass niemand in ein sozialistisches Land flüchten würde. Nun, davon haben wir auch nicht mehr so viele in Europa. Trotzdem belegen Zahlen etwas anderes. Im Jahr 2009 etwa hat das sozialistische Venezuela 201.244 Flüchtlinge aus dem benachbarten Kolumbien aufgenommen.
Ich glaube, es gilt in Wirklichkeit vielmehr das Motto der Bremer Stadtmusikanten: "Etwas Besseres als den Tod findest du überall."
Kommentare 2
Ich kaufe ein K und möchte lösen: Ohne unreflektierten und als wohlfeil gesetzter Konsumismus gibt es keine Kriege, weil damit die eigentlichen Aufträge dazu erteilt werden.
Martensteins Kolumne ist - wie meist bei ihm - kurzschlüssig.
Der Einstieg schon:
Manche derjenigen, die sich für Flüchtlinge engagieren, sind zugleich Kritiker des Kapitalismus. Das ist ein interessanter Widerspruch.
Das ist überhaupt kein Widerspruch. Es hat immer Kriege gegeben, wie wir wissen. Die gegenwärtigen Auseinandersetzungen haben mit Kämpfen um Rohstoffe und Einflusssphären zu tun. In einem neoliberalen , mörderischen Turbokapitalismus entstehen die Kriege, die zu den Flüchtlingsmassen führen, die wir gerade erleben.
Menschen, die sich für Flüchtlinge engagieren sehen eben genau diesen Zusammenhang und kritisieren den Kapitalismus deshalb.
Außerdem behauptet Martenstein, dass der Sozialstaat nur deshalb existiert, weil es "Reiche" gibt, die mit ihren - wenn sie ehrlich sind - Steuern, diesen Staat erst ermöglichen.
Wenn man die Debatten der letzten Jahre verfolgt hat, weiß man, dass die meisten "Reichen" sich schon eher um die Steuern drücken und es die Abgaben der abhängig Beschäftigten sind, die den Laden am Laufen halten.
Dann wieder O_Ton Martenstein
Es ist seltsam. Tausende riskieren ihre Haut und lassen alles zurück, nur um in einem System leben zu dürfen, das hier viele für durch und durch unmenschlich halten. In Deutschland kapieren viele nicht, wie viel Glück sie haben.
Das ist jetzt der Gipfel an Zynismus. Die Menschen, die sich z. B. aus Syrien oder Eritrea auf den Weg machen,flüchten, weil in ihrem Lande Gewalt und Krieg herrschen und nicht weil sie in einem bestimmten "System" leben wollen.
Das will Martenstein aber nicht sehen.
Aber eigentlich ist Martenstein auch wenig "satisfaktionsfähig". Er ist ein - recht gut schreibender - Kasper, der sich um Zusammenhänge kaum schert.
Es ist im Moment interessant zu erleben, dass endlich mal Ross und Reiter genannt werden.
Hier nur einer von mehreren Links zum Thema.
Der Spiegel fordert z. B. :Die USA müssen mehr Flüchtlinge aufnehmen.