Urlaub in der Hölle

Reality-TV Siebzig Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges zeigt der tschechische Sender CT eine Realitysoap, in der sich eine Familie in der deutschen Besatzungszeit durchschlagen muss

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Urlaub in der Hölle

Foto: Three Lions/Getty Images

Die Zeit der nationalsozialistischen Besatzung der Tschechoslowakei ist ganz gewiss keine Zeit, an die sich die Einwohner des damals von den Nazis errichteten "Protektorats Böhmen und Mähren" gerne zurückerinnern. Im März 1939 war die Wehrmacht unter Hitler in das Nachbarland einmaschiert und es völkerrechtswidrig zu deutschem Reichsgebiet erklärt.

Reality-Serie sendet Familie zurück ins Protektorat

Zuschauer des tschechischen Fernsehsenders CT werden nun mit dem Start der neuen Reality-Serie "Urlaub im Protektorat" am 23. Mai genau in diese Zeit des Nazi-Terrors zurückversetzt. Eine Familie aus Nordböhmen, die im Vorfeld noch nichts genaues über die Zeit, in der die Sendung spielt, wusste, soll während der Dreharbeiten "genauso wie ihre Vorfahren vor 70 Jahren" in ständiger Angst vor Informanten und der Gestapo leben. Zusammen mit ihren beiden Söhnen Marek und Kuba, einem Neffen und den Großeltern muss das Ehepaar Ivana und Milda auf einem altertümlichen Bauernhof leben und mit Lebensmittelkarten und Nazi-Willkür klarkommen.

Die Gretchenfrage: Darf man das?

Gemeinhin sind Realityshows ja für die ein oder andere Geschmacklosigkeit bekannt. Auf den ersten Blick scheint sich mit "Urlaub im Protektorat" ein weiteres geschmackloses TV-Format in die lange Reihe der Peinlichkeiten einzureihen, die das Fernsehen seinen Zuschauern zumutet. Nur zu verständlich, dass bereits erste Kommentare laut werden, in denen von Verhöhnung der Menschen die Rede ist, die damals tatsächlich unter der Besatzung leiden mussten.

Auf der anderen Seite drohen die Erinnerungen an eine Zeit, in der unsägliches Leid über die Menschheit gebracht wurde, mit den Zeitzeugen auszusterben. Wichtig ist in dem Zusammenhang eine funktionierende Erinnerungskultur, zu der neben Museen und Literatur ganz klar auch Filme und TV-Formate gehören. Wo auch schon der Knackpunkt liegt, denn kann eine Reality-Show, die genretypisch zum Vergnügen und zur Befriedigung eines gewissen Voyerismus geschaffen wird, allen Ernstes dem Grauen der damaligen Zeit auch nur annähernd gerecht werden? Das bleibt zumindest bis zum Start der Serie zu bezweifeln.

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Geschrieben von

Sandro Abbate

Alltagshermeneut | Freier Autor | Kulturwissenschaftler | Blogger | novelero.de

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