Warum man mit Sprache vorsichtig sein sollte

Sozialtourismus Gut, dass Sozialtourismus ein Unwort ist. Auch wenn man meint, dass es doch nur ein Wort sei. Eben nicht.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

http://chilirot.files.wordpress.com/2014/01/st.jpg?w=1440&h=400&crop=1Das ist ja eigentlich eine gute Sache. Bis vor kurzem waren damit nämlich noch Maßnahmen gemeint, die einkommensschwachen Familien einen Urlaub ermöglichen. Die Diskussionen, die aber insbesondere in den letzten Monaten in Zusammenhang mit dem Begriff geführt werden, haben einen gänzlich anderen Hintergrund. Es geht einmal wieder die Angst vor dem Immigranten um, der sich heimlich in unser soziales Netz einschleicht und – ohne selbst je etwas zum Allgemeinwohl beigetragen zu haben – zum vermeintlichen Nutznießer unserer Sozialleistungen wird.

Und hier wird die ganze Sache eklig. Nicht die Tatsache, dass nun auch Bürger aus osteuropäischen Staaten aufgrund der in der EU herrschenden Freizügigkeit, nach Deutschland einwandern können. Eklig ist die Debatte, die um das Thema geführt wird. Und der Name, den die ganze Sache erhalten hat: Sozialtourismus. Das hört sich so an, als kämen Rumänen und Bulgaren zum Vergnügen, als Touris eben. Nur mit dem Unterschied, dass sie für ihr Vergnügen nichts bezahlen wollten. Darüber hinaus impliziert das Wort Tourismus, dass sie keinerlei Bindung zum Zielland aufbauen wollten, also an Integration ist wohl gar nicht erst zu denken. Und wie man insbesondere in den sozialen Netzwerken sieht, springen genügend Menschen auf das Thema an, wenn man es nur ein wenig populistisch formuliert. Dabei verschleiert das Wort, dass Menschen aus purer Not ihre Heimat verlassen und auch das Recht dazu haben, sich überall innerhalb der EU niederzulassen. Es scheint tatsächlich so, als hätten die Leute mehr Angst vor Rumänen und Bulgaren, die ihre Pfandflaschen sammeln als beispielweise davor, von der NSA ausspioniert zu werden. Dabei muss allerdings gesagt werden, dass ein großer Teil der Einwanderer beruflich gut ausgebildet ist und zum Teil über einen Hochschulabschluss verfügt.

Auch in Köln wird diskutiert. Hier seien es um die 11.000 Zuwanderer, heißt es etwa im Stadtanzeiger. Dass das Wort Sozialtourismus mehr als unangebracht ist, zeigen die Fakten. Einwanderer aus Rumänien und Bulgarien werden nicht wie Flüchtlinge behandelt und werden somit auch nicht von der Stadt untergebracht. Das heißt, sie müssen sich selbst um eine Wohnung kümmern. Auch besteht für sie im Regelfall kein Anspruch auf Sozialleistungen.

Gut, dass Sozialtourismus ein Unwort ist. Auch wenn man meint, dass es doch nur ein Wort sei. Eben nicht. Worte oder generell Sprache sind machtvolle Instrumente und haben einen großen Einfluss auf unser Denken und unsere Wahrnehmung. Metaphern wie eben der Sozialtourismus wirken dabei im Verborgenen und rufen eine ganze Reihe an Assoziationen bei uns hervor. Vielleicht wäre es sinnvoller, wenn wir alle bei Dingen, die uns in irgendeiner Weise emotional berühren, in einer Fremdsprache diskutieren. Einer Studie zufolge treffe man in einer Fremdsprache nämlich rationalere Entscheidungen, da sie vom intuitiven Denken distanziere und nicht so einen emotionalen Nachklang wie die Muttersprache habe.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sandro Abbate

Alltagshermeneut | Freier Autor | Kulturwissenschaftler | Blogger | novelero.de

Sandro Abbate

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden