Auf dem Zürichsee schwimmt ein Kino. Die Holzkonstruktion mit Zuschauerrängen und Wasserbecken lädt zum Entspannen ein, einige Besucher springen direkt in den See. Umkleidekabinen und Haartrockner sind fest installiert auf diesem Pavillon der Reflexionen, der für die europäische Kunstbiennale Manifesta 11 gebaut wurde. Auf der Leinwand: Kontrastprogramm. Ein Holzsarg fährt in einen Ofen, die Temperaturanzeige kontrolliert die Verbrennung der Leiche in einem Zürcher Krematorium. Was bleibt, sind Knochen, die ein Mitarbeiter in eine Art Aktenvernichter schüttet und die in geschredderter Form schließlich ihre letzte Ruhe in der Urne finden.
What People Do For Money lautet das Motto der diesjährigen Manifesta. Erstmals wurde ein Künstler zum Kurator der Kunstschau gemacht: der 48-jährige Berliner Christian Jankowski. Rollenwechsel sind sein Dauerthema. Zu Beginn des Jahres ließ er die Schauspielerin Nina Hoss seine eigene Retrospektive in einer Berliner Galerie kuratieren. 2008 priesen Teleshopping-Moderatoren in seinem Auftrag Kunstwerke bei der Art Cologne an, und im Stuttgarter Kunstmuseum mussten die Angestellten ihre Berufe per Losverfahren tauschen – die Kuratorin des Museums landete so zeitungslesend in der Sicherheitszentrale.
In Zürich lud Christian Jankowski nun 30 Künstlerkollegen ein, je einen der 1.000 in Zürich ausgeübten Berufe zu wählen, einen „normal“ arbeitenden Menschen zu treffen und aus diesem Joint Venture ein Kunstwerk zu entwickeln. Die Ergebnisse werden am Arbeitsort, im musealen Kontext und in kurzen Dokumentarfilmen präsentiert. Jennifer Tee wählte den Leiter des Bestattungs- und Friedhofsamts der Stadt. Sie ließ sich von ihm den Aufbahrungsraum zeigen und erfuhr, dass die Mitarbeiter an Türen klopfen, bevor sie die Räume der Toten betreten und diese als „ihre Gäste“ bezeichnen. Davon ausgehend hat sie eine Installation entwickelt, in der sie an Totenmasken erinnernde Skulpturen mit ethnografischen Objekten kombiniert.
Inwieweit diese Werke, die alle eher im Dienst von Jankowskis Idee als für die Genialität der einzelnen Künstler stehen, auch unabhängig vom Biennale-Kontext Bestand haben, das werden Markt und Kunstgeschichtsschreibung zeigen: Mike Bouchet kooperierte mit einem Klärwerk und präsentiert geometrisch angeordnete europalettengroße Quader aus Klärschlamm und Fäkalien. Sie stammen von allen, die am 24. März 2016 in Zürich eine Toilette benutzten. Im White Cube erinnern sie an ein Werk der Minimal Art – nur gestört von einer Belüftungsanlage, die gegen den Geruch arbeitet. Ceal Floyer ließ nach vielen Gesprächen mit einer Dolmetscherin einen Ehevertrag simultan ins Französische und Italienische übersetzen, Santiago Sierra rüstete in Zusammenarbeit mit einer privaten Sicherheitsfirma eines der Hauptausstellungsgebäude so auf, als stünde es derzeit in Syrien. Und Guillaume Bijl installierte einen Hundesalon in einer Kunstgalerie – einmal die Woche wird Hundestylistin Jacqueline Meier dort arbeiten.
400-Euro-Jobs
Insgesamt habe die Idee funktioniert, schreibt Jankowski im Katalog: „Meist lief es gut. Gelegentlich konnte ich helfen, Ideen aufschnappen und vermitteln.“ Auch Krisen und Unterbrechungen gab es, etwa bei einer Sexologin, die Frauen im Museum masturbieren lassen wollte – eine Idee, die der Künstlerin nicht gefiel, eine zweite Expertin wurde hinzugezogen. Nun sind Zeichnungen des Vorgangs zu sehen.
Neben den 30 Neuproduktionen steht eine historische Ausstellung. Streng sortiert nach Themen wie „Berufsporträts“, „Arbeitswelten“ und „Arbeitspause“ stellt Christian Jankowski hier Werke aus, die zumeist leider nicht viel mehr tun, als Arbeit zu illustrieren – und das in der Schweiz, die sich Anfang Juni per Volksentscheid gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen hat. So hängen neben Andreas Gurskys Wimmelbild von Siemens-Mitarbeitern bunt bemalte Leinwände von Angela Vanini, die 400-Euro-Jobs zeigen, Frauen beim Kellnern, beim Treppefegen, beim Nähen.

Foto: Manifesta 11
Meist liefern Christian Jankowski und seine Ko-Kuratorin Francesca Gavin auch kleine Werkbeschreibungen mit. Ein Einstieg ist so im Gegensatz zu manch anderer unter Theoriekonstrukten zusammensackender Biennale barrierefrei möglich. Dennoch: Irgendwie liegt ein Hauch zu viel Didaktik über allem.
Arbeit, das wird während des Rundgangs deutlich, meint bei Christian Jankowski vor allem auch künstlerische Arbeit. „Berufe in der Kunstwelt“, „Kunst als zweiter Beruf“, „Künstler in anderen Berufen“, „Kunst ohne Künstler“ oder „Berufe in der Performancekunst“ – diese Schlagworte dominieren fast die Hälfte der Schau. Im Cabaret Voltaire, dem Geburtsort des Dada mitten in Zürich, wird dann auch der Besucher Teil des Rollentauschs. Die Performances, die dort während der 100 Manifesta-Tage laufen, kann sich nur ansehen, wer zuvor selbst eine Miniperformance entwickelt und aufführt. Künstlerische Arbeit soll am eigenen Leib spürbar werden.
Keine Frage, mit diesem durchorchestrierten Biennale-Konzept würde Christian Jankowski jederzeit ein Kuratorendiplom ausgehändigt werden. Er sei „only interested in art“, betonte er bei der Pressekonferenz: „Let the art-work speak!“ Letztlich ist diese Zürcher Manifesta ein Jankowski-Mammmutwerk, dem sich die Beiträge seiner Künstlerkolleginnen und -kollegen zwangsläufig unterordnen.
Erfüllungsgehilfen
Selbst die beiden Preview-Tage, die nur Fachbesuchern offenstehen, gaben unbeabsichtigt Auskunft darüber, was Menschen für Geld tun. In Großbuchstaben kategorisierte das um den Hals baumelnde Namensbadge die Anwesenden: PRESS, ARTIST, STAFF und PROFESSIONAL. Letztere hätte man auch gut noch in GALERISTEN, SAMMLER, MUSEUMSMITARBEITER und WICHTIGTUER unterteilen können. Ja, eine konsequente (Selbst-)Befragung der Arbeitswelt Kunst ohne den Deckmantel der Verankerung in der „realen“ Welt wäre ein Experiment gewesen.
Denn Künstler, die eingeladen werden, außerhalb des musealen Kontexts eine neue Arbeit zu entwickeln – diese Idee ist nicht neu. 1986 etwa überzeugte der spätere Documenta-Kurator Jan Hoet 51 Familien im belgischen Gent davon, über drei Monate Teile ihrer Privatwohnungen für Künstler zur Verfügung zu stellen – Chambres d’Amis gilt bis heute als eines der innovativsten Ausstellungsunternehmen der 80er Jahre. Entsprechend häufig wurde es nachgeahmt. Für die Besucher habe der Zugewinn in Gent vor allem im Pittoresken des Ambientes gelegen, wenn nicht gar im Voyeuristischen durch den Einblick in die Privatsphäre, schrieb später die Kunsthistorikerin Claudia Büttner.
Auch jetzt in Zürich fasziniert wie im Fall des Krematoriums vor allem der Blick hinter die Kulissen. Jede Künstler-Beruf-Paarung wurde von einem jungen Filmemacher und einem Zürcher Teenager begleitet, vom ersten Kennenlernen bis zur Installation der fertigen Arbeit.
Jeden Abend laufen die Filme im Loop im Pavillon der Reflexionen, der durch sie zum Herzstück dieser Manifesta wird. Beim Bier verfolgt man hier die Gespräche zwischen Normalsterblichen und Künstlern (auch Christian Jankowski ist manchmal dabei). Ohne einen Stadtplan in die Hand nehmen zu müssen, klappert man inmitten des Badeanstalt-Kino-Settings die Schauplätze der Manifesta ab. Mal steht man im Atelier, mal in der Kläranlage und wird von den unverblümten Fragen der jungen „Kunstdetektive“ gut unterhalten. Wohl auch, weil ihnen das kleine Interviewtraining so deutlich anzumerken ist. Sie sind alle Erfüllungsgehilfen der Jankowski-Mission.
1.000 Schweizer Franken Honorar gab es für die Künstler, zudem wurden 8.000 Franken Produktionskosten für die Werke übernommen. Hinterfragt hat das Gesamtkonzept nur eine der Geladenen. Georgia Sagri verlangte zusätzlich ein Honorar für ihre Mitwirkung im von Jankowski gewünschten Dokumentarfilm, wie ein ausformuliertes Agreement im Begleitkatalog offenlegt. Ihr Film im Pavillon der Reflexionen läuft nun unter dem Titel Georgia Sagri as Georgia Sagri (still without being paid as an actress).
Info
Die Manifesta 11 findet an diversen Orten in Zürich noch bis zum 18. September statt
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.