Chemnitz kommt

Kunst Nach der Wende fanden Ost-Galerien nur im Westen Käufer. Jetzt wächst eine heimische Sammlerszene heran
Ausgabe 39/2018

Mit 200 Quadratmetern sind sie doppelt so groß, die neuen Räume, die Arne Linde mit ihrer Galerie ASPN im April auf dem Gelände der Baumwollspinnerei in Leipzig bezogen hat. Ein Bekenntnis zum Standort: 2005, als Malerei aus Leipzig besonders in den USA in aller Munde war und entsprechend viel Geld durch die Hände der sächsischen Galeristen ging, gründete sie die Galerie. Doch Leipziger, die regelmäßig Kunst kauften, konnte man damals an einer Hand abzählen. Linde setzte auf Geduld und Nachhaltigkeit, statt wie viele Galerien im oberen Segment des Kunstmarkts auf Hotness und Rendite (der Freitag 38/2018). Heute kommen gut 25 Prozent ihrer Käufer aus der Region. Und waren 2010 Verkäufe um die 3.000, 4.000 Euro noch die Obergrenze, hat sie im vergangenen Jahr auch Arbeiten für 15.000 und 20.000 Euro nach Leipzig verkauft. Ein später Aufschwung Ost?

Die vormalige Grenze hat sich deutlich eingeschrieben in die Galerienlandschaft: Nur zehn Prozent aller deutschen Galerien sind in den neuen Bundesländern verortet – Berlin, wo ein Drittel ihren Sitz haben, ausgenommen. Laut einer Studie des Instituts für Strategieentwicklung (IFSE) gibt es rund 1.000 Galerien in Deutschland. Mit 50 Galerien in Leipzig und Dresden rangieren die sächsischen Standorte zwar hinter Köln/Düsseldorf und München, aber vor Städten wie Frankfurt, Stuttgart oder Hamburg. Und sie machen die Hälfte aller Galerien im Osten aus.

Zwei, drei Kunstwerke im Jahr kauft Alexander Usunov. 5.000 Euro hat er für Das Versprechen von Robert Seidel bezahlt. Die Malerei des Neo-Rauch-Schülers war sein erster Kauf bei Arne Linde. Kein Investment, sondern hart erspart: „Was auf dem Kunstmarkt sonst passiert, ist mir ziemlich wurst.“ Er ist 1990 geboren, seine Familie kam in den 90ern aus Bulgarien nach Leipzig, sie hatte hier ein Haus geerbt. Heute ist er eingestiegen ins familiengeführte Immobilienunternehmen, betreibt eine Bar, macht Caterings. Früher war er oft mit seinen Eltern bei Ausstellungseröffnungen in der ehemaligen Baumwollspinnerei in Leipzig – zum Gucken, nicht zum Kaufen.

Das Gelände, auf dem sich neben über 100 Künstlern die wichtigsten Galerien angesiedelt haben, wurde lange als städtische Ausstellungsfläche wahrgenommen. Das hat sich spürbar gewandelt: Vor drei Jahren eröffneten Katharina und Ulrich Thaler einen Mini-Raum, in dem sie Grafiken von 45 Künstlern anbieten, von 100 bis 6.000 Euro. Hier kauft auch mal jemand spontan. „Am Anfang kamen vor allem Leute aus dem Ruhrgebiet und Süddeutschland, jetzt finden auch viele Ärzte, Anwälte, Akademiker und Start-up-Unternehmer aus Sachsen den Weg zu uns.“ Dreimal im Jahr eröffnen die Galerien hier neue Ausstellungen zum sogenannten Rundgang. Dann kommen Tausende und schlendern bei Bier und Bockwurst über das backsteinrote Industrie-Areal, auf dem auch die Galerie Eigen + Art ihren Sitz hat.

Bild gegen Leiter

Von Gerd Harry Lybke noch zu DDR-Zeiten gegründet, startete sie nach der Wende international durch, vertritt heute Malerstar Neo Rauch und ist als einzige ostdeutsche Galerie bei allen international relevanten Messen vertreten. Rund 50 Prozent der Käufer kommen aus dem Ausland, 30 Prozent würden in direkter Nähe der Galeriestandorte Leipzig und Berlin leben, 20 Prozent woanders in Deutschland. Auch 30 Prozent der Rauch-Bilder aus den letzten Jahren würden im Osten hängen. In den Jahren nach der Wiedervereinigung hat Lybke vor Ort nichts verkauft. Da hatten die Menschen andere Probleme. Erst seit 1995 ging es langsam voran mit den Sammlern im Osten. Eine nachvollziehbare Entwicklung: Kaum jemand hat viel geerbt, es gibt kein altes Geld. Wer 1990 jung genug war, konnte die Situation nutzen, sich was aufbauen – egal ob in der DDR geboren oder vom Westen rübergekommen. Angesichts der Zunahme der regionalen Käufer zwischen DDR-Sozialisierten und Zugezogenen zu unterscheiden, wäre spannend, ist praktisch jedoch kaum möglich. Galeristen fragen nicht jeden Käufer nach dem Geburtsort.

Einer, der Rauch an der Wand hat, ist der Immobilienunternehmer Steffen Hildebrand. Er gilt als wichtigster Sammler in den neuen Bundesländern, kam Mitte der 90er Jahre aus dem Westen nach Leipzig, ist Stammkunde der Galerien vor Ort. Vor drei Jahren eröffnete er die G2 Kunsthalle im Leipziger Stadtzentrum. Eine Handvoll vergleichbar relevanter Sammlungen kennt Galerist Gerd Harry Lybke im Osten. Und ja, die Eröffnung der Kunsthalle habe das Bewusstsein für die Möglichkeit, dass man in Leipzig Kunst kaufen könne, sicher noch einmal gestärkt. Ein Bewusstsein, das auch aufgrund des quasi nicht existenten Kunstmarkts zu DDR-Zeiten kaum verankert war.

Mehr als 600 staatlich sanktionierte Galerien zeigten damals vor allem Kunst, die dem Sozialistischen Realismus verpflichtet war. Nur wenigen gelang es, ein eigenständiges Profil zu entwickeln. Mindestens 43 private Galerien gab es zwischen 1949 und 1989 in Wohnungen, Ateliers und Abrisshäusern. Da ging es nicht ums Verkaufen, da ging es darum, Video-Aktionen und Performances zugänglich zu machen, die offiziell nicht erwünscht waren.

Wer zu DDR-Zeiten Kunst kaufte, tat dies oft aus persönlicher Verbundenheit zum Künstler. Und Kunst von Freunden gab es zum Freundschaftspreis, oder sie wurde gegen eine Leiter getauscht und fand ihren Weg direkt aus dem Atelier in die Wohnzimmer. Ein Graumarkt, der zum Teil noch immer funktioniert, meint Jörk Rothamel: „Es gab auch vor 1990 eine rege Sammlergemeinde. Doch die wurde erschüttert, weil eine Grafik plötzlich nicht mehr 20 Mark kostete.“ Als er 1996 seine Galerie Rothamel in Erfurt eröffnete, hatten die alten Sammler sich weitgehend zurückgezogen. In Frankfurt am Main, wo er 2005 eine Dependance eröffnete, ist das Kunstsammeln hingegen fest verankert, die Finanzkraft höher. Bis heute zählt er in Frankfurt mehr Spontanverkäufe, auch wenn Erfurt allmählich nachziehe.

Schauen, wo man lebt

Auch Frank und Ralf Lehmann hatten noch Ende der 80er Jahre eine Galerie in ihrer Dresdner Wohnung gegründet. Auch sie verkauften damals nichts, finanzierten mit Kunstauktionen ein Spendenprojekt für Rumänien oder die Getränke für die Eröffnungsparty. Nach dem Mauerfall wollte in Dresden niemand Kunst kaufen. Ungefähr 20 Prozent aller Käufer stammen heute von hier, gut ein Drittel davon sei noch in der DDR geboren, sagen sie. Ähnlich wie in Leipzig sind es zudem junge Leute, die nach dem Studium eine Perspektive haben und zu erstem Geld gekommen sind. Und es gibt die, die in den letzten Jahren eine eigene Firma in Dresden aufgebaut haben und jetzt schauen, wo sie eigentlich leben. „Diese Käufer wandern im Elbsandsteingebirge, gehen in die Semperoper und ins Museum. Es entsteht eine Nähe zu diesem Kulturraum“, beobachtet Frank Lehmann. „Der Kunstkauf ist dann auch eine Form der Identitätsaneignung.“ Denn nicht nur die Galerie ist in Dresden verwurzelt, auch die Hälfte ihrer Künstler stammt von hier oder hat an der Hochschule für Bildende Künste Dresden studiert, darunter Eberhard Havekost oder Olaf Holzapfel, Teilnehmer der vergangenen Documenta 14.

Ob schon zu DDR-Zeiten oder nach der Wende gegründet, Aufbauarbeit haben die Galerien in den neuen Bundesländern vor dem Hintergrund eines vor 28 Jahren noch nicht existenten Kunstmarktes alle geleistet und dem Bio-Trend zum Kunstkauf –nachhaltig, aus der Region, identitätsstiftend – damit das Feld bestellt. Eine umfassende Studie zum Kunstkaufverhalten in den neuen Bundesländern sollte langfristig in den Blick nehmen, ob andere Ost-Städte nachziehen. Chemnitz etwa, seit der Eröffnung des Museums Gunzenhauser (das die Privatsammlung des Münchner Sammlers Alfred Gunzenhauser zeigt) fest auf der deutschen Kunstlandkarte verortet, entwickelt sich, wirtschaftlich wie kulturell. In einer Jugendstilvilla unweit des Museums klingeln Besucher heute bei der Galerie Oben, einem Sonderfall: 1973 in Karl-Marx-Stadt gegründet, war sie zwar offiziell Teil der Verkaufsgenossenschaft Bildender Künstler des Bezirks, jedoch finanziell autonom sowie im Programm auffällig unabhängig und von Staatsseite entsprechend unter Beobachtung. Künstler wie Michael Morgner und Thomas Ranft stellten damals aus und gehören noch zu denen, die die heutige Inhaberin Kathrin Lahl vertritt. Eine Auswertung aller in der Adressdatei vermerkten Käufer seit 2006 ergab, dass diese zu jeweils 50 Prozent aus den neuen und den alten Bundesländern kommen.

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