Ein Geschenk sei diese Ausstellung für ihn, sagt Alfred Weidinger, der seit August Direktor des Museums der bildenden Künste in Leipzig ist. Die Dialogschau Displacements/Entortungen von Ayşe Erkmen und Mona Hatoum war seit 2015 geplant, dann mehrfach verschoben worden. Vermutlich auch, weil sie Weidingers Vorgänger nicht so richtig in den Kram, sprich ins Programm passte. Es sei Kunst wie diese, betont nun der Neue, der er künftig in Leipzig „eine Heimstätte“ bieten wolle.
Kunst wie diese, das sind im Fall von Mona Hatoum und Ayşe Erkmen Werke, die auf den Ort reagieren, Identität, Selbstbestimmung und Macht sind ihre Themen. So treffen Besucher am Ende der steilen Treppen ins Untergeschoss des Museums auf einen schwebenden Kubus: Dü
nden Kubus: Dünne Metallstangen hängen an Angelschnüren über dem Boden, geometrisch-mathematisch schön ist Hatoums Impenetrable, nur das Material bricht den ersten Eindruck – es ist feiner Stacheldraht, der an Zäune, Grenzen und Gefangenschaft denken lässt. Daneben eine mit neonfarbenen Schnüren durchzogene Weltkugel, 13 Stahlgerüste, die an Stockbetten in Lagern erinnern, ein Werbemotiv aus dem Jahr 1988, das die Künstlerin mit einem Spielzeugsoldaten auf der Nase zeigt – Hatoums Arbeiten verhandeln Überwachung, soziale Kontrolle und Krieg.Weniger klar zu decodieren sind die Werke von Ayşe Erkmen, die eher auf das visuelle, ja körperliche Erleben setzen: Unter 22 farbigen Glasscheiben, die vor Strahlern montiert sind, verfärbt sich das Notizblatt der Autorin. Gleich einem überdimensionalen gotischen Kirchenfenster werfen sie ein Farbmeer auf den grauen Fußboden. Grün dominiert Erkmens Hauptraum, in dem ältere Arbeiten platziert sind, etwa ein Ziegelsteinhaufen mit hineingerammter Neonröhre oder ein Vorhang aus mit ihrem eigenen Namen versehenen Bändern. Subtiler als bei Hatoum geht es hier um Wahrnehmung, die Verortung des Individuums im großen Ganzen, aber auch um die Schönheit des Schrecklichen, etwa wenn Handgranaten animiert als froschgrüne Objekte über Bildschirme flimmern.Ayşe Erkmen, Jahrgang 1949, pendelt seit 1993 zwischen Berlin und ihrer Heimatstadt Istanbul. Auch Hatoum hat biografische Erfahrungen mit der Entortung: 1952 in Beirut geboren, lebt sie seit 1975 in London – der Ausbruch des Bürgerkriegs im Libanon machte eine Rückkehr damals unmöglich. Es ist ihre erste Dialogausstellung, obwohl sie sich schon lange kennen.Adieu, StickschimpansenEigentlich wollten die Kuratoren ihre Arbeiten in einem Raum ausstellen: „Aber das hat irgendwie nicht funktioniert“, erklärt Mona Hatoum beim Kaffee nach dem Presserundgang. „Wir sind beide sehr sensibel bezüglich unserer Werke in Relation zum Ausstellungsraum.“ Auch wenn die direkte Konfrontation der Werke nun ausbleibt, so funktioniert der Dialog, auch weil er zurückhaltend inszeniert ist – in vollem Vertrauen in den White Cube. Es war auch unter dem langjährigen Direktor Hans-Werner Schmidt ein wiederkehrendes Regiemoment, Kunst „dialogisch zu präsentieren“, um zu erwirken, dass sich das Gezeigte „gegenseitig kommentiert“. Doch der Talk blieb mitunter unverständlich, etwa als im Herbst 2013 weibliche Akte mit Konsumprodukten und Tieren von Mel Ramos auf Werke von Richard Müller und dessen nationalsozialistisch geprägte Biografie trafen und obendrein noch Wolfgang Joops bestickte Schimpansenbilder an der Wand hingen. Hörbar atmen die Räume nun durch, so ganz ohne die sonst für Sonderausstellungen – darunter in den vergangenen Jahren auch Highlights, etwa Via Lewandowsky, Paul Klee oder Bernini – nötigen Extrawände und strukturgebenden farbigen Flächen.Mona Hatoum und Ayşe Erkmen, sie treten nicht nur miteinander in Dialog, sie kommen auch ins Gespräch mit dem Haus und motivieren dazu, mal wieder eine Runde durch die Sammlungspräsentation zu drehen: Im zweiten Obergeschoss hängt hinter einer auf die Dimensionen einer Museumsbank vergrößerten Käsereibe – Hatoums Daybed – der heilige Hieronymus, der glaubt, die Posaunen des Jüngsten Gerichts zu hören. Akustisch wird es im darunterliegenden Klinger-Saal: Da, wo Jesus am Kreuz hängt und Beethoven als Monumentalskulptur vor einem sitzt, erklingt ein dreistimmiger Kanon, den er einst als Liebes- oder Freundschaftserklärung an eine Schauspielerin komponierte. Ayşe Erkmen ließ ihn von einer Frauenstimme einsingen und sampelte diese in leichter Disharmonie übereinander. Eine Arbeit, die das museal-sakrale Setting nicht nur aufgreift, sondern auch persifliert.Nicht zuletzt Half of zeugt davon, dass Ayşe Erkmen das Haus auf sich hat wirken lassen: Im Innenhof hängen fünf Modelle aus weißem Stoff, die sich an dessen Volumen orientieren und es proportional verkleinern. „Das Haus hat eine übertriebene Höhe und man fühlt sich sehr klein darin“, erklärt Erkmen. „Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist, aber man kann diese gegebene Architektur nicht ignorieren.“Direktor Alfred Weidinger dürfte das aus dem Herzen sprechen – schon für seine erste Ausstellung im Oktober hat er den Chinesen Wang Qingsong eingeladen, eine der überdimensionalen Wandflächen zu bespielen. Im kommenden Jahr sollen sich wohl Ai Weiwei und Yoko Ono den Herausforderungen des Gebäudes stellen. Bleibt zu hoffen, dass sich das Museum in den kommenden Jahren wieder da verorten wird, wo es hingehört – mitten hinein in die deutsche Museumslandschaft.Placeholder infobox-1