Zur fröstelnd-ruinösen Stimmung im Deutschen Pavillon passt das kühle Maiwetter auf der Biennale in Venedig: Die Eingangstür im repräsentativen Portal bleibt verrammelt, der Steinfußboden wirkt lange nicht geputzt. Die Wände sind fleckig, Licht dringt nur durch die Oberfenster des historisch aufgeladenen Gebäudes, an dessen Geschichte sich seit dem Umbau durch die Nazis Kunst- und Architekturbiennale Jahr für Jahr mehr oder weniger offensiv abarbeiten. Eine meterhohe Staumauer aus grauem Beton teilt dieses Mal den Pavillon: Davor liegen 22 Steine, zum Teil in einer Art Wasserlache aus Latex. Auf der Rückseite hängen 48 Lautsprecher in einem Baugerüst. Elektronische Beats mischen sich mit Vogelgezwitscher und Trillerpfeifen.
Falsch. Falsch. Noch mal falsch
Als „Ankersentrum“ wurde der von Natascha Süder Happelmann gestaltete Pavillon vergangene Woche eröffnet. Trotz der abweichenden Schreibweise eine deutliche Referenz an die umstrittenen „Zentren für Ankunft, Entscheidung, Rückführung“. Auch der Name der ausstellenden Künstlerin ist ein durch sprachliche Verschiebungen entstandenes Konstrukt: Hinter Natascha Süder Happelmann steht Natascha Sadr Haghighian, Teilnehmerin der Documenta 13 und 14 sowie Professorin an der Bremer Kunsthochschule. Seit 30 Jahren hat sie Falschschreibungen ihres für deutsche Ohren komplizierten Namens gesammelt und zu diesem gut von der Zunge rollenden Best-of zusammengefügt.
Dass in Venedig Asylsuchende und Fragen der Einwanderungspolitik verhandelt werden würden, war zu erwarten. Begonnen hat die Ausstellung schon vergangenen Oktober, mit der ersten Pressekonferenz in Berlin, die einer Performance glich. Kunstfigur Natascha Süder Happelmann trug ein steinähnliches Gebilde auf dem Kopf und schwieg. Wofür steht der Stein? Für Entmenschlichung? Für versteinerte Köpfe? Oder die Last von Geflüchteten auf ihrem Weg in die Festung Europa? Auf solche Interviewfragen antwortete Süder Happelmann in den vergangenen Monaten ausschließlich mit abstrakten Zeichnungen. Das öffentliche Sprechen überlässt sie einer Frau mit schwarzem Kurzhaarschnitt und Hipsterbrille: Helene Duldung. Auch sie eine Kunstfigur, deren Name von griechischer Mythologie über die deutsche Schlagergöttin bis hin zur vorübergehenden Aussetzung der Abschiebung einiges abdeckt.
Es waren diese Verschiebungen und Irritationen, die die auf große Namen fixierten Kunstberichterstatter überraschten und bestenfalls sensibilisierten. Dafür, dass Sprache Wirklichkeit wiedergibt und manchmal erst schafft. Dafür, dass sie mit ihren Texten beitragen zum Narrativ des Deutschen Pavillons – schlussendlich erreichen Texte, Fernsehbeiträge und Radiointerviews mehr Publikum, als je nach Venedig fliegt. „Generell macht nie jemand etwas allein“, war Helene Duldungs Antwort auf die Frage, ob die Künstlerin auch mit anderen zusammenarbeite.
Spätestens beim Empfang im Februar in der Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst, deren Direktorin Franciska Zólyom den Pavillon kuratierte, bestätigte sich, dass die Presse ungefragt zum Ko-Akteur erklärt wurde. Das Setting der ersten Pressekonferenz war nachgestellt, sie lief als Videomitschnitt auf einem Monitor, eine Auswahl erster Zeitungsartikel lag ausgedruckt auf A4-Zetteln aus. Die Künstlerin war abwesend. Stattdessen ertönten Paukenschläge, Trommelwirbel und Trillerpfeifen, unterbrochen von geflüsterten Zahlen.
Der Sound, die Sprecherin, der Stein. Komplettiert wurde diese fragmentierte Vorab-Ausstellung zeitgemäß und ortsunabhängig im Netz: In Videos blieb der Stein vor Ankerzentren in Bayern und Baden-Württemberg stehen, bewegte sich als Tramper durch Italien, begleitet vom Sound Tausender, die Mitte Dezember 2018 für die Rechte von Migranten und gegen die restriktive Einwanderungspolitik der italienischen Regierung demonstrierten. Im vorerst letzten Video, das zur Eröffnung erschien, steht er vor einem Rettungsschiff, das seit August 2017 im Zollhafen von Trappani liegt und nicht in See stechen darf. Der Schweizer Künstler Christoph Büchel fand in Venedig ein eindrücklicheres Bild: Er stellt das Schiffswrack aus, mit dem am 18. April 2015 vor der Küste Libyens 800 Menschen untergingen. Egal, wie man diese Geste künstlerisch bewerten mag – im Trubel der Previewtage ging einem dieses starke Bild nahe.
Die graue Betonstaumauer im Deutschen Pavillon bleibt als gar zu offensichtliches Sinnbild für Abschottung dagegen abstrakt und kalt. Vor vier Jahren zeigte Tobias Zielony hier 22 Fotografien von Menschen, die nach Deutschland geflüchtet waren und protestierten, gegen die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit, gegen Studien- oder Arbeitsverbote. Er hatte die Fotos an Autoren und Journalisten weitergeleitet, die sie in afrikanischen Zeitungen publizierten. Es waren individuelle Geschichten, die er zugänglich machte.
Bei Natascha Süder Happelmann findet sich kein Buchstabe der Erläuterung an der Wand, geschweige denn ein Werktitel, Sponsoren oder Beteiligte. Wer den Prozess seit Oktober nicht begleitet, die drei vorab veröffentlichten Videos nicht gesehen hat, der bleibt allein mit den Steinen, der tropfenden Staumauer und der Soundinstallation, die Psychoakustik, traditionelle Musik, arabische Melodien und Cosmic Jazz zu tanzbaren Beats vereint. Auch die inhaltliche Wucht dieses Tribute to Whistle begreift nur, wer um die Funktion der Trillerpfeifen weiß: Mit ihnen warnen sich Geflüchtete in Unterkünften gegenseitig vor der Polizei, die kommt, um abzuschieben. Als Gimmick gab es eine zur Pressemappe.
Erst wenn man das eindrückliche Gespräch zur „Kultur der Abschiebung“ im Katalog liest, entstehen innere Bilder. Es thematisiert, wie damals Zielony, die Selbstorganisation von Geflüchteten sowie fragwürdige Zustände in Ankerzentren. Der Pavillon bildet diese leider ebenso wenig ab wie die nun über das „Ankersentrum“ berichtenden Medien. Und auch von dem klugen Spiel mit der Presse bekommen die Besucher nichts zu sehen.
Sprecherin Helene Duldung blieb bei der Eröffnung vor Medienvertretern und geladenen Gästen in ihrer Rolle: Während der Rede zitiert sie aus dem Statement des Komitees sudanesischer Geflüchteter in Ickerweg bei Osnabrück. Diese hatten sich 2017 zusammengetan, um aktiv auf Missstände in ihren Unterkünften aufmerksam zu machen. Über die Rückfragen von Tagesschau und Co. ging Duldung freundlich-souverän hinweg, antwortete konsequent nur, was ausformuliert auf vorbereiteten Karteikarten stand. Nach dem Motto: Das ist eine interessante Frage, ich beantworte Ihnen mal eine andere. Eine lustvolle Verschiebung in Zeiten von Fake News und eine Reproduktion des Politikeralltags – Außenminister Heiko Maas sprach zur Eröffnung zwar selbst, die Rede wurde wohl aber auch ihm vorgeschrieben. Gerne würde man Helene Duldung in Begleitung des Steins in einer Talkshow sitzen sehen. Auf das rote NDR-Sofa bei Barbara Schöneberger würden sie nebeneinander passen.
Provozieren lernen
Um mit den Mitteln der Kunst mediale Aufmerksamkeit für die gegenwärtige Situation Geflüchteter in den Ankerzentren zu generieren, hätte es einer bildlich klaren Provokation à la Zentrum für politische Schönheit bedurft. Die Künstlergruppe hätte vermutlich eines der real existierenden Ankerzentren in Bayern temporär zum Deutschen Pavillon umgewidmet und das 1909 als Bayerischen Pavillon und 1938 von den Nazis als Manifest nationalsozialistischer Baukunst umgebaute Gebäude konsequent nicht bespielt. Dann hätte Außenminister Maas entscheiden müssen, wo er eröffnet. Der Pavillon von Venezuela übrigens blieb während der Previewtage unkommentiert verschlossen – er gehört zu den besten im Giardini.
Info
58. Biennale in Venedig bis 24. November
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.