Jubiläum Vor 25 Jahren wurde in Leipzig die Galerie für Zeitgenössische Kunst eröffnet. Die Gründung geht zurück auf Kunstwissenschaftler Klaus Werner: Er kämpfte schon in der DDR um das Ansehen zeitgenössischer Kunst und prägt das Haus bis heute
Sarah Szes „Still Live with Flowers“ (o.) ist seit 1999 im Treppenhaus installiert
Foto: Alexandra Ivanciu
Klaus Werner muss ein beeindruckender Mensch gewesen sein. Seit ich vor 15 Jahren begann, über Kunst und insbesondere die Kunstszene im Osten zu schreiben, ist er mir in Interviews und Texten immer wieder begegnet. Als Vorbild. Als Visionär. Seine Beharrlichkeit und sein Idealismus haben ermöglicht, dass vor 25 Jahren, am 16. Mai 1998, im Leipziger Zentrum die Galerie für Zeitgenössische Kunst eröffnete. Ein Haus für Gegenwartskunst in Ostdeutschland. Die Vision eines Ostdeutschen, die dank westdeutscher Unterstützung Realität werden konnte. Heute ist die GfZK ein Museum mit eigener Sammlung, zwei Ausstellungshäusern, einem kuratierten Café und zwei von Künstler:innen gestalteten Hotelzimmern.
Die Idee eines „Stiftermuseums f
rmuseums für internationale und aktuelle Kunst“ hatte Klaus Werner schon in der DDR. Damals eine Utopie. Als einzigen Museumsneubau für zeitgenössische Kunst leistete sich die DDR die Kunsthalle Rostock für die Biennale der Ostseeländer. Werner, 1940 im Erzgebirge geboren, lebte Für die Kunst (so der Titel einer 2009 veröffentlichen Publikation über ihn). Seine Biografie steht für mich eindrücklich für die Komplexität des Lebens in der DDR: Als Kunstwissenschaftler zeigte er in der Galerie Arkade in Berlin avantgardistische, abstrakte bis hin zu minimalistischen Positionen. Sein staatsfernes Programm führte 1981 zur Schließung. Er vermittelte Kontakte zwischen Besucher:innen aus dem Westen und ostdeutschen Kunstschaffenden, war beliebter Eröffnungsredner bei den Ausstellungen des jungen Gerd Harry Lybke, dessen Galerie Eigen + Art gerade 40. Jubiläum feierte. 1987 durfte Werner die DDR erstmals verlassen und fuhr zur documenta.Im Sommer 1989 reiste das Gremium Bildende Kunst des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) nach Schneeberg, Leipzig, Dresden und Altenburg. Man besuchte Ateliers, traf Künstler:innen und hörte zum ersten Mal von Werners Museumsidee. Es folgte eine rasante Entwicklung im Spiegel der Zeitgeschichte: Nach einem Aufruf am 10. November 1989 spendeten 30 Künstler:innen Werke für das geplante Museum. Im März 1990 bildete sich im Umkreis des Industriellen Arend Oetker die Initiative Galerie für Gegenwartskunst Leipzig. Im September erhielt sie von der sächsischen Landesregierung eine Million DM für den Aufbau der GfZK. Am 10. November 1990 wurde unter dem Vorsitz von Oetker ein Förderkreis gegründet, um das „Stiftermuseum“ zu realisieren.Den Grundstock der Sammlung bildeten Werke von Michael Morgner, Marcel Odenbach und Rosemarie Trockel sowie solche aus dem Bestand des Zentrums für Kulturausstellungen der DDR, etwa von Hubertus Giebe, Hartwig Ebersbach und Werner Stötzer. Von einem Büro in der Leipziger Innenstadt aus organisierte Klaus Werner zunächst Ausstellungen in leer stehenden Altbauten oder auf dem Gelände der Alten Messe. Er trug in den Osten, was anderswo selbstverständlich war. Maria Eichhorn, Douglas Gordon und Lawrence Weiner entwickelten 1995 ortspezifische Arbeiten für den Leipziger Hauptbahnhof. 1996 projizierte Jenny Holzer Schrift auf das Völkerschlachtdenkmal und thematisierte Gewalt an Frauen im zerfallenen Jugoslawien der 1990er Jahre: WITH YOU INSIDE ME COMES THE KNOWLEDGE OF MY DEATH.Kein Haus für Kunst der DDRDer Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI blieb dem Projekt verbunden: In einer einmaligen Aktion entschloss er sich, über 75 Kunstwerke aus eigenem Besitz zu veräußern. Der Erlös floss in die Sanierung einer Villa in der Innenstadt, die nach dem Umbau durch Peter Kulka 1998 als Galerie für Zeitgenössische Kunst eröffnete. Werners Utopie war Realität geworden. Unter seiner Leitung entstand ein Ort, an dem künstlerische Arbeiten aus Ost- und Westdeutschland gemeinsam präsentiert und in verschiedene, internationale Zusammenhänge gestellt wurden.Die Auseinandersetzung mit Kunst aus der DDR war nicht sein primäres Ziel: „Die GfZK ist keine Bastion und kein Vermarktungselement für Künstler der Region“, schreibt Kuratorin Heidi Stecker, die selbst lange am Haus gearbeitet hat. „Sie ist auch kein Haus für Kunst aus der DDR, kein Forum zur Rehabilitierung von Künstlern aus der DDR.“ Zeitgenössische Kunst der Gegenwart trat bei Werner neben kunsthistorisch wichtige ostdeutsche Positionen. Seine eigenen Erfahrungen schlossen Vollständigkeit aus. Willi Sitte, Bernhard Heisig und Wolfgang Mattheuer sucht man vergeblich. Jüngere und ältere Positionen sowie verschiedene Kunstbegriffe trafen aufeinander. Er zeigte Neo Rauch und Olaf Nicolai, der später betonte, dass Werner die DDR nie als „Sonderfall“, sondern immer im internationalen Kontext begriffen hat.Im Jahr 2000 wurde Klaus Werner Rektor der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Am 8. Januar 2010 verstarb er nach langer Krankheit, die ihn schon in den Jahren zuvor aus der Mitte der Kunst geholt hatte. 2008 hatte ihn die GfZK noch mit einer Ausstellung geehrt. Seine Nachfolgerin Barbara Steiner realisierte mit der Architektengruppe AS-IF einen zweiten Bau für die Kunst. Für mich ist er bis heute der Inbegriff einer zeitgenössischen Museumsarchitektur: kein White Cube, sondern eine Spielfläche inklusive Kino und Schaufenstern, die den Blick nach außen und innen ermöglichen. Neun Wände lassen sich flexibel verschieben, der Grundriss kann ausstellungsspezifisch jeweils neu konfiguriert werden. Die Veränderungen des politischen, gesellschaftlichen und urbanen Umfelds – auch im postsowjetischen Raum – haben das Programm unter Steiner bestimmt: Shrinking Cites widmete sich dem Phänomen der schrumpfenden Städte. Für Carte Blanche stellte sie den Neubau zwei Jahre lang privaten Sammlern, Unternehmern und kommerziellen Galerien zur Verfügung. Die GfZK ist ein Labor, ein Ort, der solche Experimente ermöglicht.Placeholder image-1Die Kunstvermittlung wurde eine eigene Abteilung. Bis heute richtet sich die Galerie mit ihrem Programm explizit an Kinder und Familien. Seit fünf Jahren entsteht Flippo, eine Kinderzeitung von Leipziger Grundschüler:innen. Vermittlung war auch Klaus Werner wichtig: Er etablierte das Konzept eines Besucherdienstes – kein Wachpersonal, sondern überwiegend kunstfachverwandte Studierende, die die Werke nicht nur beschützen, sondern eben auch vermitteln können. Einige haben die GfZK im Alter von drei Jahren zum ersten Mal besucht und arbeiten heute im Team.Ich blättere in meinen Ausstellungsbesprechungen der letzten Jahre, viele davon sind im Freitag erschienen: Für seine erste umfassende Einzelausstellung sprach Mario Pfeifer ausführlich mit engagierten Bürger:innen in Sachsen. Ein Appell, Komplexität auszuhalten und zuzuhören. Das Recherche- und Kunstprojekt Chinafrika. under construction fragte nach den kulturellen Beziehungen zwischen China und Afrika.Urbane und soziale Transformationsprozesse sowie die politische Handlungsmacht in der zeitgenössischen Kunst sind zentrale Themen von Franciska Zólyom, die die GfZK seit elf Jahren leitet. So manchem ist das, was sich davon in den Ausstellungen niederschlägt, zu diskursiv. Auch ich war in den vergangenen Jahren oft dankbar für die Erläuterungen beim Presserundgang. Zuletzt endete ein solcher bei mir mit Tränen: In der Gruppenausstellung Offener Prozess – NSU-Aufarbeitung in Sachsen erläuterte Ülkü Süngün die korrekte Aussprache der Namen jener Menschen, die zwischen 2000 und 2007 ermordet wurden. Die Namen im Chor nachzusprechen – eine Form der Erinnerung, die tief berührte.„Die GfZK hat sich nachhaltig ins Bewusstsein eingeschrieben, als ein Ort, an dem ein gesellschaftskritischer Kunstbegriff gelebt wird“, sagt Direktorin Zólyom. Dazu beigetragen hat, dass sie vor vier Jahren den Deutschen Pavillon in Venedig kuratierte. Dass die Personalie damals überraschte, erzählt viel. Vor allem über die Wahrnehmung und Ignoranz des zeitgenössischen Kunstgeschehens im Osten. Die Künstlerin Natascha Süder Happelmann realisierte im Pavillon eine meterhohe Staumauer, eine Metapher für die Festung Europa. Die Präsenz in Venedig habe die Sichtbarkeit der GfZK enorm beeinflusst: „Mich persönlich hat es darin bestärkt, Zusammenarbeit – auch im Unterschied zu einer individuellen kuratorischen Handschrift – ins Zentrum zu rücken.“Jetzt, zum Jubiläum, unternimmt die GfZK den Versuch, eine klimaneutrale Sammlungsausstellung zu realisieren. Schon Klaus Werner sah das Ende des Braunkohle-Abbaus als wichtigen Transformationsmoment und warf die Frage auf, wie die GfZK diesen Prozess begleiten kann. Die Werke der Ausstellung Things That Were Are Things Again verhandeln Aspekte des Klimawandels. Die Auswahl erlaubt es, die Klimaanlage abzuschalten. Solarzellen auf dem Dach erzeugen den Strom für Videoarbeiten. Schilder erläutern, was die Institution tut, um Energie zu sparen. Die GfZK ist im Verbund Artists for Future und arbeitet seit Jahren immer wieder mit Fridays for Future zusammen. Nächstes Ziel ist es, auf dem Gelände ein Kunstdepot im Energiestandard Plus zu errichten.Unter Franciska Zólyom ist die GfZK vor allem zu einem sozialen Ort geworden: Seit März 2022 fungiert der Workshopraum mit Terrasse und Zugang zum Garten als Treffpunkt für und mit geflüchteten Menschen. Viele Initiativen aus Leipzig nutzen die Räume für Arbeitstreffen, zuletzt etwa für die Ausstellung Colonial Memory: ReTelling DOAA zur „Deutsch-Ostafrikanischen Ausstellung“ (DOAA) im Jahr 1897. Im Auditorium der Galerie haben wir nach der letzten Landtagswahl in Sachsen zusammengesessen, überlegt, was wir als Kunstszene tun können angesichts der erschreckend hohen Zahlen für die AfD. Aus den regelmäßigen Treffen ist ein Netzwerk erwachsen. Schon für mehrere Aktionstage konnten wir das Gelände der GfZK nutzen und sächsische Initiativen miteinander in Verbindung bringen.Die Veranstaltungen in der GfZK sind Fixpunkte der Leipziger Szene. Im März stellten hier die französischen Historikerinnen Agnès Arp und Élisa Goudin-Steinmann ihr Buch Die DDR nach der DDR vor, in dem sie fragen, wie die DDR als Gesellschaft im Leben der Ostdeutschen bis heute nachwirkt. Die GfZK ist ohne das Ende der DDR nicht denkbar. Sie ist ein Stück deutsch-deutscher Geschichte nach 1989. Ein Symbol der Wiedervereinigung, das im Heute verankert ist. Ein Begegnungsort, der ausstrahlt. Ein solcher soll nun auch unweit in Halle entstehen. Das Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation soll Raum bieten für Kultur, Dialog und lebendige Diskussionen. Die GfZK ist architektonisch wie programmatisch ein ideales Vorbild.Placeholder infobox-1