Made in Venice

Kunstbiennale Im Mai berichteten wir über Olaf Nicolais Bumerangwerkstatt. Was wurde aus den Wurfgeschossen?
Ausgabe 48/2015

Kassel? Berlin? Istanbul? Venedig! Seit Mai hatten sich die Kunstweltbewohner gefreut, wegen der 56. Biennale mal wieder in die italienische Stadt reisen zu können; es gibt wohl keinen entspannenderen Ausstellungsort im Kanon der Kunstgroßevents. Und auch im Reproduktionszeitalter gilt noch immer: Um über ein Kunstwerk sprechen zu können, muss man es live gesehen haben.

Ein Bedürfnis, das Olaf Nicolai, einer der fünf Künstler im Deutschen Pavillon, nur bedingt befriedigte. Denn mit seinem Beitrag Giro hatte er sich aufs Dach des Pavillons zurückgezogen. Bis die Drehkreuze der Biennale am vergangenen Sonntag erstarrten, wurden da oben Bumerangs gebaut und ausprobiert, Betreten für Besucher verboten! Ein Beitrag, der Fragen stellte: nach dem Wert menschlicher Arbeit, nach Mechanismen der Bildproduktion und nach etablierten Rezeptionsmustern.

Sieben Monate Bumerangproduktion in Venedig, wie lief das? Anruf bei Nicolai, kurz vor dessen Abflug zur Finissage. Er sei vor allem froh, dass kein Unfall passiert ist. „Es waren stets zwei, meist drei Leute auf dem Dach, egal bei welchem Wetter und auch jetzt in der Dunkelheit.“

Nichts bei Ebay

Ein paar Beschwerde-E-Mails von Besuchern, die nichts entdecken konnten, hätten ihn durchaus erreicht. Subtile Hinweise, wie eine am Eingang verteilte Windkarte oder zwei Fenster im Dach des Pavillons, waren doch leicht zu übersehen. Viele hätten sich aber auch bewusst Zeit genommen und das Gebäude quasi „weggeguckt“. Mit etwas Glück erspähte man einen der Werfer oder fand ein heruntergefallenes Wurfholz am Boden. Beabsichtigt geringer war die Chance, einen der Bumerangs kaufen zu können: Fünf Straßenhändler wurden fernab des Biennalegeländes mit den aus finnischer Birke gefertigten Objekten beliefert, die sie dann als Souvenirs anpriesen – eine Schattenökonomie. Jede Woche stand Nicolai im Kontakt mit dem Koordinator und den Ausführenden auf dem Dach, sieben Mal reiste er nach Venedig: „Zum Vergnügen fährst du am Ende nicht mehr hin: Da geht es früh los und abends zurück, um vor Ort die Situation zu besprechen.“

Was bleibt von diesem ephemeren, zeit- und ortsspezifischen Kunstwerk, das sich jeglichem Postkartenmotiv versperrt und nur durch die Ausführenden existiert? 270 Bumerangs sind entstanden, 240 zirkulierten über Venedigs Straßen. Die restlichen gehen als Geschenk an die Beteiligten. Trotz der medialen Präsenz der Arbeit ist bei Ebay noch kein Bumerang als Original-Nicolai-Werk zu ersteigern. Nur ein Deutscher hat wohl versucht, eine größere Menge bei einem der Händler zu ordern, der wurde dann nicht mehr beliefert. Sollten Sie in Venedig ein Wurfholz mit dem Stempel „Made in Venice“ und einer eingeprägten Nummer erworben haben, versuchen Sie Ihr Glück auf dem (Kunst-) Markt, und lassen Sie uns an diesem Experiment teilhaben.

Es seien jedoch weder die Bumerangs noch fotografische Schnappschüsse, sondern wenn, dann Erinnerungen und Erzählungen, in denen sein Beitrag weiterlebe, meint Nicolai – das tut er demzufolge auch mit diesem Text. Ein bisschen dokumentiert wird noch: Im März 2016 erscheint ein Tagebuch des Windes mit Daten vom Dach und sieben Windkarten. „Ich würde mich auch nicht dagegen wehren, noch einmal Bumerangwerfer auf ein Dach zu stellen.“ Muss sich nur noch eine Institution finden, die weder den personellen Aufwand noch das Sicherheitsrisiko scheut.

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