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Interview Maxie Götze ist „Bauhaus Agentin“. Als solche sorgt sie dafür, dass Ideen von Kindern im neuen Weimarer Museum umgesetzt werden
Ausgabe 10/2019

Das Bauhaus kommt aus Weimar. Doch die über 13.000 Objekte der weltweit ältesten Bauhaus-Sammlung der Klassik Stiftung Weimar fanden bisher auf nur 200 Quadratmetern Ausstellungsfläche kaum Platz. Anfang April wird anlässlich des Jubiläumsjahrs das neue Bauhaus-Museum eröffnet. Im Zentrum stehen Werkstattarbeiten, die Walter Gropius schon in den 1920er Jahren sammelte und die an die Weimarer Phase des Bauhauses erinnern.

Die Ausstellung wird auch aus heutiger Perspektive fragen: Wie wollen wir zusammenleben? Bereits seit 2016 arbeiten sogenannte Bauhaus Agenten in Weimar, Dessau und Berlin mit knapp 40 Partnerschulen zusammen, um neue Vermittlungsformate, Gestaltungsideen und Bildungsinhalte zu entwickeln und zu testen: Wie können sich die Häuser für neue Zielgruppen öffnen? Wie und mit welchen Mitteln kann Bauhaus-Geschichte spannend erzählt werden? Und wie sollten Ausstellungen und Rahmenprogramme gestaltet sein, damit das Bauhaus heute noch inspiriert?

der Freitag: Frau Götze, Sie sind Bauhaus Agentin in Weimar. Das ist wohl die schönste Jobbezeichnung, die es in diesem Jahr im Kulturbereich gibt. In wessen geheimer Mission sind Sie unterwegs?

Maxie Götze: Wir verstehen uns als Agenten im englischen Wortsinn: Wir sprechen für jemanden, sind Sprachrohr der Besucher. Wir integrieren gemeinsam mit ihnen ihre Wünsche und Bedürfnisse, sowohl in das künftige Bauhaus-Museum als auch in die neue Ausstellung im Neuen Museum, das Werke des Realismus, Impressionismus und des Jugendstils zeigt. Wir schaffen Dialoge zwischen jungem Publikum, Museumsmitarbeitern und professionellen Gestaltern und stellen Fragen zur Bauhaus-Vermittlung sowie generell zur zukünftigen Besucherorientierung. Insofern arbeiten wir nicht „geheim“, sondern sehr offensiv.

Sie kooperieren seit August 2016 mit neun Schulen aus Weimar und dem Weimarer Umland. Was vermitteln Sie über das Bauhaus?

Die Frage ist grundsätzlich: Wollen wir die komplette Bauhaus-Historie mitgeben oder vermitteln, dass Gestalten Spaß macht und Dinge beeinflussen kann? Wir steigen in unseren Projekten oft über die Praxis ein und verdeutlichen im zweiten Schritt, dass diese Dinge am historischen Bauhaus ähnlich gemacht wurden. Wir arbeiten mit Produktdesignern, Grafikdesignern, Gestaltern, Architekten oder auch Performancekünstlern zusammen. Von unserer Partnerschule aus Apolda waren zum Beispiel über 60 Schüler der 9. Klasse für einen Exkursionstag in Weimar und haben das ehemalige Bauhaus-Museum am Theaterplatz besucht, das damals noch offen war. Sie haben mit experimentellen Formen und mit Licht gearbeitet sowie mit dem Fragebogen von Wassily Kandinsky, der letztlich fragt: Wie lassen sich Stimmungen und Emotionen über Formen und Farben ausdrücken? Im Kunstunterricht wurde daraufhin über mehrere Wochen ein überdimensionales Würfelspiel entwickelt, begleitet von einem unserer Referenten, einem Grafikdesigner. Das Ergebnis wurde beim Thüringen-Tag in Apolda präsentiert. Viele Schüler waren mit Begeisterung dabei und haben das Würfelspiel an dem Tag selbst betreut.

Inwieweit werden auch andere Unterrichtsfächer eingebunden?

Wir arbeiten neben der Kunst beispielsweise auch mit den Fächern Musik, Informatik und Sport zusammen. Einige Schulen haben während der Projektwochen Grundgedanken des Bauhauses in ihre Strukturen übertragen, etwa den Tag mit gemeinsamem Frühsport begonnen und die Woche mit einem großen gemeinsamen Fest abgeschlossen. Das Bauhaus ist eine Gemeinschaft gewesen, man hat geteilt, zusammengearbeitet und gefeiert.

Was hat Sie in der Zusammenarbeit mit den Schülern am meisten überrascht?

Die Schüler waren sehr offen, hatten große Lust, mitzugestalten, sich zu beteiligen und vor allem: etwas selbst und eigenverantwortlich zu tun. Für die Lehrer und auch für uns schien zunächst klar, dass Kinder und Jugendliche, wenn sie sich von einem künftigen Museum etwas wünschen könnten, auf jeden Fall digital und mit Technik arbeiten wollen. Zu Beginn des Programms haben wir Vertreter aller unserer Kooperationsschulen eingeladen, Schülervertreter, Lehrervertreter und die Direktoren, um uns auszutauschen und gegenseitige Erwartungen zu klären. Die Idee, sowohl im zukünftigen Bauhaus-Museum als auch im Neuen Museum Werkstätten einzurichten, stieß auf großes Interesse. Die Schüler haben deutlich den Wunsch formuliert, selbst aktiv zu werden – vor allem analog und handwerklich. Viele unserer Workshop-Formate verbinden nun das Digitale mit dem Analogen: Selbstgezeichnetes und -gebautes mit Techniken des 3-D-Drucks, Lichtprojektionen oder digitaler Gesichtserkennung.

Was war bisher die größte Herausforderung?

Manchmal sind vor allem Lehrer oder überhaupt die Erwachsenen enttäuscht, weil am Ende der Workshops etwas herauskommt, das gar nicht nach Bauhaus aussieht. Unser Ziel ist immer, zu schauen, wie aktuell das Bauhaus ist, indem wir die Herangehensweise des historischen Bauhauses aufgreifen, aber mit heutigen Techniken und Materialien mitunter zu ganz anderen Ergebnissen kommen.

Sind denn konkrete Ideen der Schüler in die neuen Ausstellungen eingeflossen?

Im Neuen Museum in Weimar, das sich mit der Ausstellung Van de Velde, Nietzsche und die Moderne um 1900 der Zeit vor dem Bauhaus widmet, haben wir Objekte und Bilder betrachtet und gefragt: Was seht ihr? Wie würdet ihr das eurem Kumpel erklären? Könnte man dafür eine App nutzen oder ein Spiel entwickeln? Will ich das Gemälde anfassen oder es vor Ort abzeichnen können? In einem zweiten Workshop haben die Schüler ihre Ideen den Kuratoren und Ausstellungsgestaltern vorgestellt. Diese haben dann geschaut, was sie umsetzen können. Viele werden jetzt ihre Ideen wiederentdecken.

Zum Beispiel?

In der Moderne um 1900 wurden die Möbel von Schnörkeln und Verzierungen befreit. Die Workshopteilnehmer haben eine Spielidee entwickelt, die jetzt im Museum umgesetzt wird: Interaktiv kann man von Möbeln mit einer Handbewegung überflüssige Elemente entfernen. Die Besucher werden quasi zu Kämpfern für den damals neuen Stil.

Zur Person

Maxie Götze studierte in Weimar Design mit den Schwerpunkten Visuelle Kommunikation und Ausstellungskonzeption. Sie forschte zu Möglichkeiten der Radiokunst im Museum und war anschließend am ZKM tätig. Seit 2016 ist sie eine von drei „Bauhaus Agenten“ in Weimar

Das Museum eröffnet in einem Monat. Schlafen Sie noch?

Gerade ist alles ziemlich sportlich. Wir richten die Werkstätten ein, vieles wird finalisiert und befindet sich in der Produktion, etwa die Spiele für den öffentlichen Bereich des Bauhaus-Museums.

Die Preview ist am 5. April. Wann werden die Schüler die Museen zum ersten Mal sehen?

Die Schüler dürfen an dem Tag vormittags als Erste rein – also noch vor den eigentlichen VIPs. Wir werden mit ihnen durch die Ausstellungen gehen, schauen, was aus Ideen geworden ist, und natürlich anstoßen.

Das Projekt endet erst 2020. Was machen Sie bis dahin noch?

Wir werden das Museum am 5. April nicht mit einem komplett fertigen Angebot eröffnen. Das entspricht weder unserer Arbeitsweise noch dem Programm. Wir starten jetzt mit einer gewissen Auswahl an Workshops, Projekttagen und Führungen, die so entwickelt sind, dass sie immer in Verbindung mit der Ausstellung funktionieren. Das können wir erst richtig ausprobieren, wenn wir vor Ort sind. Wir wollen schauen, was funktioniert, es weiterentwickeln und, wenn nötig, korrigieren. Zudem wird es eine Art „Bauhaus-Box“ geben, eine mobile Anwendung, die wir gemeinsam mit Berlin und Dessau entwickeln. Von allen drei Bauhaus-Standorten sollen hier Dinge einfließen, auf die Vermittler, Lehrer und Schüler zugreifen können.

In der deutschen Museumslandschaft sind die Bauhaus Agenten einzigartig. Inwieweit können Sie Ihre Erfahrungen der Verschränkung von Vermittlung mit allen Bereichen des Museum weitergeben und anderen Institutionen zur Verfügung stellen?

2020 möchten wir auf jeden Fall nutzen, um das Projekt aufzuarbeiten, zu dokumentieren und zu evaluieren. Wir haben bisher eine Publikation herausgebracht, es gibt die Homepage und einmal im Jahr eine Konferenz. Im Juni 2019 wird sie in Weimar stattfinden, mit der Frage, ob ein Museum ein Ort des Alltags sein kann.

In dem Sinne, dass ich mich im Museumcafé verabrede, im Shop meine Weihnachtsgeschenke kaufe und am Samstag mit meinem Kind in der Werkstatt ein Regal baue?

Das wäre auf jeden Fall unser Wunsch. Das Neue Museum widmet die komplette untere Etage einem Werkstattbereich. Das zukünftige Bauhaus-Museum wird fünf Etagen haben, wobei die unteren zwei frei zugänglich sind. Das Café im Museum öffnet sich in den Park und wir hoffen, dass dieses Angebot auch von den Anwohnern wahrgenommen wird. Derzeit gibt es Quartiersgespräche in der Galerie Eigenheim, in einem kleinen Gartenhaus neben dem Museum. Da stellen auch wir unsere Arbeit vor, um die Nachbarschaft zu informieren.

In Weimar war der Standort des neuen Bauhaus-Museums sehr umstritten.

Ja, wobei wir den Standort als sehr gelungen empfinden. Der Platz vor dem Museum wird einer der größten öffentlichen Plätze in Weimar sein. Es wird nun eine Herausforderung, diesen zu beleben und bunt zu gestalten. Weimar ist sehr klein und hat bisher ein eher gebündeltes Zentrum, das nun erweitert wird. Ab dem kommenden Jahr wird die Gedenkstätte Buchenwald in direkter Nachbarschaft eine Ausstellung zum Thema Zwangsarbeit realisieren. Auch mit ihnen sind wir im Gespräch darüber, wie wir im Bereich der Vermittlung kooperieren können.

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