„Ich habe mal nachgezählt, wie viele DDR-Künstlerinnen so gezeigt werden“
Interview Andrea Pichl zeigt in ihrer Ausstellung „Worin unsere Stärke besteht“ drei Generationen Künstlerinnen aus der DDR. Ist dieses Label nicht von gestern?
Werke von Künstlerinnen aus der DDR sind in zeitgenössischen Ausstellungen, aber auch in Ausstellungen zu Kunst aus der DDR unterrepräsentiert. Die Künstlerin Andrea Pichl ist überzeugt, dass es eine Rolle spielt, woher man kommt. Unter dem Titel Worin unsere Stärke besteht zeigt sie 50 Künstlerinnen mit Ost-Biografie. Ein Gespräch über den Doppelausschluss aus dem Kunstsystem, Mielkes Day-Bett und ein neues Selbstverständnis im Umgang mit der eigenen Biografie.
der Freitag: Frau Pichl, Sie sind Künstlerin und eigentlich keine Kuratorin. Was hat Sie dazu veranlasst, diese Ausstellung zusammenzustellen?
Andrea Pichl: Es gab in den letzten Jahren einige große Ausstellungen zu Kunst aus der DDR. Bei Point of No Return 2019 im Museum de
einige große Ausstellungen zu Kunst aus der DDR. Bei Point of No Return 2019 im Museum der bildenden Künste in Leipzig habe ich angefangen, zu zählen, wie viele Künstlerinnen vertreten sind. Ich musste feststellen, dass es nur 14 Prozent sind. 2016 bei Gegenstimmen im Gropius-Bau waren es 19 Prozent, im Kunstpalast Düsseldorf 2019/2020 immerhin drei von 13 Ausgestellten – eine Quote von 23 Prozent. Als ich in Leipzig war, habe ich mir gedacht: „Das mach ich jetzt einfach selber!“Worauf führen Sie diese geringen Quoten zurück? Gab es in der DDR sehr viel weniger Künstlerinnen oder liegt es an kuratorischen Entscheidungen?Heute gibt es ein paar wenige Personen, die auf ost-kuratorischer Ebene gewissermaßen die Deutungshoheit haben und immer wieder herangezogen werden. In der Leipziger Ausstellung hat die Malerin Doris Ziegler zwar einen eigenen großen Raum bekommen, aber die Fotografin Helga Paris war gar nicht dabei! Das ist ein Unding. Es gab in der DDR nicht weniger Künstlerinnen als Künstler! Das ist totaler Quatsch! Aber die Kunstszene und auch die Punkszene der DDR waren männlich bestimmt. Nach 1990 kämpften Frauen dann mit einem doppelten Ausschluss.Inwiefern?Für Künstlerinnen ist es im Kunstbetrieb generell schon schwieriger als für Künstler. Woher man kommt, schafft zudem strukturelle Zugänge. DDR-Künstlerinnen werden seltener gezeigt und tauchen in Führungspositionen nicht auf. Es gibt derzeit an 23 Kunstakademien nur zehn Professorinnen für Bildende Kunst aus der DDR. Da finden immer noch Entwertungen statt. Ein Professor aus Offenbach hat Suse Weber mal während eines Bewerbungsverfahrens ins Ohr geraunt, dass man sie „als Ossi doch gut hingekriegt“ hätte.Männlichen Künstlern aus der DDR ist es zum Teil besser gelungen, im Kunstsystem Fuß zu fassen. Woran liegt das?Die Kunstwissenschaftlerin Hiltrud Ebert schrieb 2003 einen Aufsatz mit dem Titel: Wo sind die bildenden Künstlerinnen? Ein Erklärungsversuch über das Verschwinden einer ostdeutschen Künstlerinnengeneration. Sie beschreibt, dass ostdeutsche Künstlerinnen sich nur schwer in die Westfrauen-Sozialisierung einfügen konnten. Sich professionell zu organisieren, hat man in der DDR nicht gelernt. Sich um die eigene Karriere zu kümmern, war vielen fremd. Das fiel Männern offenbar leichter. Ich habe für die Ausstellungen einige Künstlerinnen eingeladen, die in Dresden studiert haben, viele von ihnen bei Ralf Kerbach. Ihre männlichen Kollegen sind zum Teil zu internationalem Ruhm gelangt, aber keine der Frauen.Placeholder infobox-2Was machen Männer anders?Männer agieren in ihren Seilschaften und fördern sich gegenseitig. Das machen Frauen selten. Frauen sind nicht selbstverständlich solidarisch untereinander. Sie nehmen sich stärker als Konkurrentinnen wahr, während Männer nicht offen konkurrierend miteinander agieren.Sie haben 1991 begonnen, Bildhauerei an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee zu studieren. Waren auch Sie noch mit diesem Doppelausschluss konfrontiert?Nein. Ich habe genug zu tun, auch international. Ich habe die Ausstellung nicht aus persönlicher Betroffenheit gemacht. Für mich ist sie eher eine solidarische Geste. Ich war 25, als die Mauer fiel, und kenne die meisten Künstlerinnen durch meine Ost-Berliner Sozialisation persönlich. Mit einigen habe ich auch studiert.Nach welchen Kriterien haben Sie die Künstlerinnen ausgewählt?Klar war, dass ich drei Generationen von Künstlerinnen und alle Medien zeigen möchte. Jetzt sind es 50 geworden. Ich hätte auch 200 auswählen können, aber es sollte kein Ramschladen werden.Die Klammer ist eine soziologische. Was bedeutet das für die Auswahl der Kunstwerke?Mir war wichtig, dass deutlich wird, dass es keine gemeinsamen Ästhetiken gibt. In jedem Raum treten drei Generationen in den Dialog. Manche sind thematisch angelegt, manche eher visueller Art. Es gab auch emotionale Entscheidungen. Von Helga Paris habe ich Porträts von sechs Jugendlichen von 1981 und 1982 ausgesucht. Die, die da drauf sind, kenne ich alle. Bei Paris hängt eine Fotografie von Ricarda Roggen, ein blaues Unfallauto mit schwarzem Hintergrund. Und daneben typografische Arbeiten von Ruth Wolf-Rehfeldt, damit es eine gewisse Strenge behält.Sie selbst sind mit fünf Zeichnungen aus der Serie „Stasizentrale“ vertreten, die sich thematisch direkt auf die DDR beziehen.Ich war 2018 zum ersten Mal in der Stasizentrale und habe dort fotografiert. Mit dem ersten Lockdown habe ich begonnen, meine Fotos abzuzeichnen. Es sind angeschnittene Detailaufnahmen des Interieurs von Erich Mielke, von seinem Day-Bett, Sesseln oder dem Teppich. Die Ästhetik der Macht unterscheidet sich kaum von der des Privaten. Ich habe erst 2018 verstanden, wie umfassend und flächendeckend die Überwachung lief. Ich habe das viele Jahre verdrängt. Ich habe aufgrund der Stasi in der DDR nicht studieren dürfen. Der Stasi-Chef in Weißensee war der Bildhauerei-Chef an der Kunsthochschule. Ich habe mir meine Stasi-Akte nie angesehen, aber er hat das offensichtlich verhindert. Als der weg war, habe ich sofort einen Studienplatz bekommen.Gibt es weitere Werke, die sich explizit mit der DDR befassen?Vereinzelt sind Werke vertreten, die bereits in der DDR entstanden. Es ist in meiner Generation jedoch nur bei wenigen thematisch deutlich, dass sie aus der DDR kommen. Nadja Buttendorf hingegen war erst fünf Jahre alt, als die Mauer fiel, und ist total damit beschäftigt, DDR zu erzählen. Ihre Eltern haben sich bei Robotron, dem größten Computerhersteller der DDR, kennengelernt. Sie hat fünf Staffeln einer Soap Opera mit originalen Schwarz-Weiß-Fotos inszeniert. Sie tritt dort mehrfach als Protagonistin auf und spielt den fiktiven Robotron-Alltag in Kittelschürze oder in aktueller Kleidung nach. Aber die DDR-Biografie wird auch von den Jüngeren nicht immer verwurstet. Franziska Reinbothe ist Jahrgang 1980, begreift sich als aus der DDR kommend, aber in ihren Arbeiten, die sich mit den Rückseiten von Leinwänden und deren Dekonstruktion befassen, ist das nicht sichtbar.Manche haben ihre DDR-Spuren verwischt, weil sie meinen, dass sie geschäftsschädigend sind. Sie trainierten sich den Dialekt ab und geben nicht an, wo sie geboren sind. Henrike Naumann wiederum arbeitet zur Nachwendezeit im Osten und geht offensiv mit ihrer Ost-Biografie um, vermerkt auf ihrer Homepage, dass sie 1984 in „Zwickau (DDR)“ geboren wurde. Beobachten Sie auch bei der älteren Generation, dass die Ost-Biografie inzwischen genutzt wird, um sich im Kunstfeld zu positionieren?Einige wenige benutzen das als Marketingformel. Aber das Gros der Künstlerinnen tut das nicht.Gab es Künstlerinnen, die mit Ihrem Ausstellungs-Label „Künstlerinnen aus der DDR“ Schwierigkeiten hatten?Ich hatte das vermutet, aber mir ist nichts zu Ohren gekommen.Placeholder infobox-1
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