Greinende Götter

Was läuft Über den Lichtbildvortrag von Pastor Strege im evangelischen Kindergarten unserer Autorin und „American Gods“. Spoiler-Anteil: 1 Prozent
Ausgabe 28/2017

Eine Fernsehserie über die Machtkämpfe zwischen den alten Göttern der frühen amerikanischen Einwanderer und den neuen Göttern der Zerstreuung und Digitalisierung wollte American Gods sein. Doch trotz des actiongeladenen und opulenten Auftakts zerfranste das Projekt, ertrank in jeder Folge ein bisschen tiefer in Bilderorgien, die die Dürftigkeit des Erzählstoffs nicht kaschieren konnten. Das religiöse Thema swingt hier nicht. Ein Verständnis für Religiosität und ihre Nähe zur guten, tröstenden Unterhaltung fehlt. Die Götter lamentieren und greinen in einem fort – aber auch in einem Cadillac Fleetwood 60 oder einem Chevrolet Impala – und meist darüber, dass sie bei den Menschen keine wichtige Rolle mehr einnehmen. Doch Menschen sind hier nur Opfer, die um Geld betrogen, bei Inlandflügen in Männer verschlingende Vaginas gesteckt oder in Autounfälle verwickelt werden. Sehr unsportlich, religiös gesehen. Da gibt es keinen Trost, den die Götter anbieten, nur Tod, Blut und Verachtung.

Dagegen klingt die erste Serie, die ein europäischer Gott in meiner Hamburger 1970er-Jahre-Kindheit schuf, noch bis heute nach: der Lichtbildvortrag von Pastor Strege im evangelischen Kindergarten. Die wöchentliche Veranstaltung im Gemeindesaal bei zugezogenen Gardinen, auf Holzstühlen vor einer ausziehbaren Leinwand sitzend, war ganz anders als das, was es in den drei öffentlich-rechtlichen Programmen ARD, ZDF und NDR seriell zu sehen gab. Das Beste war, dass es ein absoluter Zwang war, dorthin zu gehen, alle Kinder wurden in den Gemeindesaal gescheucht, ob wir nun Dirk, Meike, Amir oder Zorana hießen.

Das Problem mit TV-Serien wie Muppet Show, Sesamstraße, dem Feuerroten Spielmobil und Rübezahl war ja, dass diese Serien zwar öffentlich-rechtlich gesendet wurden, aber keinerlei Zwang dahinterstand. Wäre es Zwang gewesen, dass alle Bundesrepublikaner sonntagmorgens die Muppet Show hätten sehen müssen, wären wir als Gesellschaft heute weiter als die „Schweine im Weltall“ jemals flogen. Und die „Ehe für alle“ hätte nicht bis 2017 auf sich warten lassen.

Pastor Streges Lichtbildvortrag konfrontierte uns kleine Geschöpfe mit den Kinderbibel-Illustrationen des niederländischen Malers Kees de Kort. Seine bunten, großflächigen Bibelszenen zeigten Menschen, die sich allesamt ähnelten und deren jeweilige Gefühlslagen schnell zu erfassen waren. Die für Kees de Kort so typischen Figuren trugen bunten Kaftan, Sandalen und oft Bart. Jesus war sofort identifizierbar, von seinem Gesicht ging eine leicht verblödete Freude aus, und die Augen waren immer ein wenig größer als bei anderen. Das Beeindruckendste aber war, dass Pastor Strege mit der Projektor-Fernbedienung den dramatischen Ablauf der Geschichte anhalten konnte, damit wir jede einzelne Handlungsstufe in Ruhe besprachen. Mit einer großen Portion Fassungslosigkeit und einem Nachrichtenreporterton in der Stimme wiederholte er die Geschehnisse, als müsse er sich selbst etwas laut erklären, um es zu begreifen.

„Dirk, wie hieß der Engel?“ – „Erzengel?“ – „Ja, der Erzengel! Aber woher kam der, der Erzengel, Meike?“ – „Aus dem Himmel?“ – „Ja, Meike. Aus dem Himmel kam der. Aber Amir, wer schickte den Erzengel?“ – „Gott?“ – „Richtig, Gott! Und was machte der Mann in der Ecke, ist der lustig oder traurig, oder ist der vielleicht krank? Zorana?“ – „Traurig ist der! Weil er blind ist!“ – „Richtig, Zorana. Der ist ja blind, und deshalb so traurig.“

Es war schon grell, wie diese Topics plötzlich spannend wurden. Auf diese Weise hörten wir vom Verlieren und Wiederfinden eines Sohnes, von einem Wal, der einen Mann verschluckte, aber wieder ausspuckte, und von der Begegnung eines Blinden mit Jesus, der bald darauf wieder sehen konnte. Es gab immer wieder Tiere auf den Bildern, und die seltsame Sprache schuf einen Raum des Seltsamen. Niemand unterbrach den Pastor, nie fiel er aus der Rolle, er hatte das ja drauf: baff sein, froh sein, aufgeregt sein, verkünden. Sei baff und freue dich, das schaffst du durch die Akzeptanz irrster Vorgänge: Wal schluckt Mensch, Wal spuckt Mensch aus, Mensch folgt Gott. Pastor Strege und Kees de Kort ließen der Fantasie weite bunte Flächen. Die American Gods dagegen fahren Auto, labern sich gegenseitig dicht und freuen sich nicht an dem Wunder des Glaubens.

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Geschrieben von

Sarah Khan

Jg.71, Autorin, Gespenster-Reporterin, Michael-Althen Preisträgerin, aufgewachsen zwischen Protestanten u Pakistanern in Hamburg

Sarah Khan

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