Leerstellen der Vorbildwirkung

Biopic „Hidden Figures“ erzählt die Geschichte dreier entscheidender schwarzer Wissenschaftlerinnen bei der NASA erstaunlich altmodisch
Ausgabe 05/2017

Was bedeutet es, wenn herausragende Frauenleben der afro-amerikanischen Geschichte unbeachtet und versteckt bleiben hinter den Heldengeschichten weißer Männer? Es bedeutet, dass der Astronaut Neil Armstrong und der Kosmonaut Juri Gagarin zu Vorbildern für Millionen von Jungen werden konnten, aber die drei Wissenschaftlerinnen Katherine Goble Johnson, Dorothy Vaughan und Mary Jackson, die entscheidend dazu beitrugen, das NASA-Weltraumprogramm zum Erfolg zu führen, für Generationen von Mädchen nicht als Rollenmodelle zur Verfügung standen.

Es bedeutet auch, dass selbst diejenigen, die jetzt an einem Film über diese Frauen beteiligt sind, bekennen mussten, nie zuvor von diesen Frauen gehört zu haben – obwohl Pharrell Williams, der Hidden Figures koproduzierte und mit Hans Zimmer die Filmmusik komponierte, später von seiner Mutter erfuhr, dass er die Mathematikerin Johnson, die 98-jährig noch lebt, bei einer Veranstaltung seiner eigenen Wohltätigkeitsorganisation getroffen hatte. Williams hatte sie nur nicht als die außergewöhnliche Gestalt, die sie ist, erkannt, weil er nichts von ihrer Geschichte wusste.

Hidden Figures basiert auf einem Sachbuch der Autorin Margot Lee Shetterly, das 2016 in den USA zu einem Bestseller und parallel zur Veröffentlichung adaptiert wurde. Der Film ist ein Zeugnis der optimistischen Obama-Zeit: Mitte Dezember gab es ein Screening im Weißen Haus.

Der Film erzählt die Geschichte der drei Frauen, die in den 1960er Jahren in Florida in einer Abteilung für „colored computers“ zusammengefasst waren und in einzelne Bereiche der NASA und ihrer Vorläuferorganisation ausgeliehen wurden. Hidden Figures konzentriert sich auf die Jahre 1961/62, als es darum ging, den ersten US-Amerikaner ins All und heil wieder zurückzubefördern.

Die Mathematikerin Johnson, die im Mittelpunkt der Handlung steht, ist ein Genie, das von frühester Kindheit an auffällt, Klassen überspringt, Förderungen bekommt, Kinder bekommt und als junge Witwe in Florida arbeitet, um Flugbahnen zu berechnen und belastbare mathematische Modelle für die Raumfahrt zu entwickeln.

Die Segregation verlangt ihr ab, eine weit entfernte Toilette aufzusuchen und Kaffee aus einer eigens für sie aufgestellten Kanne zu trinken, die sonst niemand anfassen mag. Dass sie es trotz dieser restriktiven Maßnahmen schafft, sich Geltung zu verschaffen, liegt an ihren Fähigkeiten. Und in diesem Punkt ist der Film bei der Bewertung von Johnsons Bedeutung für die Raumfahrt alles andere als übertrieben.

Für diese Momente findet der Film nur bescheidene Bildideen: Die Mathematikerin steht vor einer großen Tafel, mit einem Stück Kreide steigt sie auf die Leiter und entwickelt ihre Modelle. Die Brille schiebt sie sich auf die Nasenwurzel zurück. Taraji P. Henson spielt die Wissenschaftlerin so zurückhaltend, dass man die Rolle dieser quirligen Schauspielerin in der Serie Empire als geradezu hysterische Plattenproduzentin in schrillsten Fummeln fast vergessen kann.

Hidden Figures ist ein klassisches, altmodisch anmutendes feel-good movie, was erstaunlich unambitioniert ist für einen Film, der auch formal davon angesteckt sein könnte, neues Denken erlebbar zu machen. Interessanterweise ist Jim Parsons, der Star aus The Big Bang Theory, in einer Nebenrolle als kleingeistiger Kollege dabei, der lange braucht, um Johnson Anerkennung zu zollen. Etwas mehr Nerdculture wäre auch historisch nicht falsch gewesen.

Mary Jackson wird von der Sängerin Janelle Monáe dargestellt, während als Favoritin auf den Oscar für die beste Nebenrolle Octavia Spencer ins Rennen geht, die die Datenprozessorin Dorothy Vaughan mit absoluter Grandezza spielt: eine Pionierin der Programmiersprache Fortran, deren Kampf um Gleichstellung damit begann, sich ein Buch ausleihen zu können.

Info

Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen Theodore Melfi USA 2016, 127 Minuten

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Geschrieben von

Sarah Khan

Jg.71, Autorin, Gespenster-Reporterin, Michael-Althen Preisträgerin, aufgewachsen zwischen Protestanten u Pakistanern in Hamburg

Sarah Khan

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