Oh Hitler-Boy

Web-Serie „Familie Braun“ Warum weigern sich junge Filmemacher so beharrlich, sich die „Existenzform Neonazi“ realistisch vorzustellen?
Ausgabe 06/2016

Vor vielen Jahren lebte eine böse Fee, die hieß Ja-die-Yogurette, die sprach einen Fluch, der sich auf Braunes, Klebriges, Verbotenes bezog: „Ich esse unheimlich gerne Schokolade, und dafür stehe ich nachts sogar auf, aber leicht muss sie sein.“ Seither leben auf dem Mainzer Lerchenberg, Standort des ZDF, viele mit einem bizarren Denkmuster: Ich will Nazis thematisieren, aber leicht müssen sie sein. Ich will Ausländer, aber leicht. Ich will Gegenwartsprobleme, aber leicht, ich will Adolf Hitler, aber verdammt noch mal leicht muss er sein! Mit anderen Worten: Das ZDF schenkt seinen Zuschauern/Nichtzuschauern die Webserie Familie Braun, sie spielt im Neonazimilieu und soll für die kurze Unterhaltung im Internet sein. Acht Minifolgen zu je sechs Minuten, also 48 Minuten insgesamt. Angerührt und eingedampft hat man die Chose nach dem französischen Rezept Drei Männer und ein Baby, das zuletzt in der Variante 3 Türken und ein Baby serviert wurde, und verfeinert mit der Social-Media-Credibility der Youtube-Stars LeFloid, DoktorFroid und Space Frogs, die mit dem Projekt verbunden sind und es auf Facebook hypen.

Es geht um zwei Hitler-Boys in einer Plattenbausiedlung, die sich eine winzige Wohnung und ein Bett teilen, merkwürdigerweise kein Liebespaar sind und eine wahnsinnig kreative Hitler-Tapete besitzen. Eines Tages steht ein sechsjähriges schwarzes Mädchen vor der Tür, die Frucht eines One-Night-Stands zwischen einem der H-Boys und einer Eritreerin nach einem Fackelzug vor dem Flüchtlingsheim. Das arme Mädchen ist das Mittel, um die beiden Nazis vor den ungeduldigen Augen des Zuschauers im Schnellverfahren nettzubügeln, und das ist das Abstoßende an dieser Produktion. Die Kleine dient einzig dazu, den armen Nazis ein bisschen tiefer in die Seele zu blicken. Naive Fragen wie „Warum guckt der Hitler so böse?“ und „Seid ihr schwul?“, dazu ein grenzdebiles Dauergrinsen, sind die einzigen Waffen, mit denen man sie und auch andere Repräsentanten der Einwanderungsgesellschaft in den Krieg gegen die Dumpfbacken schickt. Da muss nur ein echter rechtsradikaler Grundschullehrer kommen, der die Entfernung des „Mischlings“ aus seiner Klasse fordert, schon wollen auch die H-Boys die Willkommenskultur mit einer platten Rache wiederherstellen. Aber auch diese Drecksarbeit erledigen – ganz in der Gastarbeitertradition – Ausländer, der schlaue Neonazi-Papa macht sich nicht die Finger dreckig.

Es ist schon merkwürdig, wenn sich junge Filmemacher in Zeiten des NSU-Prozesses weigern, sich die „Existenzform Neonazi“ realistisch vorzustellen, um ihren Humor daran zu schärfen. Haben die nie Mo Asumangs Doku Die Arier gesehen, eine international gefeierte ZDF-Produktion über Asumangs Versuch einer Annäherung an die Szene? So gruselig wie auch großartig mutig zeigt sie die Realität des Rassismus in unserem Land. Dass Neonazis, wenn man sie als solche ernst nimmt, auch bestes Humormaterial liefern, wurde bewiesen, beispielsweise von Oliver Kalkofe mit Doofes Trier oder Der NPDs besorgte Bürger (Tele 5 bei Youtube). Der gespielte Witz, ob im Netz oder TV, ist ein knallhartes Geschäft, für das es Genauigkeit braucht und Mut. Wer es lieber leicht haben will mit der braunen Soße, sollte dummen Leuten Diätschokolade verkaufen.

Info

Familie Braun ist online ab sofort verfügbar, unter zdf.de oder auf Youtube. Im Fernsehen am 12. Februar (ZDF, 23 Uhr)

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Sarah Khan

Jg.71, Autorin, Gespenster-Reporterin, Michael-Althen Preisträgerin, aufgewachsen zwischen Protestanten u Pakistanern in Hamburg

Sarah Khan

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden