Kein Herbst ohne den Pudding des Propheten

Lebensmittelpreise Unsere Autorin erlebt in Tunesien einen Nahrungsmittelboykott
Ausgabe 43/2019

Ende September schrieb eine Freundin von mir einen Facebook-Post, in dem sie von einer schnell wachsenden Gruppe erzählte, die den Boykott überteuerter Lebensmittel organisiert. Ich wollte gerade kommentieren und nach einem Link fragen, da ploppte eine Benachrichtigung auf: Ein Bekannter hatte mich schon zu der Gruppe eingeladen. So ging es vielen anderen tunesischen Nutzern des sozialen Netzwerks auch. Innerhalb von vier Wochen wuchs die Zahl der Mitglieder auf rund 1,4 Millionen an – mehr als ein Zehntel der tunesischen Bevölkerung also. Gut sieben Millionen Menschen sind in Tunesien Mitglied bei Facebook.

Das Prinzip der Gruppe, „Die Preissteigerung brechen“, ist denkbar einfach: Die Mitglieder posten Bilder von Gemüse, Obst und Fleisch mit den dazugehörenden Preisschildern und tauschen sich aus, was wo wie viel kostet – und was angemessen wäre. Dann wird boykottiert. Zurzeit sind es Bananen und Kartoffeln, die besonders oft auf den Bildern der Internetnutzer auftauchen: Am Anfang, weil sie viel zu teuer für tunesische Verhältnisse waren. Aber inzwischen auch immer mehr, weil die Preise um bis zu 50 Prozent gesunken sind. Ihr Boykott trage Früchte, feiern die Facebook-Nutzer.

Ein Kassenbon aus dem Großmarkt von Tunis steht seit Tagen in der Gruppe ganz oben: 0,8 Dinar (rund 25 Euro-Cent) kostet dort das Kilo Tomaten. Beim Gemüsehändler um die Ecke ist es das Drei- bis Vierfache. Zu viel für eines der wichtigsten Lebensmittel der tunesischen Küche, finden viele Tunesierinnen und Tunesier – und zu viel in einem Land, in dem der Mindestlohn bei 380 Dinar pro Monat (rund 120 Euro) und die Inflation im September bei 6,7 Prozent lag.

Inzwischen hat sich auch die tunesische Verbraucherschutzorganisation zu Wort gemeldet, die in den vergangenen Jahren immer wieder – wenig erfolgreich – zu Boykottkampagnen aufgerufen hatte, unter anderem gegen Tomatenmark sowie Rind- und Lammfleisch. Dieses Jahr hat es der Verbraucherschutz auf eine tunesische Spezialität abgesehen: „Assida Zgougou“. Dabei handelt es sich um einen dunkelgrauen, bitter-süßen Pudding aus gerösteten und gemahlenen Pinienkernen der Aleppokiefer. Er wird reich dekoriert und besonders am Moulid verzehrt, dem Geburtstag des Propheten Mohammed, der dieses Jahr am 10. November gefeiert wird.

Eigentlich war „Assida Zgougou“, so die Legende, eine Erfindung aus der Not heraus. Als Tunesien Mitte des 19. Jahrhunderts von einer Dürreperiode heimgesucht wurde, ersetzten gerade ärmere Tunesier das Getreide durch die Pinienkerne. Doch seit das süße Dessert in Mode gekommen ist, sind auch die Preise entsprechend angestiegen. Ob sich die Tunesier von den teuren Preisen um ihr liebstes Feiertagsdessert bringen lassen? Normalerweise wird Facebook vor und nach dem Geburtstag des Propheten von Bildern des aufwendig mit Nüssen und Zuckerkügelchen dekorierten Puddings nur so überschwemmt. Es könnte sein, dass Verbraucherschützer und Boykott-Anhänger aus den sozialen Netzwerken dafür sorgen, dass es dieses Jahr anders kommt.

Sarah Mersch berichtet seit 2010 als freie Korrespondentin aus Tunis

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