Vielleicht war doch alles ein großes Missverständnis mit der Gleichberechtigung in Deutschland. All das Gerede von der gebildeten, der berufstätigen, der unabhängigen Frau: nur ein leeres Versprechen. Tatsächlich werden viele Frauen in ein paar Jahren äußerst magere Renten aus ihren Teilzeitjobs ernten, während die Männer, von denen sie längst geschieden sind, abschlagsfrei mit 63 in den Ruhestand treten können.
So jedenfalls sehen es die beiden Autorinnen Christina Bylow und Kristina Vaillant, die in ihrem Buch Die verratene Generation auf das Leben der weiblichen Babyboomer schauen, auf Frauen um die 50, auf Frauen wie sich. Die beiden gehören den geburtenstarken Jahrgängen der 60er Jahre an. Bylow ist 1962, Vaillant 1964 ge
nt 1964 geboren, in dem Jahr, in dem so viele Kinder in der Bundesrepublik zur Welt kamen wie in keinem Jahr zuvor oder danach. Doch im Buch geht es nicht um die Autorinnen persönlich, sondern um die Möglichkeiten, die Frauen ihrer Generation einmal in Aussicht gestellt wurden. Durch ein Studium, eigenes Geld und, ja, auch durch die Sicherheit einer Heirat.Heirat, Teilzeit, ArmutWenig davon hat sich erfüllt, und wenn, dann nur für Frauen, die gegen die gesellschaftlichen Regeln verstießen – die nicht heirateten, kinderlos blieben. Die Politik bremste Frauen aus, schreiben die Autorinnen. Man sah tatenlos zu, wie Männer ganz unbeirrt beruflich an den Frauen vorbeizogen. Schlimmer noch: Man lockte Frauen mittels Ehegattensplitting in die Teilzeit und nahm ihnen am Ende auch noch den Unterhalt, der ihnen früher nach einer Scheidung zugestanden hätte. „Vater Staat hat seine Töchter im Stich gelassen“, heißt es im Buch. Bei einem Gespräch in Berlin fügt Christina Bylow unmissverständlich hinzu: „Ein reiches Industrieland, das Frauen einem Armutsrisiko aussetzt, weil sie Kinder kriegen, hat versagt.“Die Thesen der beiden sind nicht neu, aber selten hat sie jemand so entwaffnend zusammengefasst, so solide durchargumentiert, dass einem jedes Wenn und Aber im Halse stecken bleibt. In den ideologischen Kämpfen der vergangenen Jahre, den Streiten um die richtige Lebensform – um Kitas, Homo-Ehegattensplitting, Elterngeld –, hat sich lange niemand mehr getraut, es so deutlich zu sagen: Das deutsche Steuer- und Rentensystem diskriminiert Frauen methodisch und nachhaltig. Jahrzehntelang hat es die Verheirateten unter ihnen als Zuverdienerinnen abgestempelt, hat sie mit den Renten ihrer Gatten vertröstet anstatt ihre grundrechtlich verankerte Gleichberechtigung zu fördern und für bessere Bezahlung zu sorgen. Diejenigen, die es trotzdem wagten, sich zu trennen, trifft es nun doppelt. Alleinerziehende besteuert man fast wie Singles, und die Renten vieler werden so niedrig sein, dass der Gang zum Sozialamt unvermeidbar scheint. Über vierzig Prozent der westdeutschen Frauen, die Mitte der 60er Jahre geboren wurden, werden im Alter weniger als 600 Euro bekommen. Da hilft auch kein Mutterrentenpünktchen extra.In der Jugend hatten sie viele Hoffnungen - im Alter haben sie oft nicht mal 600 EuroWarum hat es so lange gedauert, bis sich unter den Babyboomerinnen Unbehagen breit machte? „Die Erkenntnis, dass du nicht schuld bist an deiner Situation und du sie auch allein nicht ändern kannst, kommt nicht mit 30“, sagt Bylow. Schon gar nicht, wenn einem eingeredet werde, dass alles möglich sei: Das gleichberechtigte Sorgen für die Kinder, ein anspruchsvoller, gut bezahlter Beruf. „In unserer Generation hat man aufgehört, über Männer und Frauen zu sprechen, man hat so getan, als gäbe es nur Individuen.“ Das klingt paradox, denn gerade die geburtenstarken Jahrgänge waren ja ans Kollektiv gewöhnt. Sie saßen in vollen Klassenzimmern und Hörsälen und mit vielen Geschwistern um den Küchentisch. Vielleicht war der Wunsch nach Einzigartigkeit gerade deshalb so stark. Im Gespräch mit Gleichaltrigen stellten die Autorinnen indes fest: Enttäuscht wurden fast alle – von wegen Einzelfall!Das Wir gegen das Ich, das ist der Grundkonflikt, der sich durch das Buch zieht. Bylow und Vaillant stehen auf der Seite des Wir. Die individualisierte Betrachtungsweise, sagt Vaillant, habe die Systemfehler komplett verschleiert. Bylow ergänzt: „Die, die etwas nicht geschafft haben, haben nach diesem Modell eben etwas falsch gemacht.“ Und Vaillant hält den Feminismus für mitschuldig daran: „Indem er so stark auf Identitätenpolitik gesetzt hat, ist er eine Liaison mit dem Neoliberalismus eingegangen.“ Die These stammt von der Politikwissenschaftlerin Nancy Fraser, einer wichtigen Quelle für das Buch. Sie spielt darauf an, dass die feministischen Theorien der 80er Jahre mit ihrer Betonung der Vielfalt unter Frauen – Akademikerinnen, Lesben, Migrantinnen – die großen sozialen Fragen vernachlässigt haben.Doch funktioniert sie wirklich, diese Gegenüberstellung von Individuum und Kollektiv? Könnte es sein, dass es sich die Autorinnen hier zu einfach machen? Ihr Aufruf zur Solidarität unter Frauen ist ja durchaus begrüßenswert, zumal die aktuellen Debatten um einen sogenannten Barbiefeminismus und persönliche Erfolge bei der Kindererziehung niemandem helfen. Waren wir da aber nicht schon mal weiter? „Anstatt sich Mut zu machen – sieh zu, dass du denselben Lohn kriegst, sieh zu, dass du einen Mann hast, der sich mit dir die Arbeit zu Hause teilt –, machen Frauen sich gegenseitig fertig, weil die eine auf dem Spielplatz hockt und die andere lange im Büro bleibt“, sagt Bylow.Zu viele EinzelkämpferinnenIn diesem Punkt sind die Autorinnen allerdings selbst nicht immer ganz konsequent. Die Frauen der F-Klasse, die sich 2007 in einem gleichnamigen, von Thea Dorn herausgegebenen Buch als Vorbilder feierten, kommen bei ihnen zum Beispiel gar nicht gut weg. „Wir würden uns selbst nie als F- oder sonst eine Extra-Klasse bezeichnen“, sagt Vaillant. „Von einer solchen Inszenierung grenzen wir uns ab – nicht aber von der Generation an sich.“ Ebenfalls rauer wird der Ton, wenn es um Frauen im Alter ihrer Mütter geht, um die „reichste Rentnerinnengeneration im Westen, die es je in Deutschland gegeben haben wird, obwohl sie wenig erwerbstätig war“, so Bylow. Weibliche Vorbilder hätten ihrer Generation einfach gefehlt: „Viele von uns sind in einer dumpfen Atmosphäre aufgewachsen, in der Mädchen nicht gefördert wurden. Emanzipierte Lehrerinnen, denen das am Herzen lag, gab es nur wenige.“ Auch an den Universitäten habe es zu wenige Professorinnen gegeben, „vielleicht wären wir sonst selbstbewusster geworden“. Womöglich geht es also doch nicht ohne die oft gescholtenen Einzelkämpferinnen – weil diese sich eben nicht beirren lassen durch die Meinung der Masse und weil sie ihre Rechte zielstrebig einfordern.Für die Jüngeren gibt es jedenfalls keinen Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Auch wenn Studentinnen heute gar nicht erst planen, wegen eines Kindes zu pausieren, und auch wenn die Quotendebatte manche Personaler umdenken lässt – der gesetzliche Rahmen bleibt eng. „Jüngere Frauen müssen genauso aufpassen, dass sie nicht in eine sekundäre Rolle geschoben werden“, sagt Bylow. Das Rentensystem belohnt beziehungsweise verlangt weiterhin stringente Erwerbsverläufe. An die Abschaffung des Ehegattensplittings hat sich bislang keine Partei herangewagt. Und an den Zahlen zur weiblichen Erwerbstätigkeit hat sich bis heute nicht viel getan: Noch immer arbeitet jede zweite Frau im Alter zwischen 30 und 40 in Teilzeit.Die verratene Generation setzt ein deutliches Signal, an den altbekannten Verhältnissen endlich etwas zu ändern. Es gibt Beispiele, wie das gehen könnte: In den Niederlanden ersetzt zum Beispiel der Staat die ausgefallenen Rentenbeiträge, wenn jemand nur in Teilzeit arbeitet. Dadurch wird dieses Lebens- und Erwerbsmodell auch für Männer attraktiv.Man müsse das Heil nicht in der totalen Vereinnahmung durch den Arbeitsmarkt suchen, wie es in Deutschland derzeit geschehe, betonen die Autorinnen. „Aber im Moment kann man keiner Frau empfehlen, Teilzeit zu arbeiten oder zu Hause zu bleiben“, sagt Vaillant.Wir Jüngeren werden später jedenfalls nicht sagen können, man hätte uns nicht gewarnt.
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